Hamburg. Vorwurf: An der Akademie soll seit Jahren ein System etabliert sein, das zumindest juristisch zweifelhaft wirkt. Die Hintergründe.
Der Besprechungsraum in der Kanzlei mitten in der Innenstadt ist zweckmäßig eingerichtet. Ein großer Tisch in der Mitte, ein paar Stühle drum herum. Zwei Feuerwehrleute haben Platz genommen, auf einem dritten Stuhl sitzt ein Anwalt, der sich aber nach einer kurzen Vorstellrunde zurückzieht. Das Thema des Vormittags ist heikel: Es soll um mangelhafte Arbeitszeiterfassung gehen, um gut bezahlte Honorarkräfte an der Feuerwehrakademie, um Abrechnungen und um ein möglicherweise rechtswidriges System, das aber schon seit Jahren etabliert sein soll.
Alles, was jetzt hier an dem Spätsommertag in diesem lieblosen Besprechungsraum gesagt wird, ist unter drei, wie es im Journalistenjargon so schön heißt. Übersetzt: Die beiden Feuerwehrleute wollen anonym bleiben. Wörtlich zitieren soll man sie zunächst nicht, aber mit den hier vorgestellten Informationen darf gearbeitet werden. Und die Informationen sind brisant.
Wird Arbeitszeit von internen Honorarkräften von der Feuerwehr nicht erfasst?
So brisant, dass sie anderthalb Monate später auch die Politik beschäftigt. In einer aktuellen Kleinen Anfrage von Dennis Gladiator, dem innenpolitischen Sprecher der CDU, heißt es im Betreff ganz nüchtern: „Qualitätssicherung der Aus- und Fortbildung in der Feuerwehrakademie in Verbindung mit Neben- und Honorartätigkeiten“.
29 Fragen wurden gestellt. In der ausführlichen Antwort der Feuerwehr heißt es zunächst in der Einleitung: „Die Feuerwehr Hamburg, insbesondere die Feuerwehrakademie, stand in den letzten Jahren vor großen Herausforderungen.“ Aktuell befinde sich die Feuerwehrakademie in einer Phase der Konsolidierung. Und dann noch ein entscheidender Satz: „Aufgrund der engen Verzahnung zwischen Hauptamt und Nebentätigkeit befindet sich die Unterrichtsverpflichtung von Mitarbeitenden der Feuerwehr derzeit in rechtlicher Überprüfung.“
Feuerwehr Hamburg lässt eigene Praxis rechtlich prüfen
Eine rechtliche Prüfung, die offenbar dringend nötig, aber noch nicht abgeschlossen ist. Gladiator stellte Fragen über Dinge, die auch vor sechs Wochen in der Kanzlei besprochen wurden – und die es seitdem zu prüfen gilt. Das Abendblatt sichtete Verträge, sprach mit Beteiligten und schickte auch selbst der Feuerwehr schriftliche Fragen. Der Hauptvorwurf: Ist an der Feuerwehrakademie ein System etabliert, das interne Honorarkräfte aus der Feuerwehr zwar finanziell begünstigt, dabei aber ganz bewusst die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeiterfassung umgeht?
In der SKA-Antwort heißt es zur Frage, ob die geleistete Arbeitszeit dokumentiert und so sichergestellt werde, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten eingehalten würden: „Die Einhaltung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit liegt derzeit in der Verantwortung der Gastdozierenden.“
Bundesarbeitsgericht: Arbeitgebende sind in der Verantwortung
Mit anderen Worten: Nicht die Feuerwehr sieht sich bei dieser zentralen Frage in der Verantwortung. Jeder einzelne Gastdozent sei vielmehr selbst in der Pflicht, seine Arbeitszeit ordnungsgemäß zu dokumentieren und die gesetzlichen Pausen einzuhalten. Gesetzlich ist allerdings der Arbeitgebende verpflichtet, die geleistete Arbeit zu dokumentieren und sicherzustellen, dass Grenzen nicht überschritten werden. So hat es das Bundesarbeitsgericht 2022 abschließend entschieden.
Außerdem: Dass die Honorarkräfte sich schwertun, diese möglichen Grenzüberschreitungen selbst zu dokumentieren, liegt in der Natur der Sache. Nach Abendblatt-Informationen soll der lukrative Nebenjob bis zu einer fünfstelligen Summe im Jahr als Zusatzverdienst einbringen. Und genau das – so lautet zumindest der Vorwurf von Betroffenen – wisse die Feuerwehr. Und sie würde es aufgrund von einem eklatanten Lehrkräftemangel stillschweigend akzeptieren, da sonst das ganze Akademiesystem nicht aufrechtzuerhalten wäre.
An Akademie und Berufsfachschule sind derzeit 26 Stellen vakant
Tatsächlich heißt es in den SKA-Antworten der Feuerwehr, dass an der Feuerwehrakademie und der Berufsfachschule für Notfallsanitäter derzeit 26 Stellen vakant seien. Immerhin: Diese seien bereits ausgeschrieben oder in Vorbereitung zur Ausschreibung. Dieses Personalloch führe allerdings dazu, dass mittlerweile bis zu 47 Prozent des Unterrichts an der Akademie durch interne Gastdozenten abgedeckt werde. Nach Abendblatt-Informationen wurden im vergangenen Jahr sogar mehr als 20.000 Unterrichtsstunden durch Honorarkräfte abgedeckt.
