Hamburg. Krankenkasse hat Zahlen zusammengetragen, die überraschen. Und sie nennt mögliche Gründe für die alarmierende Entwicklung.
Seit Jahren steigen die Zahlen psychischer Erkrankungen: Allein in Hamburg sind von etwa 1,32 Millionen Erwerbstätigen rund 93.600 Menschen mindestens einmal im Jahr wegen psychischer Störungen krankgeschrieben. Zu diesem Ergebnis kommt die Krankenkasse Barmer in ihrem jährlichen Gesundheitsreport.
Dafür wertete die Kasse Versichertendaten aus dem Jahr 2021 von 79.400 Beschäftigten in Hamburg aus und verglich diese mit allen Versicherten aus Deutschland.
Hamburg: Psychische Erkrankungen bei Erwerbstätigen steigen
Zwar sind Versicherte aus Hamburg im Hinblick auf alle Krankheitsarten seltener krankgeschrieben als der Bundesdurchschnitt. Mehr Erwerbstätige aus der Hansestadt erhielten jedoch in den vergangenen Jahren eine Diagnose wegen psychischer Erkrankungen als anteilsmäßig alle Beschäftigten bundesweit: Im Jahr 2021 bekamen 38,1 Prozent der Erwerbstätigen in Hamburg die Diagnose psychische Störung oder Verhaltensstörung – auf Bundesebene waren es 34,6 Prozent gewesen. Rund ein Prozent der Erwerbstätigen in Hamburg begab sich aufgrund des Befunds im Jahr 2021 in stationäre Behandlung, zu einer Krankschreibung führte die Diagnose bei 7,2 Prozent.
Krankenkasse beobachtet Entwicklung „mit Sorge“
„Wir beobachten diese Entwicklung mit Sorge, auch mit Blick auf all diejenigen, die diese Arbeitsausfälle abfedern müssen“, sagt Susanne Klein, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Hamburg. Denn psychisch bedingte Arbeitsunfähigkeiten dauern in der Regel länger an als beispielsweise die Fehlzeiten wegen einer Erkältung. Kommt es zur Arbeitsunfähigkeit, fallen psychisch Erkrankte im Schnitt rund 49 Tage aus – bei Atemwegserkrankungen sind es etwa sieben Tage.
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Als Ursachen für psychische Erkrankungen kommen laut Klein viele Faktoren infrage – sie hätten häufig mit traumatischen Erlebnissen, sozialen oder Umwelteinflüssen zu tun oder seien auf gesellschaftliche Umstände zurückzuführen. Den Arbeitsplatz sieht die Barmer-Landeschefin aber als eine der wichtigsten Stellschrauben, um psychischen Erkrankungen vorzubeugen. „Hohe Anforderungen bei geringem Tätigkeitsspielraum, die Sorge um den oder Konflikte am Arbeitsplatz sind nur einige der Risikofaktoren für psychische Erkrankungen im beruflichen Kontext“, so Klein.
Leiharbeit, Teilzeitjobs und befristete Verhältnisse begünstigen psychische Erkrankungen
Laut dem Barmer-Gesundheitsreport sind Menschen in befristeten Jobs sowie in Leiharbeit- oder Teilzeit-Beschäftigung häufiger psychisch erkrankt als andere. Auch häufige Wohnort- und Arbeitsplatzwechsel seien Risikofaktoren. Arbeitsformen wie Homeoffice, mobiles Arbeiten und sogenanntes Desksharing erschwerten es außerdem, psychische Auffälligkeiten frühzeitig zu erkennen, sagt Michael Schweiger, Geschäftsführer vom Arbeits-Intergrations-Netzwerk Arinet Hamburg.
Schweiger arbeitet daran, Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen die berufliche Teilhabe zu ermöglichen. Er sieht vor allem die Arbeitgeber in der Pflicht, ihr betriebliches Gesundheitsmanagement zu verbessern und dabei psychische Erkrankungen zu berücksichtigen. So würden beispielsweise erste Unternehmen sogenannte Ersthelfer oder Ersthelferinnen für mentale Gesundheit ausbilden. „Doch es gibt noch viele Ungleichheiten“, sagt Schweiger.
Nicht alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben Gleitzeit und können beispielsweise therapeutische Termine während der üblichen Geschäftszeiten nur schwer wahrnehmen. Trotzdem blickt er positiv in die Zukunft: „Das Bewusstsein für psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz ist viel ausgeprägter als noch vor zehn Jahren.“