Hamburg. Schlechte Stimmung im Hamburger Hafen: Neue Prognose im Auftrag der Wirtschaftsbehörde widerspricht allen bisherigen Berechnungen.

Über die Wachstumschancen des Hamburger Hafens gibt es seit Jahrzehnten politischen Streit. Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) hat die Diskussion am Donnerstag mit seinen Aussagen quasi geerdet. Er präsentierte eine aktuelle Studie zum möglichen Güterumschlag im Allgemeinen sowie dem wichtigen Containerumschlag im Besonderen.

Die Ergebnisse sind ernüchternd. So erwarten die mit der Studie befassten Experten, dass der Seegüterumschlag künftig pro Jahr nur noch zwischen 0,6 Prozent und im besten Fall 2,1 Prozent zulegen wird. Die Hoffnung, dass der Hafen irgendwann wieder zweistellig wachsen könnte ist damit dahin.

Prognose ist mit Unsicherheiten behaftet

In ihrer Untersuchung sagen das Beratungsunternehmen Rambøll und Economic Trends Research (ETR) nun voraus, dass der Gesamtumschlag im Hafen 2035 im wahrscheinlichsten Fall bei 177 Millionen Tonnen liegen wird, gegenüber den geschätzten 139 Millionen Tonnen in diesem Jahr.

Allerdings ist diese Prognose mit einer Reihe von Unsicherheiten behaftet. So kann der Seegüterumschlag im besten Fall auf 192 Millionen Tonnen wachsen – jedoch im schlechtesten Fall auch nur 150 Millionen Tonnen betragen. Dann läge er in 15 Jahren nur wenig über dem bisherigen Rekordwert von 145,7 Millionen Tonnen aus dem Jahr 2014.

Frühere Aussagen kräftig nach unten korrigiert

Nicht besser fällt die Prognose für den Containerumschlag aus. Dieser dürfte zwar seinen Anteil am Gesamtumschlag von derzeit zwei Drittel auf drei Viertel im Jahr 2035 erhöhen. Doch die absoluten Zahlen sind enttäuschend: Im wahrscheinlichsten Fall werden in 15 Jahren lediglich 13,1 Millionen 20-Fuß-Standardcontainer (TEU) über die Kaikante gehoben – im schlechtesten Fall sind es sogar nur 11,1 Millionen TEU, im besten Fall voraussichtlich 14 Millionen.

Damit werden frühere Voraussagen kräftig nach unten korrigiert. Die letzte Umschlagprognose von 2015 sah allein bis 2030 ein Containerwachstum auf 18 Millionen TEU vor. „Auch zukünftig wird es im Hafen Steigerungsraten geben, aber nicht mehr so deutlich wie in der Vergangenheit“, fasste Westhagemann die neuen Zahlen kurz zusammen.

Vorhersagen sind mit Risiken verbunden

Zudem sind die Vorhersagen mit einigen Risiken verbunden, wie Gutachter Thomas Rust von Rambøll einräumte: „Mitte der 2020er-Jahre werden eine Reihe von für das Ladungsaufkommen positiven Effekten wie die Elbvertiefung sich abschwächen. Eine Verlagerung von Ladung wird es auch durch eine bessere infrastrukturelle Anbindung von Süd-Range-Häfen an der Adria geben und eine wachsende Zahl von Direktanläufen der Ostseehäfen.“

Ebenfalls Mitte der 2020er-Jahre werde sich der geringere Bedarf an fossilen Energieträgern auswirken. So dürften die Kohleimporte im Hamburger Hafen dann nicht mehr stattfinden, weil die Kraftwerke im Zuge der Klimaschutzpolitik der Bundesregierung nach und nach stillgelegt werden.

Verlust an Kohleimporten durch Einfuhr von Wasserstoff kompensieren?

Westhagemann will den Verlust an Kohleimporten am liebsten durch die Einfuhr von grünem Wasserstoff kompensieren, den er als Energieträger der Zukunft für Hamburgs Industrie sieht. Aber diesbezüglich zeigte sich Rust eher skeptisch. „Es wird in dem von uns beo­bachteten Zeitraum keine signifikante Wertschöpfungskette in neuen Indus­trien geben“, sagte der Gutachter.

Eigentlich könnte der Hamburger Senat damit auch seine Bemühungen zur Revitalisierung des ehemaligen Mittleren Freihafens auf Steinwerder einstellen. Doch daran hält Westhagemann fest: „Zusätzliche Umschlagterminals sollen dort nicht gebaut werden. Wir arbeiten aber an einer Weiterentwicklung der Flächen für eine hafennahe Industrienutzung“, sagte der Senator.

Der Hafenentwicklungsplan soll 2021 fertig werden

Ein anderes Projekt stellt der Senator jedoch mit Blick auf die künftigen Überkapazitäten im Hamburger Hafen infrage: die sogenannte Westerweiterung bei Eurogate, für die eigentlich der Petroleumhafen verfüllt werden soll. Der Plan: Auf einem 38 Hektar großen Areal würden zusätzliche Umschlagskapazitäten entstehen. „Wir müssen uns die Frage stellen und mit Eurogate besprechen, ob wir diese zusätzlichen Umschlagkapazitäten benötigen“, so Westhagemann.

Das Bauverfahren ist ohnehin juristisch in der Schwebe, weil von Anwohnern des gegenüberliegenden Elbufers dagegen geklagt wird. Hamburgs Wirtschaft ist aber auf einen raschen Planfeststellungsbeschluss angewiesen, weil an der Hafenerweiterung bei Eurogate ein zweites Bauvorhaben hängt, das der Hafen dringend benötigt: die Erweiterung des bestehenden Drehkreises für besonders mächtige Schiffe.

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Dessen Durchmesser soll von 480 auf 600 Meter wachsen, damit die derzeit gängigen größten Containerschiffe sicher in Hamburg wenden können. Denn auch das besagt die neue Studie: Der Güterumschlag im Hamburger Hafen weist langfristig ein nachhal­tiges Wachstumspotenzial aus, nur eben ein sehr moderates. Westhagemann machte deutlich, dass er das Gutachten als Grundlage für die Erstellung eines neuen Hafenentwicklungsplans nimmt, mit dem Anfang 2021 begonnen werden soll. „Ich hoffe, dass wir den Plan im nächsten Jahr fertigstellen können.“

Studie berücksichtigt erstmals Abschwächung der Globalisierung

Eine nicht zu unterschätzende Angriffsfläche bietet die Studie, die erstmals auch die Abschwächung der Globalisierung berücksichtigt hat: Die Auswirkungen durch die Pandemie, die zu deutlichen Ladungsrückgängen geführt hat, sind nicht enthalten.

Denn das Papier basiert auf Daten von 2019. Es könnte also noch schlimmer kommen. Der Umweltverband BUND sprach am Donnerstag jedenfalls schon mal Klartext: „Alle Erweiterungsprojekte wie zum Beispiel die Westerweiterung sind überflüssig und gehören gestoppt. Und der Stadtteil Moorburg ist umgehend aus dem Hafenerweiterungsgebiet zu entlassen.“