Hamburg. Bei Treffen in Hamburg fordern Landesregierungen, Wirtschaft, Gewerkschaft: Bund muss Finanzzusagen trotz Haushaltskrise erfüllen.
In einem seltenen Schulterschluss haben die norddeutschen Bundesländer, Unternehmensverbände und Gewerkschaften die Bundesregierung aufgefordert, ihre bereits zugesagten Investitionen in die Energiewirtschaft und für den klimaneutralenUmbau der Industrie einzuhalten. „Das Strompreispaket der Bundesregierung und die Zusagen des Bundes zur Förderung von Innovationsprojekten müssen umgesetzt werden. Es darf nicht dazu kommen, dass Unternehmen ihre Produktion wegen hoher Energiekosten ins Ausland verlagern“, sagte Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) nach dem Treffen der fünf Landesregierungen bei einem sogenannten Energiekonvent im Werk des Hamburger Kupferherstellers Aurubis.
Tschentscher ist derzeit Vorsitzender der Konferenz Norddeutschland. Sie beriet bei dem Treffen am Donnerstag über die aktuelle Haushaltskrise der Bundesregierung nach dem Verfassungsgerichtsurteil zum Klima- und Transformationsfonds sowie der Sperrung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds. Dies dürfe nicht „zum Rückschlag für Innovation und Energiewende werden“, heißt es in der gemeinsamen Abschlusserklärung der Senate von Hamburg und Bremen sowie der Landesregierungen von Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern.
Hamburger Energie-Projekte auf der Kippe: Nord-Länder fordern vom Bund, Zusagen einzuhalten
Allein in Hamburg sieht der Senat nun 36 Projekte gefährdet. Dazu zählen der geplante Großelektrolyseur für grünen Wasserstoff in Moorburg – der Bund sollte 70 Prozent der geplanten Investitionen in Höhe von 152 Millionen tragen. Der Stahlhersteller ArcelorMittal, der in seinem Hamburger Werk die Herstellung von „grünem Stahl“ plant und bereits in das Projekt investiert hat, bangt nun ebenso um zugesagte Zuschüsse der Bundesregierung für eine Reihe von Wasserstoffprojekten. „Auch Aurubis ist ein Unternehmen, das besonders betroffen ist“, sagte Tschentscher. Die Metallhütte plant, Wasserstoff in der Kupferherstellung einzusetzen. In Schleswig-Holstein steht zurzeit der geplante Bau der Northvolt-Batteriefabrik in Heide infrage. Nach Angaben der Gewerkschaft IG Metall sind allein in Norddeutschland 100.000 bestehende oder geplante neue Arbeitsplätze gefährdet.
„Es geht um Hunderte Millionen Euro Förderzusagen, die Investitionen in Höhe von mehreren Milliarden Euro in norddeutschen Unternehmen auslösen werden“, betonte Tschentscher. Es sei bemerkenswert, dass sich die fünf Landesregierungen, die von Koalitionen in unterschiedlichen Zusammensetzungen getragen würden, dazu auf eine gemeinsame Position verständigt hätten. Im Namen aller Regierungschefs forderte er die Ampelkoalition auf, möglichst schnell Klarheit zu schaffen. Der Konvent sende das Signal aus, „dass wir die zugesagten Investitionen des Bundes dringend brauchen, um negative Folgen für die Wirtschaft zu vermeiden“.
Ministerpräsident Stephan Weil spricht sich in Hamburg für Industriestrompreis aus
Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), sagte, beim Umbau der Industrie müsse nicht allein die Wirtschaft, sondern auch die öffentliche Hand in den nächsten Jahren viel investieren müssen. „Die Länder allein werden das nicht schaffen. Auch der Bund muss seinen Anteil an den Kosten der industriellen Transformation übernehmen“, forderte er. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bekräftigte, Firmen mit hohem Energieverbrauch seien in den kommenden Jahren auf die Unterstützung des Staates angewiesen. „Damit wir ein wichtiger Standort der Grundlagenindustrie bleiben, ist ein Brückenstrompreis für energieintensive Unternehmen unverzichtbar.“
In einem gemeinsamen Positionspapier der Landesregierungen, der Unternehmensverbände und Gewerkschaften werden eine Reihe weiterer Forderungen an die Bundesregierung gestellt. Dazu zählt etwa eine stärkere Förderung der Seehäfen durch den Bund. „Derzeit beteiligt sich die Bundesregierung mit 38 Millionen Euro an der Finanzierung der Seehäfen. Sie brauchen aber 400 Millionen Euro“, sagte Norbert Aust, der Präses der Handelskammer Hamburg.
Tschentscher wird deutlich: Wir machen die Arbeit, der Süden profitiert
Tschentscher mahnte eine Neuregelung an bei den Netzentgelten für den Ausbau des Stromnetzes, die in den Nordländern deutlich höher sind als etwa in Bayern und Baden-Württemberg. „Es kann doch nicht sein, dass wir hier im Norden die Arbeit machen beim Ausbau der erneuerbaren Energien und allein der Süden den Vorteil davon hat“, sagte er. Die Umlegung der Kosten des Netzausbaus auf die Verbraucher müsse neu geregelt werden.
So groß die Einigkeit bei den Forderungen an die Bundesregierung waren, so unterschiedlich waren die Vorstellungen darüber, wie die Haushaltkrise überwunden werden könne: Zugleich wurden unterschiedliche Ansichten deutlich. Laura Pooth, die Vorsitzende des DGB Nord, forderte die Aussetzung der Schuldenbremse im Bund in diesem und im nächsten Jahr. Es müsse ein Sondervermögen wie für die Bundeswehr geben, sagte sie. Die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse sei eine Innovations- und Zukunftsbremse. Um wichtige Investitionen finanzieren zu können, müsse sich der Staat weiter verschulden dürfen.
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Kammerpräsident Norbert Aust bezeichnete solche Forderungen als völlig falsches Signal. Es gebe kein Einnahme-, sondern ein Ausgabeproblem. Finanzpolitische Stabilität sei eine der wichtigsten Voraussetzungen für wirtschaftliches Gedeihen. Auch Tschentscher lehnte eine Aussetzung der Schuldenbremse im Prinzip ab. Zwar sei die Lage für mehrere Länder und den Bund schwierig, aber Notfallentscheidungen stellten die Schuldenbremse an sich nicht infrage, betonte er.