Hamburg. Zahlungsdienstleister wie PayPal oder Klarna machen das Bezahlen sehr einfach. Immer häufiger wird aber genau das zum Problem.

Nur auf den ersten Blick erscheint es wie eine gute Nachricht: Im vorigen Jahr ist die Quote der verschuldeten Verbraucher in Deutschland und auch in Hamburg nach Angaben der Wirtschaftsauskunftei Creditreform leicht gesunken. Allerdings beruht der Rückgang allein auf einer Änderung der Statistik – im Frühjahr 2023 ist in den Creditreform-Datenbanken die Speicherdauer für die Einträge zu abgeschlossenen Privatinsolvenzen von drei Jahren auf sechs Monate verkürzt worden. Ohne diesen Effekt wäre die Gesamtzahl der Überschuldungsfälle um 17.000 auf 5,67 Millionen angestiegen.

Doch in einer der sechs Altersgruppen zeigt sich selbst ohne diese Korrektur schon eine Zunahme der Überschuldungsquote: Bei den Personen unter 30 hat der Anteil der Betroffenen leicht auf 6,73 Prozent zugelegt. Damit ist immerhin mehr als jeder 15. unter den jüngeren Menschen entweder im juristischen Sinn überschuldet, oder es liegen mindestens zwei vergebliche Mahnungen unterschiedlicher Gläubiger gegen ihn vor.

Zwar ist die Quote in der Gesamtbevölkerung mit 8,15 Prozent noch höher. Dennoch sei ein Anstieg der Überschuldungsquote bei jungen Menschen eine „Entwicklung mit gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen“, sagt Minou Goetze, Professorin für Entscheidungspsychologie an der Fresenius Hochschule in Hamburg, denn: „Ein früher Beginn der Verschuldung kann zu langfristigen finanziellen Problemen und einem höheren Verschuldungsrisiko im Laufe des Lebens führen.“

Nicht wenige haben mit Anfang 20 schon Schulden von 3000 oder 4000 Euro angehäuft

Kerstin Föller, die den Bereich Insolvenz und Kredite bei der Verbraucherzentrale Hamburg leitet, kennt solche Fälle aus ihrer Beratungspraxis: „Es kommen nicht selten Personen zu uns, die mit Anfang 20 schon Schulden von 3000 oder 4000 Euro angehäuft haben. Das ist mit üblichen Einstiegsgehältern schwer abzutragen.“

Nach den Erfahrungen von Föller sind sehr viele der Betroffenen in diese Situation geraten, „weil sie sich mit Klarna oder PayPal übernommen haben“, zum Beispiel beim Kauf von Kleidung oder Unterhaltungselektronik. Tatsächlich hat laut jüngsten Daten der Schufa die Zahl der neu abgeschlossenen Ratenkredite unter 1000 Euro innerhalb eines Jahres um 90 Prozent von 2,0 auf 3,8 Millionen zugelegt, was zum Großteil auf die Zunahme der sogenannten „Buy Now, Pay Later“-Angebote (BNPL) von Onlinezahlungsdienstleistern zurückgeführt werden könne.

Vor allem junge Menschen nutzen nach Erkenntnissen der Schufa die Möglichkeit, Internet-Einkäufe über ein Konto bei solchen Dienstleistern zu bezahlen. Damit erspart man sich nicht nur die Mühe, bei jedem Kauf wieder alle persönlichen Daten für die Zahlung angeben zu müssen. Der Rechnungsbetrag wird dann auch erst mit Verzögerung (häufig 30 Tage) eingezogen, oder er kann in Raten abgezahlt werden.

„Man will beim Konsum und bei den Lebensgewohnheiten mit anderen mithalten können“

Doch diese Bequemlichkeit sei nicht ohne Risiko für die Verbraucherinnen und Verbraucher, sagt Ole Schröder, Vorstandsmitglied der Schufa Holding: „Auch die Rückzahlung von vielen kleinen Krediten kann schnell zu finanzieller Überlastung führen.“

Auch wenn sonst hauptsächlich die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen von Überschuldung betroffen sind, ist das bei jungen Menschen, die durch BNPL-Angebote in Schwierigkeiten geraten, nicht unbedingt so, sagt Schuldnerberaterin Kerstin Föller: „Hier trifft es eher die Mittelschicht – man will beim Konsum und bei den Lebensgewohnheiten mit anderen mithalten können.“

Dabei verliere man aber leicht den Überblick über die mittels Zahlungsdienstleistern getätigten Käufe, so Föller: „Rechnungen werden einfach vergessen, irgendwann kommen dann Mahnungen.“ Dies wird bestätigt durch eine repräsentative Befragung durch die Fresenius Hochschule in Hamburg und die Digitalinkasso-Firma Pair Finance. Nahezu ein Viertel der Personen unter 30 Jahren (23 Prozent) wurde bereits von einem Inkassounternehmen kontaktiert, als häufigster Grund für die verpasste Zahlung wurde das Vergessen der offenen Rechnung genannt.

