Hamburg. Rainer Abicht betreibt Hamburgs größte Barkassenflotte. Zum Jubiläum spricht er über schlaflose Nächte, Heavy Metal und Adelige an Bord.

Plötzlich steht er da. Mittelgroß, schlank, Pullover, Jeans. Ein Reeder ohne Goldknöpfe und Jackett. Völlig unprätentiös. Und dennoch ein König „Guten Tag. Mein Name ist Rainer Abicht“, sagt er und schaut sein Gegenüber etwas skeptisch an. Von dem Treffen mit dem Abendblatt hat er nichts gewusst. Das haben seine Familie und enge Mitarbeiter hinter seinem Rücken eingefädelt. So geht es zu bei den Abichts.

„Haben Sie einen Moment Zeit?“ „Na klar“, antwortet er. Rainer Abicht ist der ungekrönte König der Hamburger Hafenrundfahrten. Er betreibt 31 Schiffe, davon 17 Barkassen und 14 sonstige Fahrgastschiffe wie den ersten Schaufelraddampfer auf der Elbe, die „Louisiana Star“. Eine Handvoll Anbieter gibt es im Hafen, aber keiner ist so groß wie Abicht. Der Marktanteil seiner Elbreederei liegt bei mehr als 50 Prozent und wächst weiter. „Das liegt aber auch daran, dass andere aufgekauft wurden“, sagt er.

Hamburger Hafen: Jubiläum für König der Rundfahrten

Am Ostermontag feiert Abicht Jubiläum: 65 Jahre ist er dann im Dienst. Am 1. April 1959 hatte Abicht seine Lehre als Großhandelskaufmann bei der Firma Mehling Schweißelektroden begonnen. An den Tag kann er sich genau erinnern. Im Bürohaus am Alstertor 1 gab es genau zwei Fahrstühle, einen Paternoster und einen richtigen Lift für die Geschäftsführung. „Bonzenheber“ nannten sie den Fahrstuhl. „Für uns blieb nur der Paternoster.“

Abicht stammt aus einer maritimen Familie. Sein Onkel war Schiffbauprofessor. Sein Vater, Kurt, betrieb zwei Werften, eine auf Steinwerder und eine am Osterbekkanal. Und nebenher hatte er drei Hafenbarkassen. Nicht für Hafenrundfahrten. Früher gehörten zum Hamburger Hafen Arbeitsbarkassen, als Zubringer und Transporteur von Stückgut zu den Schiffen, die an den Dalben mitten im Hafenbecken lagen und nicht direkt an der Kaikante.

Rainer Abicht trotzte dem Wunsch des Vaters, die Werften zu übernehmen

Doch mit dem Wandel der Handelsschifffahrt und der zunehmenden Containerisierung starb das Barkassengeschäft mehr und mehr aus. Abichts Vater wollte, dass sein Sohn die Werften übernimmt, da er nicht davon ausging, dass man vom Barkassengeschäft allein leben könne.

„Ich wollte aber nicht“, erinnert sich Rainer Abicht. „Ich hatte schon vor meiner Lehre auf der Werft mitgearbeitet. Und ich sah, wie mein Vater nach der Reparatur von Schiffen hinter seinem Geld herlaufen musste, weil die Kunden nicht zahlten. Bei den Barkassen ist das andersherum. Da bekommt man sein Geld vor Fahrtantritt.“

Fähren der Hadag gruben Abicht anfangs das Geschäft ab

Abicht ist ein Mann der Zahlen. Schon im zweiten Lehrjahr trug er den Spitznamen „der Prokurist“. Man sagt ihm zudem ein fotografisches Gedächtnis nach. „Ich kann lesen. Ich verfolgte in den Zeitungen, wie in Hamburg immer mehr Hotels aufmachten und zog daraus meine Schlüsse.“ Während sein Vater bis zu seinem Tod 1988 auf die Werften setzte, sah sein Sohn seine Zukunft im Barkassengeschäft.

Anfangs bot er nur Hafenfahrten an, weil die Hadag den Titel „Hafenrundfahrten“ für sich alleine beanspruchte. Das konnte das Unternehmen aber nicht lange durchhalten. Irgendwann verlegte es sich ohnehin im Schwerpunkt auf den Fährbetrieb – ein Geschäftsfeld, von dem Abicht die Finger ließ, ebenso wie von der Hotellerie. „Ich bin kein Gastronom“, sagt er. „Meine Leidenschaft sind die Schiffe.“

Start mit drei Barkassen und zwei Rentnern als Schiffsführer

Eine Rot-Grün-Seeschwäche hinderte ihn daran, selbst ein Patent als Schiffsführer zu erwerben, aber er kannte den Hafen wie kaum ein anderer und die Geschichten und die Döntjes, die man sich über ihn erzählte. Also bot er Touristenfahrten an, bei denen er den staunenden Hamburg-Besuchern aus Wanne-Eickel bis Berchtesgaden den Hafen näherbrachte.

Am Anfang hatte Abicht drei Barkassen und zwei Rentner als Schiffsführer. „Ich war der kleinste unter den Hafenrundfahrten.“ Dass er heute der größte ist, hing mit seiner Begabung für Zahlen und mit seiner Beharrlichkeit zusammen. „Mein Vater hat mir beigebracht, dass man ein Ziel vor Augen haben muss.“ Das hatte er.

