Heiner Schmidt. Africrooze startete als reines Entwicklungshilfeprojekt. Jetzt geht man den nächsten Schritt. Was der „Tatortreiniger“ damit zu tun hat.
Der 36-Volt-Akku liefert Strom für 50 bis 60 Kilometer Reichweite und Höchsttempo 30. Sieben-Gang-Schaltung, 180-Millimeter-Scheibenbremsen, der Gepäckträger toleriert klaglos 100 Kilo Nutzlast, und auf den 26-Zoll-Schwerlastfelgen mit extrastabilen Speichen sind Stollenreifen montiert, die so breit sind wie ein handelsübliches Smartphone. Spätestens aber der Markenname auf den massiven Holmen de Rahmens verrät, für welches Terrain dieses Elektrofahrrad konzipiert ist und wo die Zielgruppe für dieses E-Bike namens Africrooze lebt.
„Wir stehen am Beginn einer E-Bike-Revolution in Afrika“, sagt Jürgen Perschon. Das hört sich an wie das übliche Marketing-Blabla von Junggründern mit abgefahrener Geschäftsidee auf der Suche nach Investoren. Beim 56 Jahre alten Studienrat Perschon verhält es sich anders. Er beschäftigt sich seit gut 25 Jahren mit Fahrrädern für und auf dem Kontinent.
E-Bike aus Bergedorf: Wie Schauspieler Bjarne Mädel das Start-up unterstützt
Die von dem Lehrer für Sport und Geografie gegründete NGO Eurist (European Institute for sustainable transport) hat E-Bikes speziell für Afrika entwickelt und bereits Hunderte Africroozes dorthin geliefert – als Entwicklungsprojekt. Nun aber hat sich die Non-Profit-Organisation einen kommerziellen und gewinnorientierten Arm zugelegt. Eurist ist Hauptgesellschafter der 2023 gegründeten Africrooze GmbH mit Sitz in Hamburg-Bergedorf. Im Herbst lässt das Start-up den ersten Container mit mehr als 100 E-Bikes nach Uganda bringen.
Angefangen hat all dies vor 25 Jahren als Perschon an der Universität Oxford promovierte. Gemeinsam mit einer Hilfsorganisation brachte er 300 in Deutschland ausgemusterte Fahrräder in ländliche Regionen des ostafrikanischen Landes und gab sie an Einheimische weiter. Später untersuchte er, wie sich die Lebensverhältnisse der Fahrradbesitzer verändert hatten. „Viele hatten sich weitere Einkommensquellen geschaffen und zwischen einem Drittel und einer Hälfte mehr Geld zurückgelegt als zuvor.“
E-Bike für Afrika: Premium-Hersteller entwickelte das erste Modell
Als hierzulande Mitte des vergangenen Jahrzehnts der E-Bike-Boom ausbrach, begann Perschon in Afrika Fahrräder auf Batterieantrieb umzurüsten. Im Berliner Premium-E-Bike-Start-up HNF-Nicolai fand er einen Designer für ein Rad, das den harten Anforderungen auf unbefestigten afrikanischen Landstraße standhält. Gebaut werden die Africroozes in Indien. Von Anfang an dabei: Patrick Kayemba von der First African Bicycle Information Organisation (Fabio), die sich für Entwicklung durch nachhaltige Mobilitätslösungen und insbesondere für Fahrräder starkmacht.
Kayembas Team hatte auch die Idee für den Markennamen. Wobei das Cruisen, das entspannte, ziellose Herumradeln auf dem E-Bike, wohl eher die Ausnahme ist. „Africroozes dienen als Taxi, Bauern bringen damit ihre Produkte selbst zum Markt, statt sie für weniger Geld an einen Händler zu verkaufen, auf ihnen wird Fisch tief ins Hinterland gebracht. Das Fahrrad wird so zum Business-Instrument für die Armutsbekämpfung“, sagt Perschon. Oder mit einem speziellen Anhänger zum Krankentransporter.
