Hamburg. Nur noch auf steigende Containerzahlen zu setzen, das war gestern. Was Entscheider und Experten jetzt fordern im großen Überblick.

Viele Jahrzehnte lang war Wachstum im Hamburger Hafen gleichbedeutend mit steigenden Ladungsmengen. Nicht zuletzt dank der Globalisierung wurden – mit Ausnahme kleinerer konjunktureller Dellen – von Jahr zu Jahr immer mehr Container und andere Güter an den Kaikanten umgeschlagen.

Doch diese Form des Wachstums stößt nach Meinung von Experten nun an Grenzen. Nach einem neuen Gutachten werden die Ladungsmengen in den kommenden Jahren – wenn überhaupt – nur noch geringfügig zulegen. Doch wie muss sich der Hafen mit Blick auf diese Prognose dann für die Zukunft aufstellen, muss er sich womöglich elementar wandeln? Das Abendblatt hat nachgefragt, bei der Politik, der Volkswirtschaft, den Unternehmen und der Gewerkschaft.

Der Hafen der Zukunft: Die Ideen der Wirtschaftsbehörde

„Der Hamburger Hafen wird zu einem Universalhafen 4.0“, sagt Wirtschaftssenator Michael Westhagemann dem Abendblatt. Zur Stärkung des Hafens und Förderung des Umschlags werde eine Entwicklungs- und Ansiedlungsstrategie verfolgt, deren Fokus auf „innovativen sowie wertschöpfungsintensiven Aktivitäten“ liegt. Mit den Herausforderungen des Klimawandels und dem Pariser Klimaabkommen werde die Zukunft des Hafens auch im Wettbewerb um nachhaltige und innovative Transportketten entschieden.

„Der Güterumschlag wird auch auf lange Sicht ein nachhaltiges Wachstumspotenzial aufweisen, sodass der Hafen weiterhin seine maritime Hub-Funktion wahrnehmen und ausbauen kann“, so der Senator. Der Hafen solle sich zudem als Ideenpool für nachhaltige und innovative Lösungen in den Segmenten Maritimes, Logistik und Industrie etablieren. „Der Hamburger Hafen ist ein idealer Standort für die großtechnische Erprobung und schrittweise Umsetzung der verschiedenen Bausteine der Energiewende. Aus dem Hafen heraus soll gemeinsam mit der Industrie eine Wasserstoffwirtschaft entwickelt werden.“

Die Vorschläge der Opposition für den Hamburger Hafen

Mehr Ideen und weniger Stillstand fordert die CDU-Fraktion. „Hamburg muss den Hafen mit Investitionen stärken. Der internationale Wettbewerb ist rau. Da ist es unerklärlich, dass der Senat erst 2021 beginnen will, einen Hafenentwicklungsplan zu erstellen“, sagt der hafenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Götz Wiese. Die CDU habe in den vergangenen Monaten einen Entwicklungsplan und auch einen Flächennutzungsplan für den Hafen vorgelegt.

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„Im westlichen Hafen sollen operative Beteiligungen ausländischer Reedereien für mehr Wettbewerb und mehr Tonnage sorgen. Der Drehkreis für die Containerschiffe muss dringend erweitert, die neue Köhlbrandquerung muss jetzt angepackt werden“, so Wiese. Hamburg brauche die Erweiterungsgebiete im westlichen Hafen, um sie für Wasserstofftanks und neue Industrien zu nutzen.

Für den östlichen Hafen fordert Wiese einen Ideenwettbewerb für neue Technologien, Start-ups und Dienstleistungen im Bereich maritimer Wirtschaft und Mobilität. Dabei sei es wichtig, auch den Wissenschaftsstandort für die maritime Wirtschaft auszubauen. „Insgesamt braucht der Hafen neue Impulse. Neue Ideen sind gefragt. Auch das Geflecht aus städtischer Hafenverwaltung, städtischen Terminals und städtischer Reedereibeteiligung muss auf den Prüfstand. Wir wollen mehr Investitionen, Wettbewerb, weniger Stillstand“, so Wiese.

Linke bringt sogar Erhalt der Köhlbrandbrücke ins Spiel

„Auf die Überkapazitäten mit noch weiteren Elbvertiefungen, dem Ausbau von Kapazitäten und Senken der Löhne zu reagieren, ist nicht nur falsch, sondern dumm“, sagt Norbert Hackbusch von der Linksfraktion. Die Konzentration der Hafenpolitik auf die Containerschleusen räche sich nun. Die Schließung des Buss-Terminals als Projektlader sei ein Fehler gewesen.

