Hamburg. Heftige Proteste am Arbeitsgericht und ein Anwalt mit dem Spitznamen „der Fertigmacher“. Wie der Richter die Sache gütlich regeln will.
Montagmorgen Hamburger Arbeitsgericht in der Osterbekstraße. Dichtes Gedränge vor Saal 319. Ein Gerichtsdiener schafft zusätzliche Stühle herbei, und dennoch muss die Tür offen bleiben, weil draußen noch Leute stehen, die der Verhandlung folgen wollen. Es geht um kein übliches arbeitsrechtliches Verfahren, sondern um ein Politikum.
Einer der Beteiligten ist der Reedereikonzern MSC. Eben jenes Unternehmen, das mit dem Hamburger Senat gemeinsame Sache machen und bei der Hamburger Hafen und Logistik AG einsteigen will. Dabei wird eigentlich gar nicht MSC verklagt, sondern ein Tochterunternehmen namens Medrepair, das Container repariert. Kläger ist der ehemalige Betriebsratschef der Firma, Wjatscheslaw Fur. Er geht gegen gleich zwei Entlassungsverfahren vor, mit der sich die Firma von ihm trennen will: einer krankheitsbedingten Kündigung und einer außerordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung.
Gefeuerter Betriebsrat: MSC hält vor Gericht an Kündigungen fest
Für Arbeitgeber ist Fur ein eher unbequemer Arbeitnehmervertreter. Mit Streiks der Belegschaft hat er 2019 die Einführung eines Tarifvertrags durchgesetzt. Zusammen mit Ver.di hat er immer weitere Vergünstigungen herausgeholt, zuletzt ein 13. Monatsgehalt.
Die Gewerkschaft Ver.di, die mit zahlreichen Vertretern dem Prozess beiwohnt, ist deshalb empört über das Vorgehen des Unternehmens. „Hier soll ein Betriebsratsvorsitzender grundlos entmachtet und entlassen werden. Das verstößt gegen die Mitbestimmungsrechte. Das können wir nicht hinnehmen“, sagt Gewerkschaftssekretär Lars Stubbe.
Wirtschaftsbehörde will sich zum Vorgang nicht äußern
Schon eine Stunde vor der Verhandlung haben sich zahlreiche Mitstreiter vor dem Gerichtsgebäude versammelt, sie tragen Transparente und Fahnen, es sind nicht nur Mitarbeiter von Medrepair. Auch von der HHLA sind Betriebsräte dabei. Denn sie fürchten das, was Stubbe jetzt ausspricht: „Dieses rücksichtslose Vorgehen gegen den Kollegen ist ein Vorgeschmack auf das, was uns droht, wenn MSC bei der HHLA einsteigt.“
Jana Kamischke, Vertrauensfrau bei der HHLA, ergänzt: „Mich würde interessieren, was der Senat dazu sagt, wie hier mit einem Betriebsrat umgegangen wird.“ Die Antwort gibt der Senat nicht: „Zu einzelnen personellen Vorgängen äußern wir uns nicht“, sagt ein Sprecher der Wirtschaftsbehörde.
Betriebsrat hatte Ende 2020 Schlaganfall erlitten
Vor Gericht stellt sich die Sache nicht so einfach dar, wie Ver.di-Funktionär Stubbe gesagt hat. Der Rechtsvertreter der beklagten Medrepair, Helmut Naujoks, legt dar, dass das Unternehmen jahrelang auf die gesundheitliche Einschränkung des Ex-Betriebsratschefs Rücksicht genommen habe.
Fur hatte Ende 2020 einen Schlaganfall erlitten und nach seiner Genesung ein Attest darüber, dass er möglichst stressfrei eingesetzt werden müsse. Naujoks, der sich selbst als konsequenten Arbeitgebervertreter bezeichnet, von der Hans-Böckler-Stiftung des DGB hingegen den Beinamen „der Fertigmacher“ erhielt, legt wortreich dar, dass man auf die besonderen Anforderungen von Fur jederzeit eingegangen sei.
Geschäftsführung soll sich bedroht gefühlt haben
Als dieser aber ein zweites Attest mit neuen Einschränkungen präsentiert habe, sei die Geschäftsführung überrascht gewesen und es sei zur krankheitsbedingten Kündigung gekommen – auch zum Schutze von Fur. „Jemandem zu kündigen, weil man ihn vor sich selbst schützen will, ist keine gute Begründung“, ruft daraufhin der Rechtsbeistand des Klägers, Michael Sommer, dazwischen.
