Hamburg. Am Dienstag wurde die Schuhhandelskette zum Sanierungsfall. Einen Tag später spricht der Seniorchef exklusiv im Abendblatt.
Es ist ein Schock, der nicht nur den Hamburger Einzelhandel nachhaltig erschüttert, sondern in ganz Deutschland hohe Wellen schlägt. Der bekannte Schuhhändler Görtz, ein Traditionsunternehmen mit mehr als 140-jähriger Geschichte, hat am Dienstag die Reißleine gezogen und sich offiziell zum Sanierungsfall erklärt. Die Muttergesellschaft flüchtet sich ins Schutzschirmverfahren, zwei Tochterunternehmen gehen in die Insolvenz in Eigenverwaltung.
Am Tag danach spricht Seniorchef Ludwig Görtz im Abendblatt exklusiv über die Krise des Familienunternehmens, das er über Jahrzehnte geleitet und zum Marktführer der Branche bundesweit gemacht hat. „Unter den Umständen geht es mir nicht gerade sehr doll“, sagt er am Telefon. „Mein Lebenswerk ist ins Wanken geraten.“
Görtz: Erst Corona, dann der Krieg, nun die Inflation
Zuerst die Corona-Pandemie, jetzt der Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation und Sorgen vor weiter steigenden Energiepreisen drücken auf die Stimmung der Konsumenten – und haben bei der Schuhkette mit 160 Filialen in Deutschland und Österreich für drastische Umsatzeinbrüche gesorgt. „Schon seit Wochen waren wir immer wieder knapp an der Liquiditätsgrenze“, sagt Ludwig Görtz. Der 87-Jährige ist nicht mehr operativ im Geschäft tätig, aber weiterhin in die entscheidenden Vorgänge involviert.
Zur Zeit ist er mit seiner Frau auf Reisen und kümmert sich von unterwegs um Geschäftliches. Bei der Sitzung des Gesellschafterausschusses, die dem Antrag auf Insolvenz in Eigenregie vorangegangen war, durfte er selbstverständlich nicht fehlen. „Wir hatten lange gehofft, dass sich dieser Schritt noch verhindern lässt“, sagt der Unternehmer. Auch die Gründerfamilie, mit 60 Prozent Hauptanteilseigner von Görtz, habe erst vor einigen Monaten Geld ins Unternehmen gegeben.
Schon 2014 wurde es für Görtz turbulent
Für den Grandseigneur des Schuhhandels, der oft als Schuhkönig von Hamburg bezeichnet wird, ist die Lage bitter. Schon im Jahr 2014 war Görtz in schwere wirtschaftliche Turbulenzen geraten, aus denen sich das Unternehmen nur mit Hilfe eines externen Investors und einem langen und im Zuge eines schmerzhaften Restrukturierungsprozesses herausarbeiten konnte. „Vor Corona standen wir wieder gut da. Wir waren komplett schuldenfrei und hatten ausreichend Eigenkapital“, sagt Ludwig Görtz. Die Pandemie mit monatelangen Geschäftsschließungen habe das zunichte gemacht.
„Der Lockdown war ein Knockdown“, sagt Görtz. Dabei ist seine Stimme gewohnt nüchtern und fest. Der erfahrene Handelsexperte, ganz hanseatischer Kaufmann, behält die Fassung. Sieht er Fehler bei der Geschäftsleitung bei der Bewältigung der Krise? „Nein“, sagt er, „es sind die äußeren Umstände, die dazu geführt haben.“
Der stationäre Handel verliert immer mehr Kunden
In den vergangenen Wochen hatten sich die schlechten Nachrichten offenbar fast täglich zugespitzt. Nachdem Görtz noch zuversichtlich in das laufende Jahr gestartet war, ist die Einkaufslaune inzwischen komplett gekippt. Geschäftsführer Frank Revermann hatte schon vor Wochen ungewohnt deutlich über die Schwierigkeiten bei dem Einzelhändler gesprochen. „Mit Kriegsbeginn hat der Kunde entschieden: Ich will jetzt nicht mehr einkaufen“, sagte er im August dem Branchenblatt „Textilwirtschaft“.
„Das haben wir sofort gespürt – auch im Netz. Stationär sind die Frequenzen in allen Läden deutlich eingebrochen.“ Zugleich leidet das Unternehmen unter Kostensteigerungen vor allem für Energie und unter der hohen Schuldenlast aus den beiden schwierigen Corona-Jahren 2020 und 2021. Im Bundesanzeiger wird für 2020 ein Verlust von mehr als 30 Millionen ausgewiesen. Neuere Zahlen liegen offiziell nicht vor.
Görtz-Filialen sind weiter geöffnet
Mit dem Schutzschirmverfahren, einer besonderen Form des Insolvenzrechts, will sich das Unternehmen jetzt in Eigenverantwortung sanieren. Für die 1800 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Traditionsunternehmens beginnen damit unsichere Zeiten. Viele sind seit Jahrzehnten bei dem Unternehmen beschäftigt und bangen nun – nach der Krise 2014 – erneut um ihre Arbeitsplätze.
Der Geschäftsbetrieb läuft erstmal normal weiter. Alle Filialen und auch der Onlineshop sind weiter geöffnet. Löhne und Gehälter für die Monate September, Oktober und November werden von Bundesarbeitsagentur gezahlt.
Görtz bastelt am Sanierungsplan
Die Geschäftsführung bleibt im Amt. Unterstützt von Sanierungsexperten – darunter der vorläufige Sachwalter Sven-Holger Undritz von der Rechtsanwaltskanzlei White & Case – will sie Gespräche mit Lieferanten und Vermietern führen, um neue Verträge auszuhandeln und Kosten einzusparen. Ziel sei es, „die gerichtlichen Sanierungsverfahren von Görtz jeweils zügig mit einem Sanierungsplan abzuschließen“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Betroffen sind neben der Muttergesellschaft, der Ludwig Görtz GmbH, auch die Retail-Gesellschaft, die das Filialgeschäft bündelt, sowie eine Logistiktochter. „Wenn die Gläubiger diesem Plan zustimmen und das Gericht ihn bestätigt, wird der Erhalt und die nachhaltige Fortführung von Görtz gesichert“, teilte das Unternehmen am Dienstag mitgeteilt.
Görtz: Die Ladenmieten sollen runter
Davon, dass das gelingen kann, ist Seniorchef Ludwig Görtz überzeugt. Durch die neue rechtliche Lage im Insolvenzverfahren eröffneten sich jetzt ganz andere Möglichkeiten als früher.
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„Wir müssen jetzt vor allem mit den Vermietern verhandeln. Die Mieten vieler Filialen sind in der aktuellen wirtschaftlichen Situation viel zu hoch“, sagt Görtz. Veränderungen in der Gesellschafterstruktur seien nicht geplant. „Ich bin für die Firma voller Hoffnung“, sagt er. Görtz sei ein starkes Unternehmen und in Deutschland der einzige Schuhhändler mit nationaler Reichweite im Premiumbereich.