Hamburg. Bei der Fußball-EM machen chinesische Unternehmen massiv Werbung. Was konkret dahintersteckt – und wie Hamburg davon betroffen ist.
Zuschauer, die in diesen Tagen vor dem Fernseher oder im Stadion die Spiele der Fußball-Europameisterschaft verfolgen, sehen an der Bande die Werbung einiger Anbieter, deren Namen nicht unbedingt schon von vorherigen Turnieren vertraut sind. Dabei haben Vivo, AliExpress, Alipay+, Hisense und BYD eines gemeinsam: Sie alle stammen aus China.
Tatsächlich stellt der asiatische Staat mit allein fünf der 13 Top-Sponsoren der Euro 2024 ein auffälliges Werbe-Schwergewicht dar. Hinzu kommt noch der Online-Marktplatz Temu, der ebenfalls chinesische Wurzeln hat. Zum Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Ungarn schaltete die für Billigangebote bekannte Einkaufsplattform (Motto: „Shoppe wie ein Milliardär“) erstmals Fernsehwerbung in der Bundesrepublik – und das gleich sehr prominent mit zwei 30-Sekunden-Spots in der Halbzeitpause und einem dritten nach dem Abpfiff.
Einerseits ist die Werbeoffensive der Chinesen eine gute Nachricht für den Hamburger Hafen. Denn China ist mit einem Anteil von 28 Prozent am Containerumschlag der mit Abstand wichtigste Handelspartner. Und doch mag der selbstbewusste Auftritt in einer Zeit, in der die Beziehungen zwischen Europa und der Volksrepublik aufgrund der chinesischen Haltung zum Ukraine-Krieg, der Frage der Menschenrechte und im Zusammenhang mit Dumping-Vorwürfen gegen Peking deutlich abgekühlt sind, verwundern.
Temu, BYD, AliExpress: Chinas Konzerne mischen auch Hamburg auf
Aus chinesischer Sicht gibt es für das Marketing-Engagement allerdings gleich mehrere gute Gründe. So hat die Zentrale Volksregierung zuletzt die Herausbildung starker Marken als essenziellen Bestandteil der Wirtschaftsstrategie herausgehoben. Diese Strategie sieht vor, sich von der „Werkbank der Welt“ zu einem Entwickler hochwertiger Produkte zu wandeln. Statt „Made in China” soll es künftig „Created in China” heißen.
Erste Erfolge kann man schon vorweisen. Auf der von der Marktforschungsfirma Kantar herausgegebenen Liste der 100 weltweit wertvollsten Marken finden sich immerhin elf chinesische Unternehmen. Darunter sind auch der Online-Marktplatz AliBaba, zu dem AliExpress und der Zahlungsdienstleister AliPay+, sowie die Internet-Handelsplattform Pinduoduo, die Schwestergesellschaft von Temu.
Zwar findet sich der Fahrzeugbauer BYD noch nicht auf dieser Liste. Als weltweit zweitgrößter Hersteller von Elektroautos – nicht weit hinter Tesla und mit großem Abstand vor Volkswagen (Rang drei) – zählt der Konzern aber zweifellos zu den Vorzeigeunternehmen Chinas. In Hamburg ist die Marke mit einem Showroom am Ballindamm bereits in einer prominenten Lage präsent.
BYD hat in Hamburg einen Showroom am Ballindamm eröffnet
Während BYD deutschlandweit in den ersten fünf Monaten des Jahres 2024 gerade einmal 777 Neuzulassungen vorweisen konnte, was einem Marktanteil von 0,1 Prozent entspricht, erhofft sich der Konzern von der Europameisterschaft eine deutliche Steigerung des Bekanntheitsgrades. Man freue sich, die „jüngsten Innovationen im Bereich E-Autos einem breiten Publikum vorstellen zu können“, sagte Michael Shu, Geschäftsführer von BYD Europe.
Auch bei Hisense und Vivo reflektiert die Bekanntheit in Deutschland nicht die weltweite Marktbedeutung. So gilt Hisense als zweitgrößter Produzent von Fernsehern und ist ein Konkurrent von Philips. Im Küchengeräte-Segment gehören unter anderem der slowenische Hersteller Gorenje und die skandinavische Edel-Marke Asko zu der Gruppe.
Noch ausgeprägter ist das Missverhältnis zwischen dem Bekanntheitsgrad und dem wirtschaftlichen Gewicht beim Smartphone-Anbieter Vivo. Wegen Patentstreitigkeiten waren dessen Geräte in Deutschland längere Zeit gar nicht erhältlich, erst seit Februar haben einige Händler sie wieder im Programm. Auf dem Weltmarkt ist Vivo mit rund 18.000 Beschäftigten aber der sechstgrößte Hersteller, in China selbst sogar Marktführer.
