Hamburg. Nach Jahren der Krise geht es mit Deutschlands Schiffbaubetrieben wieder aufwärts. Was dahinter steckt und wie Hamburg profitiert.
Für die Beschäftigten auf Hamburgs letzter großen Werft Blohm + Voss gab es in den vergangenen Monaten wenig Positives zu vermelden. Nach der großen Restrukturierung im Zuge der Übernahme durch die Bremer Lürssen Gruppe 2016, kreiste im vergangenen Jahr erneut der Sparhammer bei Hamburgs Traditionsbetrieb. Wieder verloren mehr als 100 Mitarbeiter ihren Job.
Doch nun stockt das Unternehmen seine Belegschaft auf. Geplant ist ein Plus von mehr als 15 Prozent, wie ein Sprecher dem Abendblatt bestätigte. Bei derzeit rund 420 Mitarbeitern kommen also mindestens 60 hinzu. „Angesichts des Fachkräftemangels suchen wir bereits heute vor allem Industrie- und Konstruktionsmechaniker sowie Schlosser, um uns frühzeitig für den anstehenden Hochlauf aufzustellen und den neuen Mitarbeitenden eine optimale Einarbeitung zu ermöglichen“, lautete seine Begründung.
Wende bei Blohm + Voss: Schiffe von deutschen Werften sind wieder gefragt
Anstehender Hochlauf? In den vergangenen Jahren kannten deutsche Werften vor allem eine Auftragsflaute. Jetzt hat sich die Lage offenbar gedreht. „Das Bild ist überall gleich. Praktisch alle deutschen Werften suchen derzeit wieder Fachkräfte“, sagt Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer des Verbands Schiffbau und Meerestechnik (VSM). Seine Begründung ist eine perspektivisch gute Auftragslage.
„Die globalen Neubaubestellungen bleiben das dritte Jahr in Folge auf einem hohen Niveau und sorgen für hohe Auslastung in der deutschen maritimen Zulieferindustrie. Auch Europas Werften verzeichnen wieder vermehrtes Interesse der Kunden und verbuchten bis Ende Oktober 2023 laut dem Branchendienstleister Clarksons Research Neubauaufträge in Höhe von 7,1 Milliarden Dollar. Das ist ein Anstieg von fast 50 Prozent im Vergleich zum gesamten Vorjahr“, so Lüken.
Hafen Hamburg: Energiewende benötigt Spezialschiffe
Jahrelang hat der Branchenverband eher düstere Szenarien gemalt, die Subventionen asiatischer Werften und eine fehlende Unterstützung durch die Bundesregierung beklagt. „Die Stimmung und die großpolitische Wetterlage haben sich gewandelt“, sagt Lüken im Gespräch mit dem Abendblatt. „Unsere Branche liefert die Lösungen für viele Probleme, die es derzeit gibt.“
Ein Beispiel ist die Energiewende. Bis zum Jahr 2030 soll die installierte Leistung von Offshore-Windenergie auf mindestens 30 Gigawatt und bis 2045 auf mindestens 70 Gigawatt steigen. So will es die Bundesregierung. „Die gewaltigen Ausbaupläne, gepaart mit der Erkenntnis, dass diese durch verlässliche, sichere Partner innerhalb der EU angepackt werden müssen, schürt entsprechende Erwartungen“, sagt Lüken. Der Bedarf an Spezialschiffen sei sehr groß. Die deutsche Schiffbauindustrie habe das zurückliegende Jahr intensiv genutzt, um an mehreren Standorten dezidierte Produktionskonzepte für den Bau großer Konverterplattformen auszuarbeiten und mit entsprechenden Investitionsplänen zu hinterlegen.
Auch Kreuzfahrtbranche befindet sich im Aufwind
Konverterplattformen haben die Aufgabe, den Strom von Windparks auf See zu bündeln und für den möglichst verlustfreien Transport an Land in Gleichstrom umzuwandeln. Fünf Werften haben sich darauf spezialisiert. Mit ersten Erfolgen. So konnte die Meyer Werft, die ja eher für den Bau von Kreuzfahrtschiffen bekannt ist, einen Auftrag für Stahlbauarbeiten von Konverterplattformen ergattern. „Das sind riesige Konstruktionen mit einer Leistung von zwei Gigawatt. Das entspricht zwei Atomkraftwerken“, sagt Lüken.
