Hamburg. Kritik am Senat: Handelskammer und Industrieverband mahnen die Sanierung wichtiger Wirtschaftswege an. Landesbetrieb kontert Vorwürfe.

Straßen, Brücken, Schienen und Wasserstraßen sind immer auch Wirtschaftswege – zumal in einer Handelsmetropole wie Hamburg. Der Jahresbericht des Rechnungshofes, in dem dieser eindringlich auf den kritischen Zustand vieler Brücken hingewiesen hat, insbesondere der Ernst-Merck-Brücke, die am Hauptbahnhof mehr als zehn Bahngleise überspannt, bereitet daher auch der Hamburger Wirtschaft Sorgen.

„Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist für die Wettbewerbsfähigkeit einer Industrie- und Handelsdrehscheibe von herausragender Bedeutung“, sagte der Vorsitzende des Industrieverbands Hamburg (IVH), Matthias Boxberger, dem Abendblatt. Dass der Senat ein Erhaltungsmangement für die Infrastruktur unterhalte, sei zwar grundsätzlich gut, so Boxberger. „Aber er muss dann auch die Konsequenzen daraus ziehen und die Sanierungen in Angriff nehmen.“

Hamburgs Verkehrswege: Mehr als die Hälfte der Brücken muss saniert oder erneuert werden

Auch der Rechnungshof hatte dem Senat in seinem Bericht zwar die richtige Strategie bescheinigt, aber kritisiert, dass diese nicht konsequent genug umgesetzt werde. Als Beispiele nannte er drei Brücken, deren Sanierung zum Teil seit Jahrzehnten hinausgezögert werde oder zu spät erfolgt und dadurch teurer als nötig geworden sei. Insgesamt seien in Hamburg 57 Prozent der 1700 landeseigenen Brücken kurzfristig instand zu setzen oder sogar zu erneuern.

„Hier ist eine Schwerpunktsetzung auch im Sinne des Masterplans Industrie notwendig und eine bessere Steuerung und Ausstattung der zuständigen Behörden in finanzieller und personeller Hinsicht dringend geboten“, sagte Boxberger. Der Ausbau der Fahrradinfrastruktur dürfe nicht dazu führen, dass man „keine Ressourcen mehr für die Sanierung von wichtigen Brücken und Wirtschaftswegen“ habe.

Marode Brücken: Handelskammer mahnt beim Senat regelmäßige Wartung an

Auch die Handelskammer schließt sich der Forderung des Rechnungshofes an: „Gerade Brücken müssen regelmäßig gewartet werden, um strukturelle Schäden zu vermeiden – das sorgt im Regelfall auch für weniger Beeinträchtigungen durch Straßensperrungen und hilft damit Hamburgs Wirtschaft“, sagte Jan-Oliver Siebrand, Bereichsleiter Nachhaltigkeit und Mobilität der Kammer. Grundsetzlich gelte: „Die leistungsfähige Infrastruktur ist einer der Standortvorteile Hamburgs und Deutschlands im internationalen Wettbewerb.“ Deren Instandhaltung und Ausbau seien „Kernaufgaben von Politik und Verwaltung“.

In der Handwerkskammer wird das ähnlich gesehen. Eine Sprecherin verwies auf die kürzlich veröffentlichte „Mobilitätsstrategie für das Hamburger Handwerk“, in der es heißt: „Für das Handwerk hat ein weitgehend störungsfrei fließender Geschäfts- und Lieferverkehr existenzielle Bedeutung.“ Und weiter: „Mangelhaftes Baustellenmanagement und Schwierigkeiten in der Kompetenzabgrenzung unterschiedlicher städtischer und halbstaatlicher Einrichtungen bei der Baustellenkommunikation sind eine Bremse für die Mobilität in Hamburg.“

Auf der Freihafenelbbrücke: Matthias Boxberger ist Vorsitzender des Industrieverbands Hamburg (IVH).
Auf der Freihafenelbbrücke: Matthias Boxberger ist Vorsitzender des Industrieverbands Hamburg (IVH). © Hamburg | Dennis Williamson

Genau diese Kompetenzabgrenzung spielt auch bei der Ernst-Merck-Brücke eine Rolle. Für die, wie für weitere 1590 der 1700 landeseigenen Brücken, ist inzwischen der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) zuständig, der zur Verkehrsbehörde gehört. In Teilen neu gebaut wurde sie aber 1988 noch unter der Regie der damaligen Baubehörde. Und für den Brücken-Unterhalt, etwa die Reinigung der Entwässerungsabläufe, war zumindest in Teilen lange der Bezirk Hamburg-Mitte zuständig, wie der LSBG auf Abendblatt-Anfrage mitteilte.

