Hamburg. Ein Mittelständler freute sich im Juni über einen Großauftrag der Signa. Nach der Benko-Pleite fürchtet er um sein Lebenswerk.
„Denn die einen sind im Dunkeln. Und die anderen sind im Licht. Und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Bertolt Brecht war nicht unbedingt ein Freund der Marktwirtschaft, aber sein berühmtes Zitat aus der Dreigroschenoper trifft die Gefühlslage vieler Opfer des österreichischen Unternehmers und Spekulanten René Benko. Während noch immer die Scheinwerfer auf den schillernden Unternehmer und sein Vermögen, seine Häuser, Bilder und Yachten gerichtet sind, sieht man die Opfer kaum.
Die im Dunkeln, das ist beispielsweise ein Hamburger Handwerkerehepaar mit einem kleinen Unternehmen. Klassischer Mittelstand, der Mann kümmert sich um das Geschäft, die Frau um die Finanzen, einige Angestellte kommen hinzu. Die Firma ist seit Jahren im Trockenbau tätig. Sie wurde Opfer des Zerfalls des Benko-Reiches, dessen Pleite Schockwellen in viele Branchen sendet. Sie reden mit dem Abendblatt unter einer Bedingung: keine Namen, keine Fotos.
Das Hamburger Unternehmen hatte lange gehofft, von der Insolvenz in Österreich nicht betroffen zu sein. Zunächst war nur die Dachgesellschaft Signa Holding betroffen, dann die Immobilientöchter Signa Prime und Signa Development, schließlich traf es mit Galeria Karstadt Kaufhof auch die Warenhausgesellschaft.
Hamburger Trockenbau-Unternehmen hatte sich noch über Großauftrag gefreut
Für ein Unternehmen aus dem Signa-Reich arbeitete auch das Hamburger Unternehmen. „Im Juni hatten wir uns noch so über den Vertragsabschluss gefreut“, sagt der Handwerker. „Das hätte uns über Jahre beschäftigt.“ Es ging um Maurerarbeiten im Karstadt-Gebäude an der Mönckebergstraße. Durch die Aufgabe des Thalia-Hauses an der Kleinen Rosenstraße musste das Haupthaus umgebaut werden, mussten neue Decken und Wände eingezogen, die Fassaden erneuert und die Brücke zum alten Erweiterungsbau rückgebaut werden. Auch beim Neubau, geplant war dort eine Mischnutzung aus Wohnen, Büros sowie Ladenflächen im Erdgeschoss, war die Hamburger Firma vorgesehen. Ein Auftrag mit einem sechsstelligen Volumen, ein Lichtblick in der Krise am Bau.
Denn die Vollbremsung auf Deutschlands Baustellen durch Zinssteigerungen, Inflation und Rezession trifft längst alle Handwerker. Auch das besagte Bauunternehmen aus dem Hamburger Norden: „Wir mussten schon zuvor Kosten senken und haben nun zwei Mitarbeitern gekündigt.“ Um das Unternehmen zu halten, haben das Ehepaar im Oktober ihr privates Eigenheim verkauft und sind in eine kleinere Wohnung gezogen.
Für Trockenbauer aus Hamburg wird Galeria-Pleite nun eine Existenzfrage
Die Galeria-Pleite wird nun zur Existenzfrage. „Wir reden von 130.000 Euro“, sagt der Hamburger. Seit dem 19. Januar ist vollends unklar, ob er dieses Geld jemals bekommt. An jenem Freitag meldete die betreffende Grundstücksgesellschaft HH-Mönckebergstraße 16 mit Sitz in München Insolvenz an. Die Projektgesellschaft Hamburg Thaliahaus Immobilien und die Galeria Karstadt Kaufhof waren schon einige Tage zuvor in die Insolvenz gerutscht.
Der Auftraggeber aus dem Signa-Reich hatte im Oktober die letzte Rechnung des Mittelständlers bezahlt. Die Arbeiten gingen aber weiter – bis kurz vor Weihnachten. „Natürlich war die Zahlungsmoral bei Signa vorher ein Thema“, sagt die Unternehmerin. „Aber wir haben auf Galeria vertraut – zumal uns die Signa-Leute das auch so deutlich gemacht haben.“
Als es zuletzt um eine Taubenabwehr für die Baustelle ging, habe eine Signa-Mitarbeiterin die 500 Euro sogar aus der eigenen Tasche bezahlt. „Wir haben einander vertraut“, sagt die Unternehmerin. Als Handwerker müsste man zwar immer mal Zahlungsverzögerungen oder Ausfälle hinnehmen. Doch jetzt geht es um Summen, die ein kleiner Betrieb kaum verkraften kann. Jetzt geht es um die Existenz.