Vielmehr sollten die Hafenflächen genutzt werden für weitere Produktionsarbeitsplätze, die zwar den Hafen brauchen und mögen, aber nicht reiner Umschlag sind. Hackbusch bringt sogar einen möglichen Erhalt der Köhlbrandbrücke ins Spiel, wenn sich die beiden großen Terminalbetreiber HHLA und Eurogate auf eine Zusammenarbeit verständigen: „Eine Kooperation zwischen der HHLA und Eurogate, die die Reedermacht abfedert und Schiffsabläufe gut verteilt, würde den Hamburger Haushalt entlasten: Die Westerweiterung von Eurogate würde dann nicht gebraucht. Wahrscheinlich könnte sogar die Kohlbrandbrücke technisch verstärkt erhalten bleiben, und einige Straßenprojekte wären überflüssig.“ Grundvoraussetzung dafür wäre aber eine „aktive Hafenpolitik“.

Das verlangt die Wirtschaft zur Sicherung des Hafens

Der Unternehmensverband Hafen Hamburg (UVHH) bezweifelt die Ergebnisse der jüngsten Prognose zum Hafenumschlag. „Die Corona-Pandemie hat erneut gezeigt, dass der Hafen weitaus krisenresistenter ist als gemeinhin angenommen. Vor diesem Hintergrund sind wir deutlich optimistischer als die Gutachter“, so Hauptgeschäftsführer Norman Zurke.

Um mehr Ladung nach Hamburg zu holen, müssten vor allem die Stärken des Hafens weiter ausgebaut werden. Hierzu gehöre insbesondere die sehr gute Eisenbahnanbindung. „Eine wichtige Voraussetzung zur Stärkung der Schienenhinterlandverkehre ist die von uns seit Langem geforderte Zuordnung der Hafenbahn zur öffentlichen Infrastruktur. Die derzeitige Regelung erhöht die Hafenkosten und schwächt damit den Eisenbahnhafen Hamburg.“

Des Weiteren müssten die Hafenkosten deutlich gesenkt und die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen denen der Westhäfen wie Rotterdam angeglichen werden. „Die Hafenunternehmen befinden sich in einem permanenten technologischen Optimierungsprozess. Vor diesem Hintergrund laufen die Gutachter mit ihrer Forderung nach neuen Technologien bei unseren Mitgliedern offene Türen ein“, so Zurke. Ergänzend dazu sei es zielführend, neue Technologieunternehmen mit Hafenbezug anzusiedeln.

Was Hamburgs Top-Ökonom Henning Vöpel rät

Henning Vöpel beschäftigt sich schon lange mit der Zukunft des Hafens. Der Direktor des renommierten Hamburger Wirtschaftsforschungsinstituts HWWI ist davon überzeugt, dass das bisherige Tempo der Transformation an der Kaikante bei Weitem nicht ausreicht, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen: „Es müssen nicht nur bestehende Strukturen verändert werden.“

Vöpel ist der Auffassung, dass moderne und grüne Zukunftsindustrien im Hafen angesiedelt werden sollten. Als Beispiele nennt er den 3-D-Druck sowie Firmen, die in der Windkraft oder der Wasserstofftechnologie aktiv sind. Er favorisiert „das Modell einer konsequent digitalen und nachhaltigen Wirtschaft.“ Die Ansiedlung innovativer Firmen im Hafen dürfe nicht auf die lange Bank geschoben werden, sie müsse zügig erfolgen. Vöpel kann sich vorstellen, den Universalhafen komplett als nachhaltigen Modellhafen umzubauen: Logistik, Handel, Schifffahrt. Und auch die Kreuzfahrtbranche sollte sich dort neu erfinden.

So argumentiert die Gewerkschaft Ver.di

„Vollständige Einhaltung und Ausbau der Mitbestimmung in allen Hafeneinzelbetrieben ist erforderlich, um die zukünftigen Herausforderungen zu bewältigen“, mahnt Stephan Gastmeier, Gewerkschaftssekretär aus der Fachgruppe Hafen bei der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di.

Jedes im Hafen tätige Unternehmen müsse dem Hafenflächentarif unterliegen, fordert er. „Der Senat muss mit Verordnungen dafür sorgen, dass die vernichtende Konkurrenz unter den Hafendienstleistungsbetrieben beendet wird, wie dies auch in anderen europäischen Häfen stattfindet. Gewerkschaften und Gesellschaft sind zwingend an der von Senator Westhagemann angekündigten Fortschreibung des Hafenentwicklungsplans 2021 zu beteiligen.“

Bei der zukünftigen Entwicklung des Hafens müssen nach Meinung Gastmeiers eine Reihe von Regeln eingehalten werden: Der Umschlag unterliege im Wesentlichen dem Welthandel und sei von den Hafeneinzelbetrieben kaum steuerbar. „Einen Preiskampf über Einkommensverluste und Entlassungen darf es nicht geben. Der technologische Ausbau muss sich an den Erfordernissen der Humanisierung der Arbeitswelt orientieren und nicht an den Rationalisierungswünschen der Hafenunternehmer.“ Arbeitsplatzsicherung und ökologischer Schutz seien zudem keine Gegensätze.