Fredesdorf/Hamburg. Carola Vertein beherrscht ein seltenes Handwerk: Sie fertigt Regenschirme an. Privat führt sie das Leben einer richtigen Landfrau.
Regenschirme und Bienen, das passt gut zusammen. „Wenn es regnet, dann haben wir im Geschäft viel zu tun, und mit den Bienen kann man nicht viel anfangen. Bei gutem Wetter ist es umgekehrt“, sagt Carola Vertein. Die 48-Jährige ist eine der letzten Schirmmacherinnen in Deutschland. Ihr Geschäft „Schirm & Co.“ liegt inmitten der Hamburger Innenstadt an der Rosenstraße, unweit des Thalia Theaters. Ihre Bienen hält sie auf ihrem Hobbybauernhof in Fredesdorf bei Leezen.
Dort lebt sie seit neun Jahren, kümmert sich neben den Bienen auch um Hühner und Puten. Sie ist fest in die Dorfgemeinschaft integriert und natürlich längst auch eine richtige Landfrau. „Dort nennen mich alle nur die Schirmfrau“, sagt Vertein mit einem verschmitzten Lachen auf den Lippen. Ein Problem hat sie damit nicht. Da es sonst niemand macht, ist sie so etwas wie die Chef-Lobbyistin der Regenschirme.
„Unter einem Schirm ist immer eine besondere Atmosphäre“, sagt sie und spannt ein Exemplar auf, das sie gerade gefertigt hat. Der Stoff spannt sich und Vertein imitiert mit den Fingern den Regen. „Jeder Schirm macht bei Regen eine andere Musik.“ Die aber sei nur bei guten Schirmen schön, ergänzt sie und holt einen Schirm für 19,95 Euro. Ja, auch solche verkaufe sie, weil sie schließlich nachgefragt würden. Sie spannt ihn auf und wiederholt das Experiment. Der Unterschied ist hörbar, auch wenn der Laie die Feinheiten so schnell nicht erkennen mag. „Viele Menschen haben bei Regen schlechte Laune, weil sie schlechte Schirme haben.“ Gute Schirme hingegen machen glücklich, stellt Vertein fest. Wer einen schönen Schirm hat, der ärgere sich nicht über den Regen, sondern er freue sich, dass er den Schirm mitnehmen kann.
Vertein hatte eine Filiale im Herold-Center
Verteins Familie ist eng mit dem Schirmmacherhandwerk in Hamburg verbunden. Ihr Urururgroßvater Theodor Eggers startete im 19. Jahrhundert mit dem Unternehmen Schirm Eggers, das später auch eine Filiale im HeroldCenter hatte. Nachdem die Familie das Geschäft, die Werkstatt und die Produktion dichtmachen musste, arbeitete Carola Vertein kurz in einem Kiosk, der Vater packte Fisch ab. Das aber wollten sie nicht auf Dauer machen, und so eröffneten sie wenig später, im Jahr 1993, das neue Geschäft „Schirm & Co.“. Ohne weitere Filiale und mit wenig Personal. Heute arbeiten hier neben Carola Vertein ihre Tochter Meike und ihr Cousin Lars Finger. Alle drei verkaufen Schirme aus Fremdproduktion – meist in Fernost gefertigt – reparieren kaputte Modelle, und manchmal bauen sie noch selbst einen Schirm.
„Das Schirmmacher-Handwerk ist das vielseitigste Handwerk, das es gibt“, sagt Carola Vertein, denn ein Schirm werde aus Stoff, Metall und Holz gefertigt. Carola Vertein sitzt im hinteren Bereich des Ladens an der Nähmaschinen und näht den Saum des Schirmbezugs, der noch fertig werden muss. Zuvor hat sie die Dreiecke für den Bezug mit einer Schablone ausgeschnitten und zusammengenäht. Auch das Gestell sieht schon fast fertig aus. Dafür muss der Stock auf die gewünschte Länge gebracht werden, die sich nach der Größe des künftigen Besitzers richtet – ein Schirm sollte ihm in etwa bis zum Puls reichen und ist dann am Ende zwischen 82 und 100 Zentimeter lang.
In den Stock werden Federn eingeschnitten und diese mit sogenanntem Prellstiftdraht eingesetzt. Wenn danach die Stangen in Schieber und Krone eingebunden sind, erinnert das Gestell schon fast an einen Schirm. Damit er vor Regen schützen kann, müssen nun Bezug und Gestänge zusammengenäht werden. Dafür vernäht Vertein zunächst die Spitzen und dann die Ecken der Stangen, die später für die Spannung sorgen. Nach weiteren Feinarbeiten, für die die erfahrene Schirmmacherin nur ein paar Handgriffe braucht, ist der Schirm schließlich fertig. 98 Euro kostet ein Kinderschirm, Erwachsene müssen etwa 200 Euro hinlegen. Deshalb und weil bei den zugekauften Schirmen fast für jeden etwas dabei ist, produzieren Vertein und ihre Mitarbeiter heute nur noch etwa 200 eigene Schirme im Jahr, die ihren Besitzer dann aber 20 Jahre schützen – und länger.
Schirme trotzen auch der steifen Brise
Denn sie halten den Wind in Norddeutschland aus. Günstige Alternativen aus dem Drogeriemarkt kommen da nicht mit. Carola Vertein: „Das ist wie mit einem Pappteller. Zur Not kann man darauf auch essen, aber wer schon einmal versucht hat, ein Kotelett darauf zu schneiden, der weiß einen Porzellanteller zu schätzen.“
Für Carola Vertein gibt es kaum etwas Schöneres als einen guten Schirm. Sie freut sich immer über schlechtes Wetter, dann kommen die Kunden und lassen sich beraten. Scheint sieben Wochen die Sonne, verbringt sie lieber Zeit mit den Bienen in Fredesdorf.
Wer dort wohnt, der muss übrigens nicht den Weg in die Hamburger Rosenstraße antreten. Dorfbewohner hängen ihr öfter mal einen Schirm ins Carport, den sie dann zum Reparieren mitnehme, erzählt Vertein. Praktisch, wenn man eine Schirmmacherin im Dorf hat. Bei gerade einmal einer Handvoll Schirmmachern in ganz Deutschland sind die nicht einmal 400 Fredesdorfer privilegiert.