Hamburg. Jürgen Brecht hatte ein Rad von VanMoof zur Reparatur gegeben. Dann wurde die Kultmarke insolvent – und das Fahrrad war verschwunden.

Eigentlich ging es nur um eine kleine Reparatur, als Jürgen Brecht sein Elektrofahrrad in die Werkstatt der niederländischen Fahrradmarke VanMoof in der Hamburger Innenstadt brachte. „Der Kettenschutz musste repariert werden“, sagt der Hamburger. Zwei Werktage, länger sollte es nicht dauern. Das war Anfang Juli vergangenen Jahres. Doch die übliche Nachricht mit Abholtermin kam nicht. Stattdessen war das teure E-Bike monatelang wie vom Erdboden verschwunden. Der 58-Jährige machte sich auf die Suche – mit überraschendem Ende.

Das hochgelobte Start-up VanMoof war im vergangenen Jahr in finanzielle Schieflage geraten. Am 18. Juli 2023 erklärte das zuständige Gericht in Amsterdam die Muttergesellschaft für insolvent. Für das Insolvenzverfahren wurden auch die Geschäftstätigkeiten in anderen Ländern eingefroren. Am 11. August 2023 beantragte schließlich die deutsche Tochter Insolvenz. Der sogenannte Service-Stützpunkt am Großen Burstah war bereits seit Wochen geschlossen. „Mein Pech war, dass ich mein Fahrrad genau in diesem Zeitraum zur Reparatur gebracht hatte“, sagt Jürgen Brecht gegenüber dem Abendblatt.

VanMoof: Die rästelhafte Odyssee eines Elektrofahrrads

Der Produktingenieur hatte sich drei Jahre zuvor nach längerer Suche für sein Traumrad entschieden, das Modell S3 der minimalistischen und für ihr Design ausgezeichneten Trendmarke. Kosten: 2000 Euro plus Reparaturpauschale und Diebstahlschutz in Höhe von 500 Euro. Gekauft hatte er online direkt in den Niederlanden. Schon damals habe ihn gewundert, dass auf der Rechnung die Rahmennummer des Rads nicht vermerkt war. Im Alltag spielte das keine Rolle. Die Rahmennummer war in der VanMoof-App, Voraussetzung für den Fahrbetrieb, korrekt übertragen worden. Die Verbindung funktionierte reibungslos.

Auch sonst wurden seine Eigentumsrechte nie infrage gestellt. Das Rad sei sehr fehleranfällig gewesen, mehrfach wurden Teile ausgetauscht. Dafür hatte er das Rad sogar in die Zentrale in die Niederlade geschickt. Die Geschäftsidee dahinter: Alle Teile von VanMoof-E-Bikes stammen aus eigener Herstellung. Reparaturen werden nur in eigenen Werkstätten durchgeführt. „Letztlich war an meinem Rad so viel kaputt, dass es praktisch komplett erneuert wurde“, sagt Jürgen Brecht, der als Senior Engineer bei Lufthansa Technik arbeitet.

VanMoof-Insolvenz: Kunden standen vor verschlossenen Türen

Nachdem 2021 ein lokaler VanMoof-Stützpunkt am Großen Burstah eröffnet hatte, wickelte er Wartung und Reparatur dort ab. Eigentlich lief das reibungslos, bis er im Juli 2023 für ihn völlig überraschend sein Rad nicht wieder zurückbekam. Schließlich fuhr Brecht los, um das Rad aus der Werkstatt zu holen – und stand vor verschlossener Tür. Langsam wurde er unruhig.

Jürgen Brecht auf seinem VanMoof-Rad, das plötzlich verschwunden war.
Jürgen Brecht auf seinem VanMoof-Rad, das plötzlich verschwunden war. © FUNKE Foto Services | Roland Magunia

Brecht wandte sich an VanMoof in Amsterdam. „Auch da habe ich keine Antwort bekommen“. Über die Seite des niederländischen Insolvenzverwalters kam er ebenfalls nicht weiter. Offenbar kein Einzelfall. Es machten Berichte in den sozialen Medien die Runde, dass bereits bezahlte und noch nicht gelieferte Räder wegen des laufenden Insolvenzverfahrens nicht oder nur gegen eine Servicegebühr in Höhe von 300 Euro herausgegeben würden. Auch Räder in Reparatur sollten davon betroffen sein. „Das hat man mir aber niemand angeboten“, so der Hamburger VanMoof-Fahrer.

