Hamburg. Verband sieht energetische Sanierung der Wohnungsbestände als enorme Aufgabe. Baukosten sollen sinken – etwa durch dünnere Wände.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte für die Phase seit dem russischen Angriff auf die Ukraine mit allen seinen Folgen den Begriff „Zeitenwende“ geprägt. Andreas Breitner, Chef des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), ging jetzt noch einen Schritt weiter: Aus Sicht der Wohnungswirtschaft würde er eher von „Zeitenbruch“ sprechen, sagte er am Donnerstag auf dem „Genossenschaftstag“ seines Verbands in Hamburg.
Breitner bezog sich dabei nicht nur auf den Einbruch des Wohnungsneubaus. Wie berichtet, haben die sprunghaft gestiegenen Baukosten in Kombination mit gestiegenen Zinsen und nachlassender Nachfrage dazu geführt, dass in Hamburg die Zahl der genehmigten Neubauwohnungen von mehr als 10.000 im Jahr 2022 auf 5400 im Jahr 2023 zurückgegangen ist. „Dramatisch“, nannte Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein (SPD) diesen Rückgang um 46 Prozent auf der Tagung.
Energetische Sanierung der Wohnungen kostet in Hamburg 35 Milliarden Euro
Der VNW-Chef begründete seinen Begriff „Zeitenbruch“ auch mit der politischen Auflage an die Wohnungsunternehmen, ihre Bestände bis spätestens 2045 so energetisch zu sanieren, dass sie klimaneutral werden. Viele Unternehmen hätten sich bereits auf den Weg gemacht – auch, weil das Neubaugeschäft derzeit nahezu ruhe. Die Energiewende erfordere aber „gewaltige Investitionen, vor allem in die Gebäudehüllen und die Heizungskeller“, so Breitner.
Allein Hamburg habe diese auf 35 Milliarden Euro taxiert. In der Hansestadt mit ihren 1,9 Millionen Einwohnern gibt es rund 260.000 Wohngebäude mit knapp einer Million Wohnungen. Rund 130.000 davon werden von den Genossenschaften vermietet – allein auf sie kommen also Milliarden-Ausgaben zu.
VNW-Chef Breitner: Genossenschaften haben nicht „fett verdient“
In Schleswig-Holstein, wo es aufgrund der deutlich dünneren Besiedlung für 2,8 Millionen Einwohner mehr als dreimal so viele Wohngebäude gibt (knapp 850.000), würden die Kosten sogar auf 150 Milliarden Euro geschätzt, so Breitner. Für Mecklenburg-Vorpommern, das ebenfalls zum VNW-Gebiet zählt, gebe es noch keine landesweiten Zahlen. Aber allein ein großes Unternehmen mit 10.000 Wohnungen rechne mit Kosten für die energetische Sanierung von 450 Millionen Euro.
Breitner widersprach Äußerungen aus der Politik, auch gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen wie Genossenschaften hätten in den Jahren des Immobilienbooms „fett verdient“ und könnten das nun problemlos finanzieren: Vielmehr hätten sie vor allem in den Neubau investiert und bräuchten daher jetzt Fremdkapital, um die großen Herausforderungen im Bereich Bestandssanierung bewältigen zu können. Das sei jedoch nicht einfach, da Banken derzeit sehr zurückhaltend mit Finanzierungen seien.
Neue „Regelstandards“: Länder wollen dünnere Wände und Decken erlauben
Karen Pein, die schleswig-holsteinische Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) sowie Ina-Maria Ulbrich (SPD), Staatssekretärin im Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern, waren sich einig, dass die Baukosten gesenkt und die Genehmigungsverfahren beschleunigt werden müssten. Unter anderem würden dafür landeseigene „Regelstandards“ angestrebt.
- Mieten in Hamburg: Warum Genossenschaften keine Wohnungen mehr bauen
- Wohnung Hamburg: Genossenschaft verlangt 20 Euro Miete pro Quadratmeter
- Immobilien Hamburg: Otto Wulff will 165 Wohnungen bauen – der Bezirk bremst
Wie das Abendblatt berichtet hatte, möchte die Stadtentwicklungssenatorin den Unternehmen damit ermöglichen, einfacher und günstiger zu bauen, ohne Gefahr zu laufen, juristische Probleme zu bekommen. Sie hat dafür eine „Initiative für kostengünstiges Bauen“ ins Leben gerufen, die am Freitag zum zweiten Mal tagt. Als Beispiele für Bereiche mit Einsparpotenzial nannte Pein auf der Tagung „Tragwerk, Trittschall und technische Anlagen“. Gemeint ist unter anderem, dass dünnere Wände oder Geschossdecken möglich sein sollen. Zudem will die Senatorin den Bau kleinerer Gebäude bis sieben Meter Höhe wie Einfamilienhäuser ohne Genehmigung ermöglichen.
Solche „Regelstandards“ könnten die Baukosten um bis zu 25 Prozent senken, betonte auch Sütterlin-Waack. „Wir müssen wieder lernen, anders zu bauen“, so die Ministerin. „Wir müssen unsere Erwartungen reduzieren, oder wir werden gar nicht mehr bauen.“