Die „Generation Z“ hat eine „positivere Einstellung gegenüber Schulden“ als Ältere

Zudem gelten der Studie zufolge solche Inkasso-Erfahrungen bei jüngeren Verbraucherinnen und Verbrauchern als akzeptabler, als man sie in höheren Altersgruppen bewerte. Die „Generation Z“ habe „insgesamt eine positivere Einstellung gegenüber Schulden“ als vorherige Generationen, sagt Studienleiterin Goetze.

Vor diesem Hintergrund warnt Föller: „Den wenigsten ist klar: Auch wenn bei Krediten unter 200 Euro meist keine Bonitätsprüfung stattfindet, kann ein Zahlungsverzug an eine Auskunftei gemeldet werden.“ Das ist zulässig, sobald mindestens zwei schriftliche Mahnungen versendet wurden. „Ein Eintrag bei einer Auskunftei kann zum Problem werden, wenn junge Menschen eine eigene Wohnung suchen“, sagt Föller.

Nachdem in den Jahren der Corona-Pandemie die Überschuldungsquoten zurückgegangen waren, befürchten die Creditreform-Experten nun eine „nachhaltige Trendumkehr“ – nicht zuletzt aufgrund der rasant steigenden Nachfrage nach BNPL-Angeboten der Zahlungsdienstleister.

In Deutschland hapert es noch immer an der Finanzbildung

Ob die anstehende Neufassung der Verbraucherkreditrichtlinie, die unter anderem eine Bonitätsprüfung auch bei Beträgen unter 200 Euro und Kreditlaufzeiten unter drei Monaten vorsieht, dem entgegenwirken kann, ist ungewiss. Schließlich seien Onlinehändler und -zahlungsdienstleister sehr einfallsreich, sagt Sally Peters, geschäftsführende Direktorin des Hamburger Instituts für Finanzdienstleistungen (iff), das in der Forschung und der Beratung für Verbraucherorganisationen aktiv ist.

Außerdem mache sich bemerkbar, dass es in der Bundesrepublik kein flächendeckendes Angebot für Finanzbildung gebe, so Peters. Darauf weist auch der Bundesverband deutscher Banken hin: Während in den meisten anderen Industriestaaten „bereits nationale Finanzbildungsstrategien implementiert wurden, hat Deutschland auf diesem Feld Nachholbedarf“. Das gelte auch für den schulischen Bereich.

„Eine frühzeitige Vermittlung von Kreditkompetenz trägt wesentlich dazu bei, Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu vermeiden“, heißt es in einer iff-Studie zum entsprechenden Kenntnisstand von jungen Erwachsenen. Aber nur 47 Prozent der Befragten sei die gesetzliche Widerrufsfrist von 14 Tagen bekannt. „Viele sind sich nicht klar über die Vor- und Nachteile verschiedener Zahlungsweisen, und sie wissen nicht, was passiert, wenn sie die Rechnung nicht bezahlen können“, so Peters. „Dabei können die Kosten dann schnell sehr empfindlich hoch sein.“

Was man bei finanziellen Engpässen tun kann, um die Ausgaben schnell zu senken

Wenn ein Schuldenproblem droht oder gerade begonnen hat, sind spezialisierte Jugendschuldnerberatungsstellen in den Augen der iff-Direktorin eine äußerst hilfreiche Anlaufstelle. Leider gebe es noch zu wenige solcher Beratungszentren.

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Von der Verbraucherzentrale Hamburg gibt es aber einige allgemeine Tipps, wie man die Ausgaben senken kann, wenn man in einen finanziellen Engpass geraten ist. Einer davon lautet: „Kündigen Sie Verträge und Abos. Wie sieht es mit dem Fitnessstudio aus, in das Sie vielleicht seit einem Jahr nicht mehr gegangen sind. Muss der Vertrag wirklich weiterlaufen? Sind die Kosten für den Streaming-Dienst okay oder können Sie darauf auch verzichten?“

Ebenfalls verzichten könne man auf „kleine Snacks und Getränke auf die Hand“, etwa der Kaffee am Bahnhof auf dem Weg zu Arbeit oder das belegte Brötchen beim Bäcker für den kleinen Hunger zwischendurch: „Diese kleinen Zwischenmahlzeiten sind große Ausgabenfallen.“