VanMoof: Rahmennummer laut Unterlagen nicht bekannt

Niemand war zuständig. Das E-Bike blieb verschwunden. Jürgen Brecht hing weiter komplett in der Luft. Schließlich gelang es ihm, den Namen des deutschen Insolvenzverwalters in Berlin zu ermitteln, und er wandte sich direkt an die Berliner Kanzlei. Erst passierte lange nichts. Schließlich wurde er an ein Portal verwiesen, auf dem er seine Forderungen anmelden sollte. „Sämtliche Eigentümer würden benachrichtigt, wurde mir gesagt“, erinnert sich Brecht. Doch statt sein Rad zurückzubekommen, wurde ihm mitgeteilt, dass seine Rahmennummer bei VanMoof unbekannt sei. „Ich war total geschockt“, sagt Jürgen Brecht. Auch ein Screenshot der App samt Rahmennummer halfen nicht weiter. Das Rad blieb verschwunden.

Eigentlich hatte der Hamburger da schon fast aufgegeben. Doch wenig später die überraschende Wende. Im November, vier Monate nach der Insolvenz, empfing Jürgen Brecht plötzlich auf seinem Handy rätselhafte Signale von seinem verloren geglaubten Rad. Brecht hatte einen GPS-Tracker, einen sogenannten Airtag der Firma Apple, unter den Sattel seines VanMoof S3 geklebt. Dieser war offenbar durch ein Funksignal eines iPhones aktiviert worden und sendete ein Signal. „Ich konnte auf meinem Handy den Standort im Umland von Hamburg sehen“, sagt der Radfahrer.

VanMoof: Rätselhafte Signale auf dem Mobiltelefon

Er sah eine letzte Chance, doch noch an sein Fahrrad zu kommen, und ging zur nächsten Polizeiwache. Danach fuhr er mit Begleitung der örtlichen Wache zu dem Standort des Signals. „Das war schon abenteuerlich. Es war ja völlig unklar, was uns erwartet“, sagt er. Umso größer seine Verwunderung: In Lagerräumen eines Autohändlers stand sein Rad zwischen Dutzenden anderer VanMoof-Modelle.

Ein Mitarbeiter habe erklärt, dass diese aus der Insolvenzmasse der Radmarke stammten und verkauft worden seien. Die nächste Überraschung: Ohne viel Federlesens bekam er sein Eigentum zurück, nachdem er den Nachweis über die Rahmennummer in der VanMoof-App erbringen konnte und ein entsprechendes Übergabeprotokoll unterzeichnet hatte. Nach Abendblatt-Informationen nicht der einzige Fall, dass VanMoof-Räder in dem Lager abgeholt wurden. Der Rest ist inzwischen weiterverkauft.

VanMoof: Insolvenzverwalter kann nicht alle Räder zuordnen

Aber wie landeten die Räder von Jürgen Brecht und anderen in der Lagerhalle, statt an die Eigentümer zurückgegeben zu werden? Auf Anfrage des Abendblatts äußert man sich beim Berliner Insolvenzverwalter nicht zum konkreten Fall, sondern nur allgemein zum Vorgehen: „Soweit das dort (in dem VanMoof-Servicestützpunkt, Anmerk. d. Redaktion) zur Reparatur abgegebene Kundenfahrrad dem jeweiligen Kunden genau zugeordnet werden konnte, wurde es an ihn herausgegeben. War dies nicht der Fall, konnte es auch nicht an den Kunden übergeben werden.“

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Für Jürgen Brecht klingt das wie Hohn. Schließlich hatte er mehrfach sein Eigentum zurückgefordert. Warum seine Rahmennummer in den Firmenunterlagen nicht auftaucht, bleibt ein Rätsel. Seine Vermutung: Die Unterlagen von VanMoof wurden lückenhaft geführt. Deshalb gehörte sein Rad, wie andere auch, offenbar zu denen, die bei der Räumung des VanMoof-Stützpunkts Ende November in Hamburg in der Insolvenzmasse landeten und verkauft worden waren.

VanMoof: So geht es weiter mit der Trendmarke

Der insolvente Fahrradhersteller VanMoof hat nach dem Verkauf an die McLaren-Applied-Tochter Lavoie einen Neustart gemacht und verweist für alles, was vorher geschehen ist, an die Insolvenzverwalter in Berlin und Amsterdam. Für das zukünftige Geschäft unter McLaren-Management wurden neue, dezentrale Strukturen geschaffen. In Hamburg haben jetzt zwei Werkstätten die Lizenz für die Marke: Cult.Bike in Blankenese und We like Bikes in Winterhude dürfen die E-Bikes warten, reparieren und sogar neue Modelle verkaufen.

Jürgen Brecht ist inzwischen wieder regelmäßig mit seinem E-Fahrrad unterwegs. „Es hat ein paar Kratzer abbekommen. Aber ich bin einfach froh, dass ich es zurückhabe.“