Hamburg. Betriebsrätin und Vertrauensfrau klagt gegen den Kaffeekonzern, bei dem sie 26 Jahre gearbeitet hat. Was hinter dem Fall steckt.
Ihren Arbeitsvertrag bei Tchibo hat Imke W. im Oktober 1995 unterschrieben. Sie habe immer gerne bei dem Unternehmen gearbeitet, sagt sie. 2010 hat sich die Hamburgerin für die Wahl der Schwerbehinderten-Vertretung aufstellen lassen und war zur ersten Stellvertreterin gewählt worden.
Tchibo kündigt Behinderten-Vertreterin: Hamburger Konzern vor Gericht
Seitdem hat sie, die selbst eine Schwerbehinderung hat, sich für die Belange von beeinträchtigten Beschäftigten eingesetzt. Vier Jahre später wurde sie in dem Ehrenamt bestätigt und an ihrem Arbeitsplatz freigestellt. Bei den nächsten Wahlen der Arbeitnehmervertretung 2018 stieg sie auf, wurde Vertrauensperson für die Schwerbehinderten bei Tchibo sowie für die Dachgesellschaft Maxinginvest, zu der auch Beiersdorf gehört. Außerdem zog sie als Mitglied in den Betriebsrat ein.
Eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Aber Imke W. streitet sich seit zwei Jahren mit ihrem Arbeitgeber vor Gericht um ein deutlich höheres Gehalt. Die Sache ist eskaliert und hat im Unternehmen für viel Aufregung gesorgt. Im vergangenen Juni hat Tchibo der Schwerbehinderten-Vertreterin und Betriebsrätin fristlos gekündigt – „wegen eines eklatanten Verstoßes gegen das arbeitsrechtliche Vertrauensverhältnis“, wie Tchibo es nennt.
Schwerbehinderten-Vertreterin gegen Tchibo: Urteil kurz vor Weihnachten
„Ich komme mir immer noch vor wie im falschen Film“, sagt die heute 54-Jährige. Gegen die fristlose Kündigung hat sie Klage eingelegt. Die Urteilsverkündung für beide Klagen im Berufungsverfahren vor dem Hamburger Landesarbeitsgericht war für Ende November anberaumt, wurde aber wegen einer fehlenden Unterschrift verschoben. Neuer Termin ist der 18. Dezember.
Nun könnte man meinen, die Geschichte sei schnell erzählt. Die unbequeme Arbeitnehmervertreterin auf der einen Seite, der harte Kaffeekonzern auf der anderen. Aber die Sache ist komplizierter. Und das hat mit der Anerkennung und mit der Vergütung von Beschäftigten zu tun, die sich Rahmen der betrieblichen Mitarbeitervertretung im Ehrenamt engagieren. Denn genau das ist das Wahlamt der Vertrauensperson für Schwerbehinderte, auch wenn Imke West mit acht Stellvertretern und Teamassistenz praktisch eine kleine Abteilung hat. Die Höhe ihres Gehalts richtete sich – inklusive routinemäßiger Gehaltsanpassungen – nach ihrem alten Arbeitsplatz als Junior Projektmanagerin im Marketing, ein Koordinationsjob.
Schwerbehinderten-Vertreterin stellte 2016 ersten Antrag auf Beförderung
2016, zwei Jahre nach ihrer Freistellung, habe sie zum ersten Mal einen Antrag auf Beförderung und Gehaltserhöhung gestellt, sagt Imke W. im Gespräch mit dem Abendblatt. Nachdem der Antrag abgelehnt worden war, versuchte sie es im Jahr drauf erneut. „Ich wollte finanziell nicht stehen bleiben, weil ich meine Arbeitskraft für die Belange der Beschäftigten einsetze“, sagt die Vertrauensperson für Schwerbehinderte, die mal als Bauzeichnerin bei Tchibo angefangen hatte. Sie beruft sich auf den Gleichstellungsgrundsatz.
Als sie erfuhr, dass die Nachfolgerin auf ihrem ursprünglichen Arbeitsplatz befördert worden war und in eine höhere Gehaltsstufe aufgestiegen war, stellte sie 2019 zum dritten Mal einen Antrag. Wieder passierte zunächst nichts, schließlich wurde der Antrag erneut abgelehnt. Im August 2021 schaltete Imke W. einen Rechtsanwalt ein. Holger Thieß, Arbeitsrechtler mit Kanzlei am Berliner Tor, beanspruchte eine Gehaltsanpassung nach dem sogenannten Benachteiligungsverbot, das für Betriebsräte im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und für Schwerbehindertenvertreter im Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) geregelt ist. In § 179 Abs. 2 SGB IX heißt es: „Die Vertrauenspersonen dürfen in der Ausübung ihres Amtes nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung.“
Schwerbehinderten-Beauftragte: Mir geht es um die Sache
Das klingt auf den ersten Blick eindeutig, aber wann genau eine Benachteiligung vorliegt, lässt sich unterschiedlich auslegen. Tchibo jedenfalls sah keinen Grund für eine Gehaltserhöhung. Imke W. reichte Ende 2021 Klage ein. Kurz vorher hatte sie Tchibo-Chef Werner Weber informiert. „Mir geht es um die Sache. Darum, dass man im Amt als Schwerbehinderten-Vertretung nicht schlechter gestellt wird“, sagt sie.
