Hamburg. Der Flugzeugbauer kann ein bekanntes Problem nicht abstellen. Auch andere Hamburger Unternehmen in der Luftfahrtbranche kämpfen damit.
Es ist gut ein Jahr her, da gingen die Daumen von Carsten Spohr und Guillaume Faury nach oben. Auf Finkenwerder erhielt die Lufthansa im Mai 2023 ihre 600. Airbus-Maschine, einen A321neo. Die beiden Vorstandsvorsitzenden strahlten in die Kameras.
Vor wenigen Wochen machte Lufthansa-Chef Spohr bei der Präsentation der Quartalszahlen ein ernstes Gesicht – und das hängt auch mit Schwierigkeiten bei Airbus zusammen. „Bei der A320neo-Maschine haben wir zurzeit Auslieferungsprobleme“, sagte Spohr: „Wir haben 5,5 Monate Verzögerung im Durchschnitt pro Flugzeug.“
Warum Lufthansa 5,5 Monate auf neue Airbus-Jets warten muss
Die neuen Flieger kommen also viel später als erwartet. Das ist schlecht für die Kranich-Linie, weil die Nachfrage der Passagiere nach der Corona-Krise weiterhin anzieht und die Maschinen längst für deren Beförderung eingeplant waren.
Knapp ein halbes Jahr Verspätung – ist das der übliche Rahmen für Verzögerungen bei Auslieferungen an Fluggesellschaften? Der DAX-Konzern lässt das offen. Als führender Flugzeughersteller sei man ständig im Gespräch mit den Kunden, sagte Airbus-Sprecher Daniel Werdung: „Die Inhalte dieser Gespräche behandeln wir vertraulich.“ Man agiere aber weiterhin in einem globalen, komplexen Umfeld.
Airbus-Chef Faury erwartet noch zwei bis drei Jahre lang Lieferkettenprobleme
Airbus-Chef Faury wurde vor wenigen Tagen auf der Luftfahrtmesse ILA in Berlin deutlicher. Die seit der Corona-Pandemie grassierenden Probleme in den Lieferketten dürften noch zwei bis drei Jahre anhalten, sagte er laut der Nachrichtenagentur dpa. Beispielsweise fehle es an Rohmaterialien wie Stahl, aber auch an Kabinenequipment, hieß es vom Konzern.
Zu Beginn der Pandemie hatte Airbus die Produktion zunächst um ein Drittel gekürzt. Die Zulieferer mussten folgen, bauten teilweise auch Personal ab. Dann belebte sich der Markt aber schneller als erwartet. Befürchtete Abbestellungen von Fliegern gab es kaum. Der Flugzeugbauer erhöhte die Raten kräftig.
Auch der Hamburger Zulieferer Diehl leidet unter problematischen Lieferketten
Im Frühjahr 2020 sollten vom Verkaufsschlager A320-Familie nur noch 40 Maschinen pro Monat gebaut werden. Für Ende 2026 wird die Rate 75 angepeilt – fast eine Verdoppelung und so viele wie nie zuvor. „Das Ziel bleibt unverändert“, sagte Werdung. Der Ausbau gehe aber nicht in dem Tempo voran, das Airbus sich wünsche, räumte Faury ein.
In Hamburg gehört Diehl Aviation mit 650 Beschäftigten zu den großen Zulieferern. Das Unternehmen liefert vor allem komplette Bordtoiletten für die A320-Familie und den Langstreckenjet A330 direkt an Airbus und ist damit ein Tier-1-Zulieferer. Man spüre „deutlich die Auswirkungen der problematischen Lieferketten und die Auswirkungen der weltweiten geopolitischen Lage“, sagte Guido van Geenen, Sprecher von Diehl Aviation.
Ratenhochlauf bei Airbus? Für Diehl eine „Herausforderung“
Die Materialknappheit betreffe die Luftfahrtindustrie seit einiger Zeit, auch die eigenen Zulieferer seien von Schwierigkeiten bei der Beschaffung betroffen und müssten unterstützt werden. Es werde sehr viel Zeit darauf verwendet, die Materialverfügbarkeit sicherzustellen. Zudem würden Fertigungsschritte in die eigene Produktion verlagert.
