Hamburg. Der langjährige Chef des Hamburger Familienunternehmens ist mit 89 Jahren gestorben. Er prägte über viele Jahre eine ganze Branche.
Ludwig Görtz ohne modische, gepflegte Schuhe? Unvorstellbar! Er war sozusagen Mr. Schuh. Wohl niemand kannte sich besser mit dem aus, was Frauen und Männer gewöhnlich an ihren Füßen tragen. Allerdings mochte er nicht wirklich gewöhnliche Schuhe. So kann es nicht verwundern, dass er seinem Gegenüber stets nach dem Blick ins Gesicht auf die Füße schaute – mit seinen freundlichen Augen.
Zu den Schuhen, die er dann wahrnahm, sagte er manchmal etwas, wenn sie ihm gefielen. Bei Missgefallen schwieg er, dachte sich wohl seinen Teil. „An den Schuhen lässt sich leicht erkennen, ob ein Mensch Sinn für Details hat“, sagte er einst dem Abendblatt. „Und man sieht schnell, ob jemand handfest ist oder nur oberflächlich glänzen möchte.“
Ludwig Görtz: Der Mann, der gute Schuhe liebte
Bei so viel Begeisterung für das Schuhwerk war die Berufswahl für den jungen Ludwig Görtz kaum noch eine Frage. Mit 26 Jahren stieg er in das Unternehmen ein, das sein Urgroßvater Johann Ludwig Görtz 1875 in Barmbek gegründet hatte. „Aus der Familientradition auszuscheren, wäre damals etwas geradezu Unerhörtes gewesen“, sagte Görtz. Dabei verließ sich der gelernte Industriekaufmann nicht nur auf die Tradition. Er reiste durch die Welt, aus den USA brachte er die Begeisterung für das dortige Unternehmertum mit und seine Faszination für die Firma IBM.
Zurück in Hamburg führte Görtz Computer im Familienbetrieb ein und gehörte so zu den Pionieren des Computerzeitalters unter Deutschlands Unternehmern. „Ich habe immer versucht, neue Wege zu gehen“, sagte er. Im Jahr 1980 übernahm Görtz von seinem Vater Gerd die Leitung des Unternehmens und holte erstmals einen familienfremden Manager mit in die Geschäftsführung.
In besten Zeiten hatte Görtz mehr als 200 Filialen
In den Jahren danach formte Ludwig Görtz aus dem Hamburger Schuhhändler ein nationales Unternehmen mit Filialen zwischen Flensburg und Füssen. In besten Zeiten hatte Görtz mehr als 200 Standorte und über 3000 Beschäftigte. Görtz machte nicht nur mit Eigenmarken wie Belmondo gute Geschäfte, er eröffnete auch Filialen mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie Görtz M, Görtz 17 und die Discountkette Hess.
Mit dem Einstecktuch in der Brusttasche seines Dreiteilers und der perfekt sitzenden Krawatte war der Unternehmer geradezu ein Inbild des ehrbaren Kaufmanns. Die Ideale der Hamburger Kaufmannschaft waren ihm wichtig. „Dass bei uns ein gegebenes Wort so viel zählt wie ein schriftlicher Vertrag, mag ja manchen Leuten altmodisch erscheinen“, sagte Görtz einmal. „Mir sind solche Grundsätze wichtig.“
Aber er kannte neben dem Erfolg auch Rückschläge. 2013 geriet das Traditionsunternehmen in eine schwere finanzielle Krise. Zu viel Ware, ein zu hoher Eigenmarkenanteil. Ludwig Görtz stand für die Situation gerade, übernahm die Verantwortung und stellte sich den Herausforderungen. Erst mit einer millionenschweren Finanzspritze, dann, indem er erstmals einen Investor ins Boot holte. Die Inhaberfamilie blieb damals mit 60 Prozent der Firmenanteile Mehrheitsgesellschafterin. Unter neuem Management und mit drastischen Einschnitten kam das Geschäft wieder auf Kurs.
Seniorchef mit Laptop und Smartphone
Der Patriarch, der sich vor mehr als zehn Jahren aus der operativen Leitung zurückgezogen hatte, war mit seinen Erfahrungen und seinem Rat weiterhin aktiv, kam mehrfach in der Woche ins Büro am Firmensitz in der Spitalerstraße. Oder er saß in seinem Arbeitszimmer zu Hause, arbeitete mobil mit Laptop und Smartphone.
Stichwort: Hamburger Innenstadt. Wie sehr dem Unternehmer Handel und Wandel seiner Geburtstagsstadt am Herz lagen, belegt auch sein Engagement im Trägerverbund Projekt Innenstadt e.V., dessen Gründungsvorsitzender er 35 Jahre lang war und zu dessen Ehrenvorsitzenden er danach berufen wurde. Dabei wetterte der Mann, der eher für die leisen Töne bekannt war, auch schon mal gegen die Politik, etwa, wenn es um die autofreie Innenstadt ging.
Familienunternehmen meldete 2022 Insolvenz an
Dass das Familienunternehmen im Zuge der Corona-Krise und den monatelangen pandemiebedingten Schließungen erneut in die Krise geriet und im September 2022 Insolvenz in Eigenverwaltung anmeldete, traf den langjährigen Firmenchef schwer. Er selbst war bei der Sitzung des Gesellschafterausschusses, in der der Beschluss gefasst wurde, natürlich auch dabei. „Unter den Umständen geht es mir nicht gerade sehr doll“, hatte er damals dem Abendblatt ungewöhnlich offen gesagt. „Mein Lebenswerk ist ins Wanken geraten.“
Wie sehr das der Realität entsprach, stellte sich einige Monate später heraus. Im Zuge des Insolvenz- und Sanierungsverfahrens beschloss die Familie Görtz, sich komplett aus dem Unternehmen zurückzuziehen und verkaufte sämtliche Anteile des stark geschrumpften Filialisten an den Unternehmer Bolko Kissling.
Ludwig Görtz sagte damals: „Die Firma Görtz existiert weiter.“ Er hoffe, dass mit dem neuen Investor auch ein Neustart gelingt. Danach hielt er sich mit Aussagen zum Unternehmen zurück, war kaum noch in der Öffentlichkeit zu sehen.
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Dass es über den Unternehmer, anders als über viele andere Lenker bekannter Firmen, keinen Wikipedia-Eintrag gibt, passt zu dem Hanseaten der alten Schule. Bekannt ist, dass Ludwig Görtz gerne in seinem 750 Hektar großen Jagdrevier in der Nähe von Mölln auf die Pirsch gegangen ist. Bis zuletzt reiste er mit seiner Ehefrau, liebte das warme Klima der Baleareninsel Mallorca.
Auch über die Familie, die als besonders zurückhaltend gilt, ist kaum etwas bekannt. Seine beiden Söhne Philipp und Robert Görtz haben bis zum Verkauf der Firmenanteile im Management des Schuhhandelsunternehmens gearbeitet. Seine erstgeborene Tochter war bereits vor einiger Zeit gestorben.
Ludwig Görtz: Er starb im Alter von 89 Jahren
Ludwig Görtz starb am 31. März 2024, am Ostersonntag. Er wurde 89 Jahre alt. Die Nachricht vom Tod der Branchenlegende verbreitete sich zunächst inoffiziell, unter anderem über eine Chatgruppe von früheren und heutigen Görtz-Beschäftigten, und löste große Trauer und Betroffenheit aus. Nähere Details wurden nicht bekannt.