Hamburg. Gerade im Handel nehmen die Verfahren zu. Die Kosten trägt die Gesellschaft. Ökonom: „Wir helfen manchmal an der falschen Stelle.“

Was haben die Unternehmen Galeria Karstadt Kaufhof, Sinn-Leffers, Arko, Hussel, Gerry Weber und Strauss Innovation gemeinsam? Sie waren oder sind nicht nur allesamt im Sektor Einzelhandel/Mode tätig. Sie haben auch alle innerhalb weniger Jahrewiederholt Insolvenz anmelden müssen.

Allerdings waren davon keineswegs nur diese prominenten Firmen betroffen. Seit 2012 rutschten deutlich mehr als 100 Unternehmen in Deutschland innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren mindestens zwei Mal in eine Pleite.

Insolvenz Hamburg: Unternehmen melden mehrfach Firmenpleite an – muss das sein?

Nicht zuletzt der Fall des Warenhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof hat in der Öffentlichkeit die Frage aufgeworfen, ob das deutsche Insolvenzrecht mit seinen „milden“ Angeboten wie dem Schutzschirmverfahren oder der Insolvenz in Eigenverwaltung womöglich dazu führt, dass Firmen, die aus strukturellen Gründen mittelfristig ohnehin vom Markt verschwinden werden, auf Kosten der Allgemeinheit nur noch ein paar Jahre länger über Wasser gehalten werden.

Selbst wenn sie nicht wie die bekannte Warenhausgruppe auch noch 680 Millionen Euro an Staatshilfen erhalten, profitieren solche Unternehmen vor allem durch das Schutzschirmverfahren schließlich in mehrfacher Hinsicht: Schulden werden gestrichen, man spart sich die Umsatzsteuer und kann Verträge sowie Arbeitsverhältnisse leichter kündigen. In vielen Fällen dürfte allerdings das Insolvenzgeld den größten Entlastungsfaktor darstellen: Die Beschäftigten erhalten ihr Gehalt drei Monate lang von der Agentur für Arbeit. Das Geld stammt aus einem Topf, der durch eine Umlage von allen privaten Arbeitgebern gespeist wird.

Eine Insolvenz bringt erhebliche Entlastungen für das Unternehmen mit sich

Aber was geschieht, wenn eine Firma nach Abschluss des Insolvenzverfahrens trotz aller Entlastungen dann doch bald wieder zahlungsunfähig wird? Soll sie noch eine weitere Chance bekommen – und dann vielleicht noch eine dritte?

Nach Auffassung des Hamburger Ökonomen Henning Vöpel, früher Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) und jetzt Leiter des Centrums für Europäische Politik (cep), liegt das Risiko von Folgeinsolvenzen in der Natur der Sache begründet, denn: „Insolvenzrecht kann, wenn es gut gemacht ist, Unternehmen ja auch nachhaltig retten.“

Eine Sanierung durch Insolvenz kann unvermeidlichen Strukturwandel verzögern

Auf der anderen Seite sei eine im Rahmen eines Insolvenzverfahrens gescheiterte Sanierung schon deshalb problematisch, weil „eventuell das Ansehen der Insolvenzordnung als Sanierungsgesetz leidet“, sagte der Hamburger Insolvenzverwalter Stefan Denkhaus von der Kanzlei BRL Boege Rohde Luebbehuesen, der im Januar das Mandat für Galeria Karstadt Kaufhof übernahm, im November in einem Vortrag vor Berufskollegen.

Es geht aber noch um etwas anderes – nämlich darum, ob nicht durch die Erleichterungen, die ein Insolvenzverfahren mit sich bringt, in manchen Fällen überkommene Geschäftsmodelle gestützt werden. „Wenn man versucht, Unternehmen gegen den Strukturwandel abzuschirmen, kann das später für die Gesellschaft teuer werden“, sagt Vöpel. Dieser Fehler sei schon während der Pandemie verschiedentlich mittels der Corona-Hilfen gemacht worden: „Wir helfen manchmal an der falschen Stelle.“

So ist es wohl auch kein Zufall, dass alle der eingangs aufgezählten Unternehmen im stationären Handel der Innenstädte aktiv sind. Gerade hier vollzieht sich seit dem Aufkommen des Onlinehandels ein tiefgreifender Wandel. „Wir haben das neue Gleichgewicht noch nicht erreicht, es besteht hier noch Anpassungsbedarf“, sagt Vöpel.

Ob eine Fortführung gesamtwirtschaltlich sinnvoll ist, wird nicht betrachtet

Aus seiner Sicht wäre es wünschenswert, wenn bei der Frage, wie mit einem in Finanznot geratenen Unternehmen zu verfahren ist, auch solche Aspekte berücksichtigt würden. „Zwar soll das Insolvenzrecht primär die Gläubiger schützen“, sagt der Ökonom. „Aber es gibt auch ein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit, von unnötigen Belastungen freigehalten zu werden.“

Einen Zwiespalt erkennt auch Denkhaus. „Im deutschen Insolvenzrecht wird grundsätzlich allein darauf geachtet, welche Quote die Gläubiger aus der der zur Verfügung stehenden Insolvenzmasse erhalten“, sagt der Insolvenzverwalter dem Abendblatt. „Ob eine Fortführung als Alternative zur Abwicklung gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist und wie es in einem solchen Fall mit dem Unternehmen später weitergeht, wird dabei in der Regel nicht betrachtet. Dieses sieht die Insolvenzordnung nicht vor.“

Dem gelegentlich aufkommenden Verdacht, eine Sanierung sei für die Insolvenzverwalter deutlich lukrativer als eine Abwicklung, tritt Denkhaus entgegen: „Es ist nicht so, dass ein vergütungstechnisches Eigeninteresse der Insolvenzverwalterkanzlei unbedingt für eine Fortführungslösung spräche.“ Eine schnelle Sanierung oder ein schneller Verkauf eines Unternehmens steigere zwar die Vergütung, ein komplexes und langwieriges Abwicklungsverfahren erhöhe sie aber auch.

„Jede Fortführungslösung ist für die Gläubiger besser als die Liquidation“

Stattdessen seien es meist die Gläubiger, die ein Interesse an einer Sanierung hätten, erklärt Denkhaus: „Jede noch so schlechte Fortführungslösung ist für die Gläubiger besser als die Liquidation. Denn in der Liquidation wird die Insolvenzmasse mit den Kosten der Liquidation, insbesondere aus Auslauflöhnen und Mietverbindlichkeiten, die bevorrechtigt sind, belastet.“ Bei den Auslauflöhnen handelt es sich um die Gehälter von Beschäftigten, denen gekündigt wurde. Zudem hätten Lieferanten bei einer Fortführung die Perspektive, das Unternehmen als Kunden zu behalten, so Denkhaus – wobei sie abwägen müssten, ob sie die Firma, bei der sie schon einmal Geld verloren hätten, wieder mit Zahlungsziel oder nur auf Vorkasse beliefern.

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„Auch in Insolvenzverwaltungskanzleien haben die prominenten Fälle von Zweit- und Drittinsolvenzen zu einer Diskussion über ihre volkswirtschaftlichen Folgen geführt“, sagt Denkhaus. An gesetzliche Änderungen als Konsequenz daraus glaubt er jedoch nicht. „Es geht hier eher um das Berufsethos der Insolvenzverwalter“, sagt er. „Aber natürlich müssen wir uns immer im Rahmen des geltenden Rechts bewegen, denn sonst würden wir ein Haftungsrisiko eingehen.“