Kleider für 5,61 Euro – Onlinehändler Temu setzt auf das Super-Billig-Segment
Bereits seit Längerem in Deutschland etabliert ist die Onlinehandelsplattform AliExpress, die – im Unterschied zum eigenen Internet-Marktplatz der Muttergesellschaft AliBaba – ebenso auf private Verbraucher zielt wie der in Europa erst seit dem vorigen Jahr aktive Wettbewerber Temu. Dieser offeriert zum Beispiel Sommerkleider für 5,61 Euro oder Damenhosen für 6,77 Euro.
Bei der Verbraucherzentrale Hamburg sieht man solche Angebote kritisch. „Die Ware ausländischer Onlinehändler hält nicht immer das, was die Bilder im Netz versprechen“, heißt es. Eine Rücksendung der Produkte sei oft mit zusätzlichen Kosten verbunden. Und weiter: „Die supergünstigen Angebote aus Fernost, die rund um den Globus geschickt, aber kaum genutzt werden, verschwenden wertvolle Ressourcen.“
Sowohl AliExpress als auch Temu sind zudem bereits wegen angeblicher Verstöße gegen Verbraucherschutzrichtlinien ins Visier des Europäischen Verbraucherverbands (BEUC) geraten. So warf man Temu manipulative Werbetechniken vor. „Wir nehmen die Beschwerde der BEUC sehr ernst“, sagte ein Temu-Sprecher dem Abendblatt. Man sei noch ein „Newcomer“ in Europa, achte aber auf die Reaktionen auch von Verbraucherschützern und wolle alle Gesetze und Verordnungen einhalten.
Temu und AliExpress – wie Otto die neue Konkurrenz beurteilt
AliExpress ebenso wie Temu greifen natürlich auch den Hamburger Versandhändler Otto an. „Wir haben nichts gegen neue Wettbewerber, im Gegenteil“, sagte Martin Zander, Sprecher der Otto Group. In mancher Hinsicht, etwa in der Nutzung künstlicher Intelligenz, könne die Otto-Gruppe von Temu lernen. Kritisch beurteile man es allerdings, wenn Anbieter sich „nicht einmal an ganz basale Regeln eines fairen Wettbewerbs in Europa halten und beispielsweise auch Waren verkaufen, die nachweislich die Gesundheit gefährden können, Nachahmerprodukte sind oder bei deren Lieferung Zollgrenzen unterlaufen werden“, so Zander. Im Interesse eines nachhaltigen Konsums wünsche sich die Otto-Gruppe, dass solche „Fast-Consumption-Geschäftsmodelle gestoppt werden“.
Temu sei jedoch kein „Fast-Fashion-Unternehmen“, sagte ein Temu-Sprecher dazu. Man betreibe lediglich einen Online-Marktplatz, der unabhängige Produzenten mit den Verbrauchern vernetze und mehr als 200 Produktkategorien abdecke. „Wir ermutigen nicht zu übermäßigem Konsum“, so Temu.
Bei Alipay+ liegen die Dinge im Hinblick auf das EM-Sponsoring etwas anders als bei BYD, Hisense, Vivo, AliExpress oder Temu. Hier geht es nicht so sehr um die Bekanntheit in Deutschland oder in Europa. Denn im Gegensatz zu dem in China führenden Smartphone-Bezahlsystem Alipay mit weltweit rund 1,3 Milliarden Nutzern ist Alipay+ eine Softwarelösung, die es Händlern in Europa ermöglicht, Zahlungen per Alipay und anderen digitalen Geldbörsen aus Asien zu akzeptieren. Zu den Handelsketten, die das über eine Kooperation mit der Sparkassen-Finanzgruppe bereits nutzen, gehören die Drogeriemärkte von dm und Rossmann.
China soll künftig auch im Fußball eine Weltmacht werden
Bandenwerbung von Alipay+ zielt also gar nicht in erster Linie auf europäische Verbraucher, sondern auf Zuschauer in China – schließlich sieht das ihnen bestens vertraute Logo von Alipay nahezu gleich aus. Auch in der Volksrepublik gibt es mittlerweile viele Fußballinteressierte: Die dortige Zahl der Fernsehzuschauer bei Europameisterschaften ist von 2016 auf 2020 (ausgetragen 2021) um 43 Prozent auf mehr als 350 Millionen gestiegen. Das dürfte ein Grund dafür sein, warum Alipay nach Angaben der Bürgerbewegung Finanzwende 200 Millionen Euro für das EM-Sponsoring ausgibt.
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Auch in politischer Hinsicht liegt ein solches Engagement im Interesse der Regierung in Peking, denn das Land kann sich den heimischen Zuschauern dadurch als international bedeutend präsentieren. Und womöglich steigt damit ja die Begeisterung der Chinesen für den Sport, was ebenfalls ganz im Sinne von Staatspräsident Xi Jinping wäre: Er ist bekennender Fußballfan und will, dass China auch auf diesem Feld zu einer Weltmacht wird.