Im Aufwind ist auch die Kreuzfahrtbranche. Sie hat den massiven Einbruch der Corona-Krise überstanden und vermeldet wieder ein hohes Urlauberinteresse. Mussten Schiffbauer in dieser Branche ihre Aufträge in den vergangenen Jahren strecken und ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken, geht es nun wieder massiv voran. Laut Clarksons will Meyer in diesem Jahr Schiffe mit einer Bruttoraumzahl von insgesamt 519.000 abliefern. Im kommenden Jahr beträgt sie sogar 684.000.
Flusskreuzfahrtschiffe erfreuen die Neptun Werft
„Allerdings fehlen gerade bei den großen Kreuzfahrtschiffen noch Nachfolgeaufträge“, sagt Heiko Messerschmidt, Bezirkssekretär für den Schiffbau bei der IG Metall Küste. „Da erwarten wir, dass dieses Jahr welche kommen.“
Bei den Flusskreuzfahrtschiffen sind sie schon da: So meldete die Rostocker Neptun-Werft kurz vor Weihnachten den Eingang eines Großauftrags zum Bau von neun Flusskreuzfahrtschiffen für die Reederei Viking. Die Neptun-Werft verfüge nun über ein gut gefülltes Auftragsbuch bis 2026 und hat damit für mindestens zwei Jahre ausgesorgt.
Firmen können vakante Stellen nicht besetzen
Auch die IG Metall Küste geht von einem Beschäftigungszuwachs aus. „Fast alle Werften klagen mittlerweile über erhebliche Probleme bei der Besetzung vakanter Stellen“, sagt Gewerkschaftssekretär Messerschmidt. Ein Beispiel ist die Heinrich Rönner Gruppe in Bremerhaven. Das Unternehmen, das an 19 Standorten in Deutschland aktiv ist und zu dem inzwischen auch die Lloyd Werft gehört, verzeichnete vor zwei Jahren noch 1300 Mitarbeiter. Heute sind es 1700 – und man sucht weiter Personal. Laut Internetseite sind 47 offene Stellen zu vergeben. Gesucht wird fast alles: vom Sachbearbeiter über Schweißer bis hin zu Schiffbauingenieur/-innen.
Ähnlich aufwendig verläuft die Suche der Branche nach Auszubildenden. 63 Prozent aller Betriebe hätten im vergangenen Jahr nicht alle angebotenen Lehrstellen besetzen können. Gut die Hälfte aller Betriebe will die Zahl der Ausbildungsplätze in diesem Jahr erhöhen, sagt Messerschmidt mit Blick auf die letzte Schiffbau-Umfrage der IG Metall Küste aus dem vergangenen Herbst.
Militärschiffe derzeit stark gefragt
Neben Energie und Kreuzfahrttourismus erlebt die Schiffbauindustrie vor allem im militärischen Bereich einen Aufschwung. „Geopolitische Konflikte und Spannungen stürzen die Menschen in vielen Teilen der Welt in große Not. Für unsere Branche ist der Wunsch nach mehr Sicherheit aber gut“, sagt VSM-Chef Lüken. Das gelte um so mehr, da Deutschland eine größere Verantwortung bei der Sicherung des Ostseeraumes übernehmen wolle.
Der Inspekteur der Marine, Jan C. Kaack, hat zudem mit dem Zielbild 2035+ einen Plan vorgelegt, wie die Deutsche Marine mittelfristig aufgestellt werden soll. Dabei sind auch fünf neue Überwasserkampfschiffe der Klasse F127 vorgesehen, die noch gar nicht ausgeschrieben worden sind. „Allerdings muss der Bund das Geld dazu bereitstellen, und das fehlt“, so Lüken. Bisher habe die Marine aus dem Sondervermögen der Bundeswehr enttäuschend wenig erhalten, nämlich gar nichts. Branchenkreisen zufolge soll sich dies aber ändern. So sind Bestellungen für Fregatten und neue U-Boote im Gespräch.
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Der Aufschwung im Militärbereich ist auch derjenige, der in Hamburg ankommt: „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Hamburger Standorts Blohm + Voss sind spezialisiert auf die komplexe Endausrüstung, Inbetriebnahme und Erprobung neuer Marineschiffe“, sagt Unternehmenssprecher Oliver Grün. Und weiter: „Im Zuge der in den kommenden Jahren nach Hamburg zulaufenden Neubauprojekte, darunter die Fregatten der F126-Serie und die Flottendienstboote der Klasse 424, planen wir, uns auf Steinwerder vor allem im fertigungsnahen, also gewerblichen Bereich mit neuen Kolleginnen und Kollegen zu verstärken“.