In den vergangenen Jahren habe sie sich weiterentwickelt und in ihrem Amt viel für das Unternehmen geleistet. „Ich bin zu einer Expertin geworden.“ Aus ihrer Sicht müsste sie daher im Vergleich zu anderen Beschäftigten mit ähnlichen Aufgaben zwei Gehaltsstufen höher eingruppiert werden. Das entspreche einem Plus von 30.000 bis 40.000 Euro brutto im Jahr.
Es ist nicht übertrieben festzustellen, dass sich der Ton zwischen den Parteien seitdem massiv verschärft hat. Auf der einen Seite die – hohe – Gehaltsforderung, auf der anderen Seite der juristische Apparat des Kaffeeriesen. Achtung, hier wird es jetzt kompliziert. Unter anderem ging es dabei um Bewerbungsmöglichkeiten auf interne Stellenausschreibungen für eine mögliche Höhergruppierung. Das ist theoretisch auch bei einer Freistellung möglich. Der Tchibo-Anwalt argumentierte, West habe sich nicht bewerben können, weil Stellen oftmals ohne Ausschreibung vergeben würden. Die Klägerin und ihr Anwalt hielten dagegen.
Grund für die fristlose Kündigung ist eine Aussage vor Gericht
Klägerin W., in der Beweislast, und ihr Anwalt entschlossen sich dazu, dem Gericht im Mai 2022 konkrete Fälle aufzuzeigen, in denen Beschäftigte ohne Stellenausschreibung befördert worden waren. „Es war die einzige Möglichkeit, die unwahren Behauptungen des Arbeitgebers zu widerlegen“, sagt Holger Thieß. Eine Entscheidung mit Folgen.
Der Arbeitgeber sieht darin eine Verletzung der Datenschutzverpflichtung der Betriebsrätin und Schwerbehinderten-Vertrauensperson – und damit den Grund für die fristlose Kündigung. Schwerbehinderten-Vertrauenspersonen genießen wie Betriebsräte eigentlich den Schutz der Unkündbarkeit.
Tchibo: „Eklatanter Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht und den Datenschutz“
Es handele sich „um einen eklatanten Verstoß gegen das arbeitsvertragliche Vertrauensverhältnis, die Geheimhaltungspflicht und den Datenschutz“, sagt ein Tchibo-Sprecher auf Abendblatt-Anfrage. Frau W. habe ihre Kenntnisse aus ihren Ämtern verwendet, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen.
Das Kündigungsschreiben wurde Imke W. am 7. Juni 2022 nachmittags um 16 Uhr per Boten in ihrer Wohnung in Groß Borstel zugestellt. Da wusste sie schon, was auf sie zukommt. Drei Wochen zuvor hatte der Betriebsrat zu erkennen gegeben, dass das Gremium einer Kündigung in den eigenen Reihen zustimmen werde und W., wie sie sagt, „mit Vorwürfen überschüttet“. Das ist sehr unüblich.
Richterin erklärte fristlose Kündigung in der ersten Instanz für unwirksam
Ganz so klar, war die Sache dann aber doch nicht. Inzwischen hat das Gericht festgestellt, dass diese Anhörung nicht ordnungsgemäß war. Tchibo hatte den Mitarbeitervertretern demnach vorher Tatsachen verschwiegen, die W. vom Vorwurf der Datenschutzverletzung entlasten. Die Folge: Das Gericht erklärte im November 2022 die fristlose Kündigung für unwirksam.
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Ein Erfolg, aber nur ein Teilerfolg. Ihre Beförderungsklage wiesen die Richter ab. „Es ist daran gescheitert, dass wir die Voraussetzungen für eine Höhergruppierung nicht zu 100 Prozent beweisen konnten. Das ist in der Praxis äußert schwierig und ein strukturelles Problem“, so der Rechtsanwalt.
Tchibo sieht sich dagegen gestärkt. „Die Entscheidung in erster Instanz legt eindeutig dar: Frau W. wurde durch ihre Ehrenamtstätigkeit nicht benachteiligt. Sie hat Gehaltserhöhungen erhalten und für die von ihr geforderte Beförderung gab es keine Grundlage“, erklärte der Unternehmenssprecher. Beide Parteien legten Berufung ein. Die Urteile vor dem Landesarbeitsgericht sollen nun kurz vor Weihnachten gesprochen werden.
Schwerbehinderten-Vertreterin will bis vor das Bundesarbeitsgericht
Seit mehr als anderthalb Jahren ist Imke W. nun arbeitslos und lebt von Arbeitslosengeld. Inzwischen ist sie zudem krankgeschrieben. Wegen der hohen Belastung, wie sie sagt. Beruflich steht sie vor einem Scherbenhaufen. „Wenn ich nicht so engagiert gewesen wäre, wäre das alles nicht passiert“, glaubt sie.
Aufgeben ist für sie trotzdem keine Option. „So wie es jetzt läuft, sieht für mich weder Gleichstellung, Diversität noch Inklusion aus.“ Imke W. will zurück an ihren Arbeitsplatz, setzt darauf, dass das Gericht die fristlose Kündigung auf in der zweiten Instanz für unwirksam erklärt. Sie sagt auch: „Die Gesetzeslage zum Benachteiligungsverbot ist veraltet, viel zu schwammig.“ Dagegen will sie weiter kämpfen. Und im Fall einer erneuten Ablehnung ihrer Beförderungsklage bis vors Bundesarbeitsgericht ziehen.