Ernst-Merck-Brücke hat „Betonkrebs“, aber: „Standsicherheit nicht gefährdet“

Das ist ein entscheidender Punkt. Denn die mangelhafte Brückenentwässerung hat nach Darstellung des Rechnungshofes mit dafür gesorgt, dass Wasser in die schon 1993 erstmals festgestellten Risse eindringen konnte, was „zu einer gravierenden Schadenszunahme geführt“ habe. Die Sanierung werde daher teurer und der Aufwand sei mittlerweile so hoch, dass die Arbeiten kaum ohne massive Beeinträchtigungen für den Fern- und S-Bahnverkehr in Hamburg auszuführen seien.

Der LSBG weist das zwar nicht zurück, wohl aber den Vorwurf des Rechnungshofes, das Problem sei „30 Jahre lang nur abgeheftet“ worden: „In den letzten 30 Jahren wurden kontinuierlich notwendige Instandsetzungen an der Ernst-Merck-Brücke durchgeführt, um die Verkehrssicherheit des Bauwerks zu gewährleisten“, teilte der Landesbetrieb mit und betonte: „Das Bauwerk hat derzeit eine Zustandsnote von 3,0 ist nicht in seiner Standsicherheit gefährdet, deshalb besteht hier kein dringlicher Handlungsbedarf.“

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Doch wie kann es überhaupt sein, dass eine 1988 teilweise neu gebaute Brücke fünf Jahre später schon Risse aufweist? Dazu schreibt der LSBG: „Die Bauwerke, die überwiegend in diesem Zeiträumen errichtet wurden, sind oftmals materialsparend und mit minderwertigen Baustoffen gebaut worden. So wurden damals beispielsweise Zuschlagstoffe verwendet, die eine spätere Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR/ Betonkrebs) verursacht haben.“

Ohne S-Bahnsperrungen kann die Brücke nicht saniert werden

Es habe jedoch immer neuer Untersuchungen und Gutachten bedurft, bis sich dieser Verdacht erst 2018 bestätigt habe. Betroffen sei das östliche „Widerlager“, also die Betonstütze, die die Brücke mit dem Fundament verbindet. Seitdem seien kleinere Maßnahmen ergriffen worden – etwa Beseitigung von Rissen in der Fahrbahn und die Reinigung der Brückenentwässserung –, und parallel würden grundsätzliche Lösungen geprüft.

Auch die für den Durchgangsverkehr in Hamburg extrem wichtige Slamatjenbrücke (Teil der Ludwig-Erhard-Straße) war nach Darstellung des Rechnungshofes viel zu spät saniert worden.
Auch die für den Durchgangsverkehr in Hamburg extrem wichtige Slamatjenbrücke (Teil der Ludwig-Erhard-Straße) war nach Darstellung des Rechnungshofes viel zu spät saniert worden. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Ein großes Problem dabei sei logistischer Natur: Die Instandsetzung der Brücke lasse sich „nur vollumfänglich im Zuge von Gleissperrungen realisieren“, so der Landesbetrieb. Das bedeute einen zusätzlichen Planungs- und Zeitaufwand: Sperrungen der Gleise für Instandsetzungen müssten sechs bis acht Jahre vorher angemeldet werden, nur ausnahmsweise könne dies auf drei Jahre reduziert werden. Zur Umsetzung der Maßnahmen blieben dann oft nur „Zeitfenster von maximal zwei bis drei Stunden“.

Hamburgs marode Brücken: Auch Personalmangel macht dem LSBG zu schaffen

Dass der LSBG gegenüber dem Rechnungshof auf seine begrenzten „finanziellen und personellen Ressourcen“ hingewiesen hatte, sei nicht so zu verstehen, dass die Ernst-Merck-Brücke aus Geld- und Personalmangel nicht saniert werde, hieß es aus der Verkehrsbehörde. Die konkrete Bedarfsermittlung erfordere aber „im Interesse einer gleichzeitig nachhaltigen und wirtschaftlichen Haushaltspolitik Anpassungen und Fortschreibungen“.

Mit anderen Worten: Das Projekt rückt zeitlich nach hinten, weil es eben noch nicht so dringlich ist, wie es im Rechnungshofbericht klingt. Gleichzeitig räumte die Behörde aber ein, dass der Fachkräftemangel auch den LSBG „immer wieder vor große Herausforderungen“ stelle. Es gebe eine „Vielzahl an offenen Stellen“.