Zur zweiten, verhaltensbedingten Kündigung sei es erst gekommen, als die Geschäftsleitung Fur darüber informierte. Dieser sei daraufhin ausfällig geworden und habe die Geschäftsführung massiv beleidigt. „Meine Mandantschaft hat sich bedroht gefühlt“, erklärt Naujoks. Zwei Mediationsgespräche, um sich mit dem Betroffenen zu einigen, seien ohne Erfolg verlaufen.
Einer Kündigung stimmte der Betriebsrat zu, der anderen nicht
Und dann packt Medrepair-Anwalt Naujoks sein juristisch schärfstes Argument aus: „Der Betriebsrat hat der krankheitsbedingten Kündigung zugestimmt“, sagt er. „Ja, warum eigentlich?“, fragt der Richter. Antwort eines Nachfolgers von Fur: „Wir mussten an die Kollegen denken. Wenn Slawa auf der Arbeit wieder etwas zustößt, kann er damit andere in Gefahr bringen.“
Der verhaltensbedingten Kündigung habe der Betriebsrat aber nicht zugestimmt, fragt der Richter. „Nein, da waren wir gar nicht dabei. Dazu können wir nichts sagen.“
Richter schlägt Gütetermin vor
Sehr viel dazu sagen kann aber der Rechtsanwalt des Klägers. Michael Sommer: „Zum zweiten Attest ist es nur gekommen, weil Herr Fur den Arzt gewechselt hat. Es hat keine neue Diagnose gegeben. Und überrascht kann die Geschäftsleitung schon gar nicht gewesen sein, weil der Betriebsarzt über alles informiert gewesen ist.“
„Hmm“, brummt der Richter, der zumindest die verhaltensbedingte Kündigung in Zweifel zieht. Er schaut etwas fragend in die Runde. „Es hat ja nun zwei Mediationsversuche gegeben. Aber vielleicht kann man sich doch auf einen offiziellen gerichtlichen Gütetermin verständigen, um sich zu einigen?“
Scharfe Kritik an MSC von der Linksfraktion
Diesem Vorschlag stimmen beide Rechtsanwälte zu. Man trifft sich wieder Ende August. Der Einzige, der sich während der Verhandlung gar nicht geäußert hat, ist Wjatscheslaw „Slawa“ Fur selbst. Er wüsste gern, wie es für ihn weitergeht.
Äußerungen gibt es stattdessen aus der Bürgerschaft, womit deutlich wird, dass dieses Verfahren die Politik erreicht hat. In einem Schreiben an den Haushaltsausschuss habe sich MSC kürzlich als Familienunternehmen dargestellt, das stolz auf die vertrauensvolle Beziehung zu seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sei. Die Wahrung von Arbeitnehmerrechten sei selbstverständlich, so die Linksfraktion. „Der aktuelle Prozess gegen den Betriebsrat einer MSC-Tochterfirma zeigt: Diese Zusicherung war eine Lüge! Die betriebliche Mitbestimmung ist der MSC-Tochterfirma anscheinend ein Dorn im Auge“, kritisiert David Stoop, der gewerkschaftspolitische Sprecher der Fraktion.
Um einen missliebigen Betriebsratsvorsitzenden loszuwerden, habe das Unternehmen sogar den „berüchtigten Fertigmacher-Anwalt“ Helmut Naujoks angeheuert, der 2019 für das Fingieren von Kündigungsgründen und Bespitzelung verurteilt worden sei. „Es ist eine Schande, dass SPD und Grüne eine Reederei als strategische Partnerin für den Hamburger Hafen ausgewählt haben, deren Tochterfirma offensichtlich mitbestimmungsfeindlich ist“, so Stoop.
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Die Reederei MSC hatte bereits in der vergangenen Woche betont, bei der Kündigung ein ordnungsgemäßes rechtliches Verfahren eingehalten zu haben, bei dem die zuständigen Arbeitnehmervertreter konsultiert worden seien. Am Montag äußert sie sich nicht. „Das ist ein laufendes Verfahren“, sagte ein Sprecher.