E-Bike aus Bergedorf: Bisher war es ein Entwicklungsprojekt
An finanzieller und ideeller Unterstützung mangelt es nicht. Finanziert wurde und wird das Projekt unter anderem von der deutschen Entwicklungsbank KfW, durch Spenden von Unternehmen und zweier Hamburger Rotary-Clubs. Perschons früherer Klassenkamerad, der Schauspieler Bjarne Mädel („Der Tatortreiniger“), ist hierzulande der Markenbotschafter. Robert Habeck (Grüne) fand, kurz bevor er Wirtschaftsminister wurde, nach einer Africrooze-Spritztour mit Mädel auf dem Gepäckträger lobende Worte für Produkt und Idee dahinter.
Schon bisher werden die E-Bikes nicht verschenkt, sondern zu einem – allerdings nicht kostendeckenden – Preis abgegeben. Eurist will das weiterhin tun, doch die Africrooze GmbH will im Grundsatz Gewinn machen, und Geschäftsführerin Ruth Steimann ist dabei auch auf der Suche nach weiteren Investoren und Gesellschaftern. Die allerdings sollten nicht vornehmlich „eine fette Rendite“ im Sinn haben, wie sie sagt. Steimann denkt mehr an „social Entrepreneurship“, dem der entwicklungspolitische Effekt mindestens ebenso wichtig ist wie die Gewinnmarge.
E-Bike für Afrika: Neue Investoren sind willkommen
Mit frischen Kapital sollen weitere Projekte zunächst in Uganda, später in anderen ostafrikanischen Ländern vorangetrieben werden. Schon heute wird in Uganda Zubehör wie Transporthalterungen für Wasserkanister gefertigt. Als Partner eines niederländischen Elektrolastenrad-Start-ups arbeiten die Bergedorfer am Aufbau einer Produktionsstätte im Land. Das Ziel ist, mehr Wertschöpfung in der Region zu erzielen. Es erinnert stark an das Kaffeeprojekt Solino des Hamburger Frosta-Chefs Felix Ahlers, der die Bohnen im Anbauland Äthiopien rösten und für den deutschen Handel verpacken lässt, statt Rohkaffee zu importieren.
In die neue Ära als Unternehmen startet Africrooze mit drei neuen Fahrradmodellen: stärkerer Akku, noch stabilerer Rahmen. Ein Allrounder, ein Cargobike, ein günstiges Einstiegsmodell als Jobbike für den Weg zur Arbeit, weil es in Uganda auf dem Land keinen öffentlichen Nahverkehr gibt. Und das E-Bike wird künftig einen tiefen Einstieg haben, den insbesondere Frauen schätzen. Auch das eine Anregung von Patrick Kayemba. Frauen gelten in großen Teilen Afrikas als Stützen der Mikrowirtschaft und besonders einfallsreiche, ausdauernde Gründerinnen und Unternehmerinnen, weiß Ruth Steimann
E-Bike aus Bergedorf: Es soll um die 800 Euro kosten
Der Zeitpunkt für den Markteintritt scheint günstig. „Die Nachfrage ist groß und lässt sich allein mit Spendenrädern nicht decken“, sagt Ruth Steimann. Doch es gibt Konkurrenz: Motorräder mit Verbrennermotor kosten im Land um die 1000 Euro. „Wir werden also günstiger sein müssen“, sagt Perschon. Doch selbst 800 oder 850 Euro, können die meisten Uganderinnen und Ugander wohl nicht aufbringen. Für die Bergedorfer geht es auch darum, mit lokalen Banken Finanzierungs-, Leasing-, Mietkauf- und Mikrokredit-Modelle zu entwickeln.
„Mit den ersten ein, zwei Containerladungen werden wir noch nicht in die Gewinnzone kommen, wir werden vieles erst mal ausprobieren müssen“, sagt Perschon. Und auch auf Frage, wo denn diese E-Bike-Akkus aufgeladen werden sollen, gibt es noch keine letzten Antworten. Gleichwohl ist Perschon überzeugt: „Die Frage ist, wann wir profitabel sein werden, nicht, ob wir es sein werden.“
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E-Bike für Afrika: Robert Habeck und Bjarne Mädel sind es gefahren
Eine andere Frage ist bereits beantwortet: Hierzulande soll das Africrooze nicht aus den Markt kommen. Bjarne Mädel und Robert Habeck werden einige der wenigen Deutschen bleiben, die auf den superdicken Stollenreifen des in Hamburg-Bergedorf entwickelten E-Bikes für Afrika herumgecruist sind.