Hamburg. Hans-Walter Peters war zwei Jahrzehnte persönlich haftender Gesellschafter der Berenberg Bank und sitzt beim Zweitligisten im Kontrollgremium.
Hans-Walter Peters ist einer der bekanntesten Banker im Land. Über 20 Jahre war er persönlich haftender Gesellschafter der Berenberg Bank, in der Finanzkrise pflegte er enge Kontakte zur Kanzlerin. Fünf Jahre lang war er Präsident des Bundesverbandes Deutscher Banken. Der 68-Jährige sitzt im Aufsichtsrat der HSV Fußball AG. Ein Gespräch über die Krise in Deutschland, den Elbtower, Hamburgs Verkehrspolitik und Gründe für Zuversicht.
Hamburger Abendblatt: Krisenszenarien aller Orten. Wäre Deutschland eine Aktie, würden Sie jetzt kaufen, verkaufen oder doch empfehlen, die Aktien zu halten?
Peters: So bitter es ist, auf dem aktuellen Niveau würde ich noch verkaufen. Zurzeit schrumpft die deutsche Wirtschaft, der Boden dürfte bald erreicht sein. Aber es fehlt an Wachstumsimpulsen. Auf dem Immobilienmarkt ist das Ende der Krise noch nicht einmal absehbar, weil sich die großen Investoren wie Versicherungen oder Pensionskassen zurückhalten. Und traditionell wichtige Branchen wie Autohersteller, Maschinenbau und Chemie lecken noch immer ihre Wunden, die der Krieg und die Explosion der Energiepreise gerissen haben.
Immerhin fallen jetzt die Preise für Gas und Strom – ist das kein Hoffnungszeichen?
Es ist gut, dass die Energiepreise fallen: Das senkt die Inflationsraten. Doch der Schock in den Unternehmen sitzt tief. Um die Wirtschaft wieder nachhaltig in Gang zu bekommen, benötigen wir Investitionen. Dafür brauchen Unternehmen, egal ob Mittelständler oder Industriekonzerne, Planungssicherheit. Konstante Energiekosten gehören dazu. Alle Prognosen gehen aber von steigenden Strompreisen aus.
Das schwindende Vertrauen verschlimmert die Lage
Ich spüre in Gesprächen mit Unternehmern eine grundsätzliche Vertrauenskrise …
Das Vertrauen fehlt, übrigens auch weil die Politik selbst über die Wirtschaft schlecht spricht. Wirtschaftsminister Habeck nennt die Lage „dramatisch schlecht“, Finanzminister Lindner „peinlich“. Das kann man mit einer Fußballmannschaft vergleichen: Wenn der Trainer dem Team ständig erzählt, dass es überhaupt nicht läuft, geht das letzte Selbstvertrauen verloren und es wird dauern, sich davon wieder zu erholen.
Dann geht es Deutschland wie dem HSV?
Peters (lacht): Ich hoffe nicht … Im Ernst: Beim HSV kann sich das Problem schnell lösen, wenn man zwei, drei Spiele gewinnt. Bei der deutschen Wirtschaft wird es länger dauern.
„Deutschland ist wieder der kranke Mann Europas“
Wir haben vor 20 Jahren schon einmal erlebt, dass Deutschland der kranke Mann Europas war. Hat es uns erneut erwischt?
Ich fürchte ja. Und schlimmer noch: Die Wirtschaft wird aus meiner Sicht alleine gelassen. Es gibt keine Steuersenkungen, die Entbürokratisierung kommt nicht voran, stattdessen erleben wir Elemente einer Planwirtschaft. Natürlich müssen wir uns Ziele im Klimaschutz setzen, aber die Politik darf doch nicht jede Wegmarkierung bestimmen, wie diese Ziele zu erreichen sind. Um erfolgreich zu sein, benötigen wir Innovationen und die freie Entscheidung der Unternehmen. Nur dann setzen sich die besten Konzepte durch.
Sie sind viel im Ausland unterwegs. Wie blickt man dort auf Deutschland? Mit Überraschung, mit Entsetzen, mit Schadenfreude?
