Hamburg. Vorstandschef Roland Werner erzählt, wie er das Hamburger Unternehmen aufstellen möchte und welche neuen City-Konzepte notwendig sind.
Vor mehr als 50 Jahren gründete Friedrich-Wilhelm Werner mit einem Kredit, einem Präsentationskoffer und einem Freund mit besten Verbindungen zur Kunststoff verarbeitenden Industrie in Hongkong das Hamburger Unternehmen Bijou Brigitte. Heute ist die Firma für Modeschmuck weltweit mit Geschäften vertreten und wird geführt von Roland Werner, dem Sohn des Firmengründers und Mehrheitsgesellschafters, der das Unternehmen nach dem französischen „bijou“ (Schmuckstück) und dem Namen seiner Ehefrau benannt hatte.
Der Vorstandschef wohnt in den Walddörfern und hält sich mit Laufen fit – in einer schwierigen Zeit, die den Anbieter von Ringen, Armreifen und Ketten in die roten Zahlen gebracht hat. Schließlich mussten die Filialen in Deutschland, aber auch in Ländern wie Spanien und Italien für Monate schließen. Wie es jetzt weitergeht im Einzelhandel und in dem börsennotierten Unternehmen, zumal in einer Welt, in der viele Menschen für das Klima auf Kunststoff verzichten wollen, beschreibt der sonst recht medienscheue 52-Jährige im Abendblatt-Interview.
Hamburger Abendblatt: Wie stark sind Ihre Erlöse in Corona-Zeiten eingebrochen?
Roland Werner: Wir hatten allein 2020 einen Umsatzrückgang um 38 Prozent, das sind 129 Millionen Euro Umsatz weniger im Vergleich zu 2019.
Wie wirkt sich die Krise auf die Zahl Ihrer Filialen aus?
Werner: Ende 2020 hatten wir 990 Geschäfte. Das sind netto 52 Standorte weniger als im Jahr davor.
Aber auch vor der Pandemie haben Sie Standorte geschlossen…
Werner: Das stimmt. In den letzten Jahren geht die Anzahl der Filialen langsam aber stetig zurück. Durch den zunehmenden Onlinehandel wird weniger im stationären Einzelhandel umgesetzt.
Wie verändert Corona den Einzelhandel?
Werner: Schon vor der Krise sind die Frequenzen in den Fußgängerzonen und Einkaufszentren zurückgegangen. Diese Entwicklung hat sich durch Corona nochmals verschärft. Etliche Einzelhändler werden diese lange Durststrecke nicht überleben. Das wird viele Lücken in die Einzelhandelslandschaft reißen. Während wir vor Corona teilweise Standorte weiterbetrieben haben, die eine schwarze Null geschrieben haben, sind diese Standorte nun unweigerlich verloren. Corona wird den stationären Einzelhandel stark bereinigen.
Haben Sie Corona-Hilfen bekommen?
Werner: Wir werden in Deutschland die Überbrückungshilfe III beantragen. Allerdings wird durch die Deckelung der Hilfen nur ein verschwindend geringer Teil der aufgelaufenen Kosten ersetzt. Des Weiteren haben wir hierzulande das Kurzarbeitergeld beansprucht. Auch in den anderen Ländern, in denen Bijou Brigitte Standorte betreibt, gibt es vergleichbare Regelungen.
Wie ist die staatliche Unterstützung in Deutschland organisiert?
Werner: Gleich zu Beginn der Pandemie während des ersten Lockdowns im März 2020 haben wir die Mitarbeiter in der Verwaltung und den Filialen in Kurzarbeit geschickt. Der letzte Lockdown, der mitten im umsatzstärksten Monat Dezember begann und bis Mai dieses Jahres anhielt, war mit einem enormen administrativen Aufwand verbunden.
Inwiefern?
Werner: Die Organisation war extrem aufwendig, weil es in jedem Bundesland, in jeder Region unterschiedliche Öffnungsregeln für den Einzelhandel gab.
Wie empfinden Sie persönlich die Coronakrise, als Privatmensch?
Werner: Diese Krise macht etwas mit einem. Gefühlt dauert sie bereits eine Ewigkeit. Teilweise zehrt sie die letzten Reserven auf. Und es hat sich fast alles anders entwickelt als man erwartet hat.
Welche Entwicklungen meinen Sie?
Werner: Die Dauer der Krise, die Entscheidungen der Regierung, den Lockdown immer weiter zu verlängern. Dieses Chaos hat mich persönlich betroffen gemacht – und natürlich auch in Bezug auf das Unternehmen. Als Nachfolger in zweiter Generation eines Familien-Unternehmens fühle ich mich verantwortlich für den Fortbestand der Firma.
Erlebten Sie auch Lieferschwierigkeiten aus China?