Feuerwehrmann 1 aus dem Konferenzraum, der aus Sorge vor den Konsequenzen seinen Namen nicht nennen will, bringt es auf den Punkt: Die „hoffnungslos überlastete Feuerwehrakademie“ habe einen eklatanten Lehrkräftemangel, sodass Unterricht vor allem durch „Feuerwehrleute des Einsatzdienstes in Nebentätigkeit durchgeführt“ werden müsse, sagt er. Sein Vorwurf: „Häufig geben die Feuerwehrleute nach einem 24-stündigen Dienst, der bis 7 Uhr morgens geht, direkt im Anschluss noch acht Stunden Unterricht im Hörsaal und/oder führen die praktische Ausbildung durch.“ Diese Gastdozententätigkeit sei für die Feuerwehrleute äußerst lukrativ, man könne in den acht Stunden fast 300 Euro steuerfrei verdienen.
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Das große „Aber“: Mit dieser Praxis würde die Feuerwehr gegen sämtliche gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitszeit verstoßen. So betrage die höchstens zulässige Arbeitszeit maximal 13 Stunden am Stück, zudem würden vorgeschriebene Ruhezeiten nicht eingehalten werden. Und auch die innerhalb der EU geltende Obergrenze zur durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von maximal 48 Stunden würde deutlich überschritten werden. Der angebliche Trick: „Die geleistete Arbeit taucht im Arbeitszeitkonto gar nicht auf, sondern wird direkt ausgezahlt.“
Wenn man so will, dann wäre es so, als wenn ein Busfahrer nach seiner Schicht noch acht Stunden Taxi fährt – und sich nach dieser „aktiven Pause“, die offiziell nicht dokumentiert wird, wieder hinter sein Lenkrad im Bus setzt.
Kaschiert die Feuerwehr zu hohe Belastungen der Mitarbeiter bewusst?
Auch Feuerwehrmann 2 aus dem Konferenzraum will diese Praxis nicht weiter hinnehmen. „Allen Verantwortlichen ist die Rechtslage seit Langem bekannt“, schreibt er in seinem nachträglich eingereichten schriftlichen Statement. „Trotzdem werden damit vorsätzlich seit vielen Jahren Personaldefizite und zu hohe Belastungen der Mitarbeiter insgesamt kaschiert. Nichts hierzu wurde nachvollziehbar dokumentiert.“ Sein vernichtendes Fazit: „Wie es den Mitarbeitern wirklich geht, scheint völlig egal. Gleiches gilt auch für das Thema der rechtswidrigen Honorarverträge in der Feuerwehr Hamburg.“
Nach Abendblatt-Informationen ist diese Praxis tatsächlich nicht neu, die Angaben aus der SKA lassen aber den Schluss zu, dass sich das System der Honorarkräfte in den vergangenen Jahren immer weiter manifestiert hat. So stieg die Summe der Vergütungen an externes und an feuerwehrinternes Personal von 151.630,80 Euro (2014) im vergangenen Jahr auf erstmals über eine Million Euro (ganz genau: 1.023.224,44 Euro). Davon gingen knapp 800.000 Euro (ganz genau: 799.988,48 Euro) an interne Gastdozenten.
Feuerwehr Hamburg will vorerst keine Gastdozentenverträge mehr abschließen
Zahlen, die man vonseiten der Politik so nicht mehr akzeptieren will: „Die Probleme bei der Feuerwehrakademie sind riesig“, sagt CDU-Mann Gladiator, der im Hinblick auf den Personalmangel und den nicht erfassten Zeitkonten von „dokumentierten Winkelzügen“ spricht. Auch einen Seitenhieb auf Innensenator Andy Grote kann er sich nicht verkneifen: „Der Innensenator kennt die Probleme seit Langem und schaut trotzdem tatenlos zu. Damit macht er sich selbst zum Teil des Problems, statt an Lösungen zu arbeiten.“
Immerhin: Nachdem die Praxis nun öffentlich ist, scheint es ein Umdenken zu geben. „Aktuell werden keine neuen Gastdozentenverträge geschlossen“, schreibt die Feuerwehr in der Beantwortung der SKA-Fragen. Ob sie ihre bisherige Praxis für rechtens hält, wollte sie allerdings auf Abendblatt-Nachfrage nicht konkret beantworten. Nur so viel: „Die bisherige Praxis wird auf Rechtssicherheit überprüft, damit eine nachhaltige Neugestaltung sichergestellt ist. Derzeit ist der Zeitpunkt, wann die rechtliche Überprüfung abgeschlossen sein wird, nicht valide abschätzbar.“
Feuerwehrleute bleiben im Hinblick auf Konsequenzen skeptisch
Doch die beiden Feuerwehrleute, die den Stein gegenüber dem Abendblatt ins Rollen gebracht haben, bleiben skeptisch: Neben der Feuerwehr sei die Thematik auch seit langer Zeit der Innenbehörde hinlänglich bekannt, sagt Feuerwehrmann 2. Sein Schlusswort: „Die Art und Weise, mit welch abgehobener Arroganz man die Defizite und Probleme seit Jahren ignoriert und verzögert hat oder vielmehr auch verzögern musste, macht einen wütend.“