Null Einnahmen in der Corona-Krise – trotzdem kaufte Abicht neue Schiffe

Abicht vergrößerte seine Flotte. Er kaufte neue Schiffe, als andere zögerten. Selbst im Lockdown der Corona-Pandemie übernahm er mit der MS „La Paloma“ ein völlig neues, elegantes, 45 Meter langes Fahrgastschiff. Und das zu einem Zeitpunkt, als niemand fahren durfte und Abicht wie seine Kollegen sich mit der Corona-Hilfe des Bundeswirtschaftsministeriums über Wasser halten musste.

Rainer Abicht an Bord seines Fahrgastschiffes MS „Concordia“ an den Landungsbrücken. Im Hintergrund legt der Raddampfer „Louisiana Star“ ab.
Rainer Abicht an Bord seines Fahrgastschiffes MS „Concordia“ an den Landungsbrücken. Im Hintergrund legt der Raddampfer „Louisiana Star“ ab. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Hatte er keine schlaflosen Nächte? „Doch jede Menge. Aber ich sagte mir, irgendwann muss die Krise vorbeigehen. Und so kam es. Heute wachsen die Tourismuszahlen in Hamburg wieder und damit mein Geschäft.“

Seine neuste Erfindung: Hafenrundfahrten für Heavy-Metal-Fans

Längst lebt das Unternehmen mit den blau-weiß gestrichenen Schiffen und dem großen geschwungenen A in der Flagge nicht mehr nur von Hafenrundfahrten, sondern bietet viele Charterfahrten an und ist auch für Veranstaltungen buchbar. „Bei Firmen sind wir beliebt. Die wissen, dass ihnen die Mitarbeiter auf dem Wasser nicht davonlaufen können.“ Ihm zur Seite stehen seine Frau Iris, mit der er seit 16 Jahren verheiratet ist, sowie Sohn Roman, der die Firma einmal übernehmen soll.

Gemeinsam mit dem weiteren Geschäftsführer Dragan Botic denken sie sich ständig neue Produkte für ihre Hafenrundfahrten aus. Es gibt Party Bingo an Bord, Ausfahrten mit Lesungen, Konzerten, Familienfeiern, sogar eine Heavy-Metal-Cruise hat Abicht vor Kurzem durchgeführt. „Wir hatten eine Anfrage und dann innerhalb kürzester Zeit 330 Tickets verkauft.“

Hamburger Hafen: Abicht kommt auch mit 80 Jahren noch täglich ins Büro

Dass die Fahrten gut gebucht sind, dafür sorgt eine eigene Marketingabteilung, die Abicht in seinem Unternehmen eingerichtet hat. Außerdem bietet er ein Extra, dass andere Anbieter scheuen. Bei Abicht kann man bis kurz vor Fahrtantritt kostenlos stornieren. „Dieses Angebot hat unsere Buchungen in die Höhe getrieben, weil es den Kunden Sicherheit gibt. Und die Zahl der tatsächlich abgesagten Fahrten ist dagegen kaum messbar gering.“ Ein Mann der Zahlen eben.

Alles, was Abicht, der auch ehrenamtlich engagiert ist, erreicht hat, ist die Folge von Glück, Mut und viel Fleiß. Noch heute im Alter von 80 Jahren kommt er jeden Tag, auch an den Wochenenden, in sein Büro am Johannisbollwerk. Und ebenfalls täglich macht er einen Abstecher auf die gegenüberliegende Straßenseite zu den Landungsbrücken, an denen seine Schiffe liegen. Und begrüßt jeden seiner 160 Mitarbeiter, den er trifft, namentlich mit Handschlag und klönt kurz mit ihm. Urlaub? „Das ist für mich ein Fremdwort. Mit mir spricht man Deutsch.“

Königin Camilla und König Charles III. waren im März 2023 zu Besuch in Hamburg. Der britische Monarch machte dabei auch eine Hafenrundfahrt – auf einem Schiff von Rainer Abicht.
Königin Camilla und König Charles III. waren im März 2023 zu Besuch in Hamburg. Der britische Monarch machte dabei auch eine Hafenrundfahrt – auf einem Schiff von Rainer Abicht. © DPA Images | Jonas Walzberg

Greade ist er wieder am Anleger, als die „Lousiana Star“ ablegt, trotz ihrer Größe mit nur einer Handvoll Gästen an Bord. Die Fahrt ist wohl ein Minusgeschäft? „Mag sein“, sagt Abicht. „Aber abgerechnet wird zum Schluss. Und dann stimmen die Zahlen“, sagt der Barkassenkönig gut gelaunt.

Mehr zum Hafen

Abicht kennt viele Promis. Und einen echten König hatte er vergangenes Jahr auch schon zu Gast: „King Charles machte mit dem Bürgermeister auf unserer ,Hamburg‘ eine Hafenrundfahrt“, berichtet er, ohne das näher auszuführen. Auf Nachfrage räumt er ein, dass er selbst damals nicht mit an Bord war. Aber auf der Brücke seines Unternehmens ist er immer zu finden.