Werner: Rund 90 Prozent unserer Produkte beziehen wir aus China. Das größere Problem war eher der Absatz der Produkte als der Nachschub von Waren aus China.
Inwiefern?
Werner: Wir haben im Sommer 2020 gedacht, wir hätten das Schlimmste überstanden und die neuen Kollektionen bestellt. Als mit dem letzten Lockdown hierzulande das Weihnachtsgeschäft, der Schlussverkauf im Januar, das Ostergeschäft und der Muttertag ausgefallen waren, wären Lieferprobleme mit Waren aus China das geringste Problem gewesen. Wie sollen wir die Ware nun loswerden? Es widerspricht unserer Firmenphilosophie alles mit hohen Rabatten zu verkaufen. Denn schließlich hatten wir durch die stark gestiegenen Frachtraten auch höhere Kosten.
Wie empfinden Sie den Umgang Chinas mit der Pandemie?
Werner: Ich war wegen Corona in den vergangenen zwölf Monaten nicht mehr vor Ort und habe das persönlich nicht erlebt. Nur so viel: Dort wurde konsequent gegen das Virus vorgegangen. Die Bevölkerung wurde faktisch weggeschlossen, nur einmal in der Woche durfte eine Person pro Haushalt die Wohnung verlassen, um Lebensmittel zu kaufen. Das alles wurde von den lokalen Behörden kontrolliert, die teilweise auch die Türen der Wohnungen verriegelt haben sollen. Dazu kam eine konsequente Nachverfolgung der Kontakte.
Wie beurteilen Sie dieses Vorgehen?
Werner: Natürlich wurde dadurch das Virus relativ schnell eingedämmt. In Europa wäre so etwas nicht durchsetzbar. Eine konsequente Nachverfolgung von Infektionsketten mittels geeigneter App scheitert hier ja bereits am Datenschutz. Das Herunterfahren des gesamten öffentlichen Lebens, des Handels und der Industrie in der ersten Phase wäre vermutlich effektiver gewesen, als das ewige Hin und Her. Aber hinterher ist man ja immer schlauer.
Wie wirkt sich die Krise auf Bijou Brigitte in Hamburg aus?
Werner: An unserem Firmensitz in Poppenbüttel beschäftigen wir rund 550 Mitarbeiter, viele von Ihnen sind in Kurzarbeit und/oder im Homeoffice. In der Zentrale sind viele Büros verwaist. Bei unseren 16 Filialen in der Hansestadt erwarten wir eine gleichbleibende Zahl. Wir haben hier ein sehr stabiles Umfeld.
Ihre Eigenkapitalquote war stets luxuriös.
Werner: Ja, sie lag 2018 bei knapp 90 Prozent. 2020 lag sie bei nur noch 54 Prozent. Dieser Rückgang ist hauptsächlich ein technischer Effekt durch die neuen Regeln nach IFRS 16, die erstmals in 2019 angewandt wurden. Seitdem müssen die Mietverträge bilanziert werden, dies hat die Bilanzsumme aufgebläht. Unser Eigenkapital wird durch die hohen Verluste in den ersten Monaten dieses Jahres sinken. Die Eigenkapitalquote wird vermutlich leicht unter Vorjahr liegen.
Wie reagieren die Anleger auf den ersten Verlust in Ihrer Firmengeschichte, Sie mussten für 2020 einen Vorsteuerverlust von 33,7 Millionen Euro hinnehmen...
Werner: Anfang 2020 notierte unser Aktienkurs bei knapp 50 Euro, Ende des Jahres war er auf 22 Euro eingebrochen. Jetzt stehen wie bei knapp 28 Euro, und grundsätzlich spiegelt die Bewertung die Ungewissheit wider, in Bezug auf die Zukunft des stationären Einzelhandels und die unseres eigenen Unternehmens.
Kommt der Einzelhandel bald aus der Krise heraus?
Werner: Eher nicht. Die Insolvenzantragspflicht wurde während der Pandemie bis vor wenigen Wochen ausgesetzt, daher werden Insolvenzen erst später sichtbar. Es wird einige Lücken geben, auch noch Jahre nach Corona.
Sie sind ausschließlich in 1a-Lagen vertreten. Auch in Zukunft?
Werner: Ja, denn wir sind ein Begleitgeschäft zur Mode und profitieren von den Frequenzen in den guten Lagen. Nur dort lassen sich vernünftige Umsätze und Erträge generieren.
Trotz der hohen Mieten?
Werner: Das Niveau muss sich nach unten bewegen, die Mieten sind zu hoch. Wir nehmen jeden Mietvertrag unter die Lupe. Wenn wir an einem Standort den Eindruck gewinnen, hier perspektivisch keine Gewinne erzielen zu können, gehen wir raus. Andererseits sind wir natürlich an die Laufzeiten gebunden. In vielen Fällen haben wir bereits gute Einigungen erzielt und die Mietlast während der Lockdown-Phasen gerecht zwischen Vermieter und Mieter aufteilen können.
