Hamburg. Ausbildung in Unternehmen in der Hansestadt verliert an Attraktivität. Was steckt dahinter? Die Antworten sind vielschichtig.

Paul, Eric und die Bärenkälte – das ist eine der Erfolgsgeschichten, die der Hamburger Ausbildungsmarkt in diesem Jahr schreibt. Die beiden 16-Jährigen haben im August als Auszubildende bei dem mittelständischen Kälte- und Klimatechnikunternehmen mit dem ungewöhnlichen Namen angeheuert. „Schule war nicht mehr so mein Ding“, sagen beide. Nach der 10. Klasse gingen sie ab und starteten in die dreieinhalb Jahre dauernde Berufsausbildung zum Mechatroniker. Jetzt lernen sie zum Beispiel, wie man Wärmepumpen installiert.

Weil es gerade ziemlich gut läuft in der Branche und absehbar auch in der Zukunft gut zu tun sein wird, haben Bärenkälte-Geschäftsführer Christian Greding und Personalleiter Sebastian Schlösser 2023 sogar sieben neue Azubis in das Langenhorner Unternehmen geholt. Fast doppelt so viele wie sonst in einem Jahr. Noch eine Erfolgsgeschichte und eher ungewöhnlich.

Azubis in Hamburg – immer weniger kommen aus dem Umland

Denn die Jahresbilanz 2023 zeigt: Der Ausbildungsmarkt in Hamburg tritt auf der Stelle und viele Lehrstellen können nicht besetzt werden, weil es immer weniger Bewerberinnen und Bewerber gibt. Das hat viel mit einem überraschenden Trend zu tun: Für Schulabgänger aus dem Umland ist es offensichtlich nicht mehr attraktiv, eine Ausbildung in Hamburg zu beginnen. Das Nachwuchskräfte-Reservoir, aus dem Betriebe in der Hansestadt lange Zeit erfolgreich schöpften, trocknet aus.

„Leider kommen auch in diesem Jahr wieder weniger Ausbildungsinteressierte aus den umliegenden Bundesländern zu uns – rund 1030 weniger als noch 2019“, sagte Bildungssenator Ties Rabe (SPD) bei der Vorstellung der Ausbildungsbilanz am Donnerstag. „Uns fehlen die Schleswig-Holsteiner.“ Warum eine Lehre in der Hansestadt bei jungen Menschen aus Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und eben auch Schleswig-Holstein an Attraktivität verloren hat, ist allerdings noch weithin unklar. Wahrscheinlich gibt es einen Mix von mehreren Gründen: weniger Schulabgänger in diesen Ländern, bessere Ausbildungschancen in der Nähe des Wohnorts, ziemlich sicher auch Wohnungsknappheit und hohe Mieten in Hamburg.

Handwerks-Präsident fordert mehr Azubi-Wohnheime

„Wir müssen die Ursachen zunächst analysieren, um dann gegebenenfalls Lösungen zu entwickeln“, sagte Rabe. Handwerkskammer-Präsident Hjalmar Stemmann sprach sich dafür aus, nach dem Vorbild von Studierenden-Wohnheimen mehr günstige Wohnmöglichkeiten auch für auswärtige Auszubildende zu schaffen.

Insgesamt haben in diesem Jahr in Hamburg 17.328 (plus 0,5 Prozent) junge Frauen und Männer eine Berufsausbildung begonnen, davon gut 5400 an rein schulischen Einrichtungen etwa für angehende Pflegekräfte, Erzieherinnen und Erzieher. In eine duale Ausbildung in einem Unternehmen und in der Berufsschule starteten knapp 12.000 Menschen – gegenüber dem Vorjahr waren das etwa 250 (2,2 Prozent) mehr. „Die Zahl der Berufsanfänger mit einem Schulabschluss aus Hamburg erreicht wieder das Vor-Corona-Niveau“, betonte Senator Rabe.

Lehrstellen-Rangliste: Mechatroniker sind jetzt auf Platz eins

Und offensichtlich zeigen auch die Werbemaßnahmen insbesondere für technische Berufe wie Mechatroniker, die für die Umsetzung etwa der Energiewende dringend notwendig sind, inzwischen Wirkung: In der Rangliste der Berufe mit den meisten Ausbildungsstartern sind die viele Jahre auf Rang eins rangierenden Bürokaufleute von Mechatronikern und Fachinformatikern auf Platz drei verdrängt worden.

Auffällig in der Statistik ist auch: Während in Handwerksberufen 6,4 Prozent mehr Ausbildungsverträge geschlossen wurden (insgesamt 2332), ging die Zahl bei der Handelskammer um 8,1 Prozent zurück auf insgesamt knapp 6500. Handelskammer-Präses Norbert Aust führte das zwar teils auf technische Nachwirkungen des Hackerangriffs auf die Kammer zurück, er sagte aber auch: „Wir müssen jungen Menschen noch stärker für eine duale Ausbildung begeistern.“ Deshalb schicke die Kammer seit diesem Jahr sogenannte Orientierungsmanager in Hamburgs Schulen.

Erfolgsmodell: Erst Praktikum, dann Lehrvertrag

In den Handwerksberufen haben sich nach Einschätzung von Kammer-Präsident Stemmann insbesondere Betriebspraktika als erfolgreich erwiesen, um Betriebe und angehende Azubis zusammenzuführen. „Mittlerweile sagen 30 Prozent der Azubis, dass sie sich nach einem Praktikum für das Unternehmen entschieden haben“, sagte er. Auch Paul und Eric haben es so gehalten, bevor sie ihren Ausbildungsvertrag bei Bärenkälte unterschrieben.

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Wie groß die Kluft zwischen Angebot an Lehrstellen und der Nachfrage bei jungen Leuten inzwischen ist, belegen die Zahlen der Arbeitsagentur: Ihr wurden 10.600 freie Ausbildungsplätze (plus 8,6 Prozent) gemeldet, es gab bei ihr aber lediglich knapp 6250 Bewerberinnen und Bewerber (minus 7,2 Prozent). Bis Ende September blieben allerdings gut 1000 Lehrstellen unbesetzt und 760 der bei der Agentur gemeldeten jungen Leute hatten keinen Ausbildungsvertrag geschlossen.

Azubis in Hamburg – immer weniger Bewerber

Arbeitsagentursprecher Knut Böhrnsen bezeichnete die Entwicklungen insgesamt gleichwohl als „sehr positiv. Die Betriebe wollen ausbilden, an Angeboten fehlt es nicht.“ Bildungssenator Rabe sprach von einer „sehr ordentlichen Bilanz“, sagte aber auch. „Den großen Trends können wir uns nicht entziehen: Die Mehrzahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger beginnt ein Studium, nicht eine Berufsausbildung. Für sie geht die Zahl der Bewerber weiter zurück.“ Hamburgs DGB-Chef Tanja Chawla plädierte dafür, gerade deshalb eine bestimmte Bevölkerungsgruppe stärker in den Blick zu nehmen: „Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, wie wir auch diejenigen erreichen, die es nicht aus eigner Kraft schaffen, sich einen Ausbildungsplatz zu beschaffen.“