Aber: Ist der von Airbus geplante Ratenhochlauf dann überhaupt leistbar? Grundsätzlich sei dieser „sehr positiv: Die Luftfahrtindustrie zieht weiter deutlich an, und davon profitieren auch wir als einer der führenden Zulieferer“, sagte van Geenen. „Dennoch ist der Hochlauf unter den aktuellen Bedingungen eine Herausforderung für uns.“ Wie in der Vergangenheit auch schon mehrfach gezeigt, werde man ihn aber bewältigen.
Hamburger Airbus-Zulieferer sehen sich mit vielen Problemen konfrontiert
Das sei auch der Grundtenor bei den Hamburger Firmen in der Branche, sagte Nils Stoll. Er ist erster Vorsitzender von Hanse-Aerospace, dem nach eigenen Angaben mit 120 Mitgliedern größten unabhängigen Verein von Zulieferern und Dienstleistern der Luft- und Raumfahrtindustrie. „Den geplanten Hochlauf der Produktion bekommen die Mitgliedsunternehmen hin“, so Stoll.
Momentan stehe man aber vor einer Reihe von Problemen. In einer (nicht repräsentativen) Blitzumfrage von Hanse-Aerospace unter 20 Firmen wurde die schlechte Vorhersage als Hauptproblem erkoren. Die mittelständisch geprägten Unternehmen möchten also sowohl von Airbus als auch den Tier-1-Zulieferern eine verlässlichere Planung für ihre eigene Produktion haben. Laut Stoll hat sich in dem Bereich aber schon viel getan, man rede intensiv miteinander.
Hamburger Verband spricht von Insolvenzen in Zuliefererkette
Er sieht eher die nächstgenannten Punkte als gravierend an: Die Vorlieferanten seien häufig nicht lieferfähig. Durch dieses fremde Verschulden komme es zu einer ungeplanten Terminverschiebung. Zudem seien der Fachkräftemangel und die Finanzierung Hindernisse – auch wenn Airbus sich in letzterem Bereich im Zusammenspiel mit einer Bank um Verbesserungen bemühe.
Laut der Umfrage schwankt die Einschätzung der wirtschaftlichen Lage der Firmen momentan und in Zukunft von sehr schlecht bis sehr gut. „Wir sehen Insolvenzen in der Zuliefererkette – und es gibt Unternehmen, die wirtschaftlich angeschlagen sind“, so Stoll.
Stolls Firma Krüger Aviation hat gut gefülltes Auftragsbuch
Zudem dämpfe das Ergebnis der Europawahl mit dem Rechtsruck in vielen Ländern und den nationalistischen Tönen der dahinterstehenden Parteien die Stimmung. Schließlich versteht sich der Flugzeugbau historisch gewachsen als paneuropäisches Projekt.
Bei dem von ihm geführten Unternehmen seien die Auftragsbücher gut gefüllt. Krüger Aviation mit Sitz in Barsbüttel stellt vor allem Waschraumspiegel und Spiegelbaugruppen her, die an Tier-1-Zulieferer gehen. Seit kurzer Zeit kommen auch Fensterscheiben für die Kabine hinzu. An Airbus direkt werden Gleitstücke aus Kunststoff, die für Landeklappen und Notrutschen benötigt werden, sowie Rohmaterialien geliefert.
Trotz der Probleme – Airbus hält an Auslieferungsziel fest
„Im Vergleich zu früheren Jahren haben wir die Produktion verdoppelt“, sagt Stoll, dessen Mitarbeiterzahl binnen eines Jahres von etwa 50 auf 68 stieg. Bis vor rund einem halben Jahr kämpfte er mit Engpässen bei Schrauben, Gewinden und Klebstoffen. Doch das sei vorbei. Für die Firma sei nun eher das Erhöhen der Lagerbestände herausfordernd, weil einige Kunststoffe nur ab und an hergestellt würden. Kurzfristiges Nachbestellen ist daher nicht möglich.
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Die Zulieferer in Hamburg hätten gemischte Gefühle. „Alle freuen sich, dass die Auftragslage so überdurchschnittlich hoch ist“, sagte Stoll: „Aber alle haben ihre Schwierigkeiten, diese dankbare Situation zu managen – und das ist für die meisten eine große Herausforderung.“
Bei Airbus gibt man sich dennoch entspannt. Das Auslieferungsziel von etwa 800 Flugzeugen in diesem Jahr bleibe unverändert, so Werdung. Auch vom Rückruf Tausender Motoren des US-Konzerns Pratt & Whitney, die etwa jeden zweiten schon fliegenden A320neo antreiben und die Airlines stark belastet, erwarte man „keine Auswirkungen“.