Auch in der Hamburger Innenstadt stehen Flächen leer…
Werner: Das ist richtig, zum Beispiel ist in der Spitalerstraße die Miete nicht mehr marktgerecht. Hier sind die Leerstände nicht nur Zeugnis eines rückläufigen Einzelhandels, sondern auch zu hoher Mieten.
Was muss sich ändern, damit Innenstädte attraktiv bleiben?
Werner: Konzepte mit mehr Gastronomie und kulturellen Angeboten müssen die Innenstädte beleben und Erlebnisse schaffen. Ich sehe es mit Sorge, dass in Hochfrequenzlagen in Hamburg, wie beispielsweise der Mönckebergstraße und der Spitalerstraße Lücken entstehen. Wie sollen diese Lücken geschlossen werden? Es gibt gar nicht so viele neue Filialkonzepte, die die Leerstände auffüllen könnten.
Zumal der Ruf nach weniger Konsum und mehr Klimaschutz laut wird. Wie reagieren Sie?
Werner: Die Nachhaltigkeit sollte überall eine wichtige Rolle spielen. Bei Bijou Brigitte fließen Nachhaltigkeitsaspekte deshalb in alle wesentlichen strategischen und operativen Entscheidungen ein. Wir müssen auch die nachfolgenden Generationen in den Blick nehmen. Studien belegen, dass nachhaltig wirtschaftende Unternehmen positiver wahrgenommen werden.
Gerade Ihre Kundschaft mit jungen Frauen ist oft besonders kritisch…
Werner: In der jüngeren Zielgruppe ist das Umweltbewusstsein stärker verankert. Ich kann grundsätzlich aber keine Zurückhaltung beim Kauf unserer Produkte feststellen. Doch vielleicht geht der Trend in Zukunft mehr zum Echtschmuck.
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Wie stellen Sie sich darauf ein?
Werner: Wir setzen mehr Recyceltes ein, etwa beim Silber und bei Stoffen für unsere Tücher, aber auch bei unseren Verpackungen. Unsere Verantwortung endet nicht an den Unternehmensgrenzen von Bijou Brigitte, sondern erstreckt sich auch auf die Beziehung zu unseren Lieferanten. Diese binden wir direkt in unsere Nachhaltigkeitsstrategie ein. Unser Supplier Code of Conduct beinhaltet beispielsweise grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und ist für alle Lieferanten, mit denen wir zusammenarbeiten, bindend.
Wie geht es Ihrer Branche grundsätzlich?
Werner: Wir haben genau wie der modische Einzelhandel enorm gelitten. Wir gehören zu den Krisenverlierern. Ich glaube auch nicht, dass wir 2022 wieder auf das Niveau vor der Krise zurückkehren werden. Die Kunden hatten lange Zeit, sich zu besinnen und haben Abstand vom Einzelhandel genommen. Über Generationen hinweg haben die Leute gelernt, wie bequem es ist, online einzukaufen.
Wie läuft bei Ihnen der Internethandel?
Werner: Sehr gut, aber nicht annähernd gut genug, um die Umsatzverluste in den Geschäften zu kompensieren. Unsere Produkte wollen die Kundinnen in den Händen halten und schauen, ob sie zu ihrem Outfit passen.
Wie ist Ihre Strategie für die nächsten Jahre?
Werner: Wir fokussieren uns auf den europäischen Markt. Es ist wichtig, hier unsere Marktführerschaft auszubauen. Wir sind in 21 Ländern in Europa vertreten und haben allein in Deutschland etwas unter 500 Filialen, das ist unser stärkster Markt.
Und außerhalb Europas? Sie waren früher auch in Florida.
Werner: Ja, aber der amerikanische Geschmack ist anders und es lohnte sich für uns nicht, dafür extra eigene Kollektionen aufzubauen. Stattdessen sind wir jetzt mittels Master-Franchisenehmern in Ländern wie Ägypten und Saudi-Arabien vertreten. Diesen Vertriebszweig wollen wir weiter ausbauen. Auch die Standorte in Kaufhäusern und bei führenden Textilhändlern, wo wir bestimmte Flächen mit eigenen Regalen nutzen, stehen für uns im Fokus.
Wie umkämpft ist der Markt?
Werner: Andere Ketten wie Claire’s ziehen sich eher zurück als dass sie wachsen. Auch Beeline ist inzwischen mit seinen Marken aus dem stationären Einzelhandel verschwunden. Die australische Handelskette Lovisa hat die Six- und I-am-Geschäfte in Deutschland und weiteren europäischen Ländern übernommen und führt sie unter eigenem Namen weiter.
Was ist jetzt Ihr wichtigstes Ziel?
Werner: Dass wir in die Gewinnzone zurückkehren.