Signa-Insolvenz trifft die Branche zur Unzeit
Es gibt noch ein zusätzliches Problem der Branche, sagt Michael Seitz, Vorstandssprecher der Hamburger Bau- und Ausbauwirtschaft: „Bauunternehmer sind vorleistungspflichtig – man gibt quasi einen Kredit an den Bauherrn.“ Darin sind nicht nur die eigentlichen Arbeiten, sondern auch Baumaterialien, Mieten für Geräte und Kosten für die Baustelle enthalten.
Selbst nach der Insolvenz laufen weitere Kosten auf, weil etwa das Gerüst und die Bauzäune an der Kleinen Rosenstraße noch stehen – in der Hoffnung, dass die Bauarbeiten doch wieder aufgenommen werden. In dem konkreten Fall kommt hinzu: Da der Galeria-Auftrag für den Mittelständler ein zu großes Volumen hatte, holte er seinerseits zwei Subunternehmer ins Boot, die er jetzt nicht bezahlen kann. Stellen die ihre Forderungen fällig, droht die Insolvenz.
Benko-Pleite könnte einen Dominoeffekt auslösen
„Derartige Großpleiten von Investoren führen zu einem Dominoeffekt“, beschreibt Seitz das Problem für die Volkswirtschaft: Die Bauwirtschaft hat lange Nachunternehmerketten; tendenziell werden die Firmen umso kleiner und damit finanzschwächer, je länger diese Kette ist. „Da jeder in der Kette einen Zahlungsanspruch nur gegen seinen unmittelbaren Vertragspartner hat, führt der Zahlungsausfall bei einem Kettenglied nahezu unweigerlich dazu, dass dieser seine Auftragnehmer und schlussendlich auch seine Mitarbeiter nicht bezahlen kann.“ Schlimmstenfalls bliebe dann nur der Gang zum Insolvenzgericht.
Deshalb sendet jede große Insolvenz Schockwellen durch das System: „Eine Pleite an der Spitze der Pyramide kann leicht zu vielen Insolvenzen weiter unten führen, nur stehen die dann weit weniger im Fokus des öffentlichen Interesses.“ Seitz fürchtet, dass die Öffentlichkeit von den Auswirkungen der Signa-Insolvenz nur die Spitze des Eisberges sieht.
Nach Benko-Pleite: Verband spricht von vielen betroffenen Firmen
Er spricht von vielen betroffenen Unternehmen. „Keiner gibt gern öffentlich zu, dass er von einem solchen Zahlungsausfall betroffen ist, aus Sorge, dass nicht nur seine anderen Auftraggeber, sondern auch seine Bank an seiner Bonität zweifeln.“ So wächst die Gefahr, Aufträge zu verlieren oder keine Kredite mehr zu bekommen. Die Öffentlichkeit erfuhr deshalb erst spät, wie schlecht es um Benko stand: In dem Moment, als das Bauunternehmen Lupp wegen Zahlungsverzugs Ende Oktober die Arbeiten am Elbtower einstellte.
Das kippende Signa-Imperium trifft die Branche zur Unzeit. „Natürlich sind solche Nackenschläge in guten Zeiten besser zu verkraften als in schlechten“, sagt Seitz. „Im Moment stehen die Zeichen in der Bauwirtschaft auf Sturm, und das potenziert die Probleme für die betroffenen Firmen.“
„An diesem Klumpenrisiko ist leider der Senat nicht ganz unschuldig“
Der Verbandssprecher nimmt die Politik in die Pflicht: „Hamburg ist von der Signa-Pleite besonders betroffen, weil es hier besonders viele Objekte gibt, in die die Benko-Gruppe investiert hat.“ Neben dem Elbtower und dem Karstadt-Haus sind das die Flüggerhöfe, die Alsterarkaden, die HCOB-Zentrale am Gerhart-Hauptmann-Platz und die Gänsemarkt-Passage. „An diesem Klumpenrisiko sind leider auch der Senat und unser früherer Bürgermeister nicht ganz unschuldig.“
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Das Hamburger Handwerkerpaar hat derweil die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben: „Karstadt ist ein laufendes Objekt und hat ja weiter Einnahmen“, sagt der Unternehmer. Er weiß aber auch, dass er nur ein Gläubiger unter Tausenden ist und sich mit seinen Forderungen beim Insolvenzverwalter hinten anstellen muss.
Was bleibt, ist eine Mischung aus Hoffnung und Fatalismus: „Die ersten Wochen haben wir noch jede Signa-Nachricht verfolgt, jetzt will ich das nicht mehr lesen“, sagt die Unternehmerin. Sie ärgert, dass die wirklich Betroffenen in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielen: „Diese Dimension geht völlig verloren. Es geht nur um René Benko – an uns Handwerker denkt niemand.“