Das ist schon schockierend: Im besten Fall ist es ein Kopfschütteln, ich nehme aber auch totales Unverständnis wahr. Es ist überall angekommen, dass wir echte Probleme haben. Viele fragen, wie es sein kann, dass Deutschland so plötzlich ausfällt. Wir waren ein Jahrzehnt – auch dank der Arbeitsmarktreformen von Gerhard Schröder – die Wachstumslokomotive in Europa. Unsere Handelspartner benötigen eine starke deutsche Wirtschaft.
Hans-Walter Peters fordert eine konzertierte Aktion für den Standort
Das deutsche Geschäftsmodell ist zusammengebrochen. Die Globalisierung wird rückabgewickelt, von der unsere Exportunternehmen profitiert haben. Die Friedensdividende ist aufgezehrt. Und billige Energie aus Russland für die heimische Industrie gibt es nicht mehr. Brauchen wir ein neues Geschäftsmodell?
Zumindest ist es Zeit für eine konzertierte Aktion in Deutschland: Politik und Wirtschaft müssen sich an einen Tisch setzen, um zu schauen, wie wir das Schiff wieder flottbekommen. Ich war gerade in Südafrika: Dort stellen sich Menschen wie Unternehmen ständig die Frage, wie sie besser werden können. Das ist der Geist, aus dem Wettbewerb und Dynamik entstehen. Diesen Spirit vermisse ich hier. Wir müssen diese Dynamik wieder entfachen, die Unternehmen sind ja noch da. Aber so, wie es die Politik jetzt macht, wird es nicht funktionieren.
GDL-Streik macht Peters fassungslos
Weil Sie vom Schiff sprachen. Sie kennen Olaf Scholz sehr gut aus seiner Hamburger Zeit als Bürgermeister und dann als Finanzminister. Erkennen sie Kapitän Scholz noch wieder?
Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben uns immer sehr gut verstanden. Es ist aber etwas anderes, Bürgermeister oder Finanzminister zu sein, als jetzt als Kanzler in einer Dreierkonstellation zu regieren. Wie kann er sich da als Kanzler positionieren? Diese Kanzlerschaft ist deutlich schwieriger als in früheren Konstellationen. Das ist ein Grund mehr für eine konzertierte Aktion mit allen Parteien, den Verbänden, den Unternehmen und Gewerkschaften.
Wahrscheinlich außer der GDL?
Definitiv. Dieser Streik macht fassungslos – in vielen anderen Ländern ist das flächendeckende Lahmlegen der kritischen Infrastruktur unmöglich. Bei uns kann derzeit ein einzelner Gewerkschaftsführer dem Klima und der Wirtschaft zugleich schaden. Auch wenn es einen Tarifabschluss gibt, ist das Problem nicht gelöst: Wer wird die Kosten tragen: die Fahrgäste, der Steuerzahler? Was macht das mit den Klimazielen? Und wie bauen wir das Angebot aus, wenn es schon jetzt an Lokführern mangelt? Das alles geht zulasten der Konjunktur und der Reputation unseres Landes.
„Hinter uns liegen großartige Jahre“
Ein Streik jagt den nächsten – erkennen Sie Deutschland noch wieder?
Hinter uns liegen großartige Jahre, wir haben unseren Wohlstand ausgebaut, aber in diesen fetten Jahren haben wir manches aus dem Fokus verloren. Wir fragen uns nicht, was wirklich wichtig für unseren Standort ist, sondern beschäftigen uns mit ganz anderen Dingen. Schauen Sie doch nur die Talkshows an – da geht es ganz oft um das Klima oder jetzt die Freigabe von Cannabis, danach kommt gar nichts mehr.
Das war vor 25 Jahren anders. In der letzten Krise diskutierte jeder über den Standort und die Rückkehr zum Wachstum…
Genau. Heute ist das ein randständiges Thema. Genau hier liegt unser größtes Problem: Wir erkennen das Unwetter nicht, das aufzieht. In der Finanzkrise 2008, der Flüchtlingskrise, der Pandemie oder zuletzt beim Energiepreisschock konnte der Staat die Probleme noch mit Geld aus dem Weg räumen. Nun kommen wir in eine Situation, in der das Geld fehlt, die Probleme zu lösen. Ich hoffe inständig, dass wir vorher die Kurve bekommen.
Peters kritisiert die Langsamkeit der EZB
Als wir vor zwei Jahren uns hier zum Interview trafen, haben Sie die Europäische Zentralbank kritisiert, weil sie nicht die Zinsen erhöht hat, um die Inflation zu bremsen. Jetzt durchschreiten wir ein tiefes Tal, und die EZB zögert erneut – dieses Mal mit Zinssenkungen.
Es ist relativ einfach zu berechnen, dass unsere Inflation in Richtung zwei Prozent zurückkommt. Im Sommer sollte es angesichts fallender Energiepreise so weit sein. Jetzt wäre eigentlich der richtige Zeitpunkt für eine Zinssenkung, um die Konjunktur zu stützen. Wer zu lange wartet, muss zu weit senken. Die Notenbanken sollten im Blick haben, wann eine Maßnahme durchschlagen wird; das dauert oft ein Jahr. Aus diesem Grund hat die Bundesbank immer frühzeitig reagiert.
Entscheidet die Europäische Zentralbank zu spät?
Leider ja. Man muss es so hart sagen. Die Bundesbank hat aus meiner Sicht mit ihrer Erfahrung zumeist weise entschieden.
Peters zum Elbtower: „Die Ruine muss weg“
Von EZB-Hochhaus zu einem anderen Wolkenkratzer, von Frankfurt nach Hamburg. Wie schlimm ist der Baustopp am Elbtower für die Stadt?
Der ist fatal! Eine Ruine am Stadteingang ist ein gefährliches Symbol für jeden Standort. Hamburg ist eine großartige Stadt. Aber jeder, der über die Elbbrücken in die City fährt, sieht diesen Torso, dem mehr als die Hälfte fehlt. Jeder sieht dieses Scheitern. Daraus ergibt sich zwangsläufig: Die Ruine muss weg.
Was heißt weg? Abreißen?
Nein, es muss um eine wirtschaftlich sinnvollere Lösung gehen. Entscheidend ist, dass das Problem gelöst wird. Diese Ruine darf in drei, vier, fünf Jahren nicht mehr so an den Elbbrücken stehen.
Wolkenkratzer lässt sich nur mit einem breiten Bündnis retten
Würden Sie darauf wetten, dass die Ruine dann Geschichte ist? Wir haben vorhin über die Immobilienkrise gesprochen. Das schürt kaum Hoffnungen, dass sich schnell ein Investor findet.
Mit dem Elbtower ist es wie mit unserer Wirtschaft. Da sind viele gefordert, etwas zu tun.
Auch die Politik?
Angesichts des Bauvolumens wird es nur mit einem Zusammenwirken verschiedener Akteure gehen. Aber für Hamburg muss jetzt eine Lösung her.
Leben wir in Hamburg noch auf einer Insel der Seligen verglichen mit der Stimmung im Land?
Möglicherweise. Aber wir müssen aufpassen, dass wir dieses Wohlgefühl behalten. Mir machen manche Entwicklungen Sorgen, vor allem die Verkehrspolitik. Der Ausbau der Radwege ist richtig, aber das Management der Baustellen ist schlimm. Die permanenten Staus in der Stadt sind nicht nur absolut fatal für das Image, sondern schaden dem Standort. Ganze Stadtteile im Westen werden lahmgelegt. Hamburg versteht sich als Wirtschaftsmetropole – da dürfen wir die Autofahrer nicht gängeln. Viele Menschen sind beruflich auf ihr Auto angewiesen, wir leben vom Wirtschaftsverkehr. Dieses Bewusstsein geht leider mehr und mehr verloren.
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Beenden wir das Gespräch mit einem Silberstreif: Was stimmt Sie für die Zukunft zuversichtlich?
Hoffnung macht mir, dass wir immer noch fantastische Unternehmer und Unternehmen haben, mit denen wir die Zukunft angehen können. Es gibt viele, die gerne hier in Deutschland produzieren, und wir haben gut ausgebildete und produktive Beschäftigte. Das dürfen wir nicht vergessen. Wir dürfen nicht alles schlechtreden. Wir haben sehr gute Perspektiven in unserem Land, aber die müssen wir neu entdecken, die Potenziale wieder heben. Die Politik hat jetzt eine enorme Verantwortung. Ich hoffe, Berlin übernimmt sie.