Hamburg. Ein neues Gesetz führt dazu, dass Millionen Mieter bald handeln müssen. Was dahintersteckt und welche Alternativen es gibt.
Einen Brief mit ähnlichem Inhalt wie das Schreiben der Baugenossenschaft bgfg haben einige Hamburger Mieter schon erhalten, vielen aber dürfte das noch bevorstehen. „Heute möchten wir Sie darüber informieren, dass eine zentrale Versorgung Ihrer Wohnanlage mit Kabelfernsehen und Radio aufgrund einer Gesetzesänderung nicht mehr möglich ist“, heißt es darin. „Daher wird das Kabelfernsehen zum 01. 01. 2024 abgeschaltet.“
Hintergrund der Benachrichtigung ist ein Gesetz zur Abschaffung des sogenannten „Nebenkostenprivilegs“ für Kabelgebühren, das zwar schon seit dem 1. Dezember 2021 in Kraft ist. Aber die Übergangsfrist endet am 30. Juni 2024, sodass Hausverwaltungen nun die entsprechenden Briefe verschicken. Spätestens zur Mitte kommenden Jahres darf man Mietern die Gebühren für den Kabel-TV-Anschluss nicht mehr pauschal über die Nebenkostenabrechnung in Rechnung stellen.
Nutzer müssen somit individuelle Verträge abschließen, wenn sie weiter auf gewohnte Weise mit Kabelfernsehen versorgt werden möchten. „Wir bekommen schon Beratungsanfragen, weil etliche Mieter zunächst verunsichert sind und nicht wissen, was diese Änderung für sie bedeutet“, sagt Rolf Bosse, Vorsitzender des Mietervereins zu Hamburg. Bundesweit sind geschätzt 12 Millionen bis 13 Millionen Haushalte von dem neuen Gesetz betroffen, das auf EU-Recht zurückgeht.
Kabel-TV: Telekom soll sich in Brüssel für neues Gesetz starkgemacht haben
„Die Europäische Kommission hat Verbrauchern keinen Gefallen getan“, findet Bosse. „Denn für Mieter muss es nun leider eher teurer werden.“ Wenn die Kabelfernseh-Anbieter – nicht zuletzt der Vodafone-Konzern, der 2015 Kabel Deutschland übernommen hat – für eine große Zahl von Einzelkunden selbst das Inkasso übernehmen müssten, treibe das die Kosten hoch.
Nach Einschätzung der Verbraucherzentrale wird sich die Preiserhöhung im Bereich von maximal zwei bis drei Euro im Monat bewegen: „Erste Erfahrungen zeigen, dass bei gekündigten Mehrnutzerverträgen der Preis für den entsprechenden Einzelnutzervertrag bei etwa acht bis zehn Euro pro Monat liegt.“
Bei der Telekom, die sich Branchenkreisen zufolge in Brüssel für die Änderung starkgemacht hatte, sieht man das jedoch anders. „Der Wegfall des Nebenkostenprivilegs bietet jetzt Menschen, die in einer Mietwohnung leben, ganz neue Chancen. So können die Kosten je nach gewähltem TV-Anbieter sogar günstiger werden“, heißt es von dem Bonner Konzern.
Verbraucherschützer fürchten, dass „Medienberater“ nun ungünstige Verträge verkaufen
Tatsache ist, dass zahlreiche Mieter zwar die Kabel-TV-Gebühren über die Nebenkostenabrechnung mitbezahlen, den Anschluss aber gar nicht nutzen, weil sie über eine DVB-T2-Zimmerantenne, über eine Satellitenschüssel oder über das Internet fernsehen. Diesen Menschen bringt die Gesetzesänderung eine Entlastung.
Julia Rehberg, Telekommunikationsexpertin bei der Verbraucherzentrale Hamburg, sieht im Wegfall des Nebenkostenprivilegs eine „gute Gelegenheit, das eigene Nutzungsverhalten zu prüfen“. Sie fügt aber an: „Wir haben die Befürchtung, dass ‚Medienberater‘ von Tür zu Tür ziehen und versuchen werden, lang laufende und wenig sinnvolle Verträge zu verkaufen.“
Bei diesen sogenannten Beratern handelt es sich in der Regel um Freiberufler, die im Auftrag eines Kabelnetzbetreibers auf Werbetour sind und auf Provisionsbasis bezahlt werden. „Lassen Sie sich nicht überrumpeln, und unterschreiben Sie nichts an der Haustür“, warnt die Verbraucherzentrale.
TV-Empfang: Internet bietet viele Optionen – wenn der Anschluss schnell ist
Bisherige Kabel-TV-Nutzer umwirbt Vodafone nun mit individuellen Verträgen zu Kosten zwischen 6,99 Euro und 12,99 Euro pro Monat je nach Adresse. Diese Vereinbarungen haben allerdings eine Mindestlaufzeit von 24 Monaten. Immerhin gibt es aber eine Reihe von Alternativen für alle, die künftig nicht weiter Kabel-TV nutzen wollen oder können, weil dies für ihre Mietwohnung unter den neuen Bedingungen nicht mehr angeboten wird.
Über eine DVB-T2-Antenne zum Beispiel kann man rund 40 Sender empfangen, wobei das bei öffentllich-rechtlichen Programmen kostenlos ist. Will man auch Privatsender sehen, kostet das 99 Euro pro Jahr. Größte Programmvielfalt bietet zwar der Satellitenempfang. Wohnt man jedoch in einer Mietwohnung, könnte es schwierig sein, die Erlaubnis zur Installation einer eigenen Satellitenschüssel zu erhalten.
Eine Vielzahl von Möglichkeiten für den Fernsehempfang bietet das Internet – sofern man eine hinreichend schnelle Verbindung hat, was heute in einer Großstadt wie Hamburg in den meisten Fällen gegeben sein sollte. So offeriert etwa der Streamingdienst Waipu.tv sein günstigstes Paket „Comfort“ noch bis zum 27. November für 3,75 Euro statt 7,49 Euro im Monat. Empfangbar sind 190 Sender, davon 155 in HD-Qualität. Zwar ist der Vertrag monatlich kündbar. Wer aber nicht vor Ende des zwölften Monats kündigt, zahlt dann wieder die übliche Monatsgebühr von 7,49 Euro.
Hamburger Firma: „Das Problem ist die Marktmacht der Telekom“
Natürlich hat sich auch die Telekom für den nun ausbrechenden Wettbewerb um Fernsehkunden in Stellung gebracht. Das speziell auf Mieter zugeschnittene Angebot MagentaTV umfasst mehr als 100 Fernsehsender in HD-Qualität, außerdem steht eine Film-und-Serien-Mediathek zur Verfügung.
Das Produkt ist in den ersten neun Monaten kostenlos, ab dem zehnten Monat kostet es mindestens 10 Euro monatlich und ab dem 25. Monat 13 Euro, zuzüglich Hardware-Kosten.
- 55-Zoll-Fernseher im Test: Das ist der Preis-Leistungs-Sieger
- Schnelles Internet: Stadtwerke Winsen warnen vor Masche von Mitbewerbern
- Vodafone: Hunderte Kunden in Hamburg ohne Internet und Fernsehen
„Das Problem ist die Marktmacht der Telekom – sie wird die neuen Verträge mit Hunderten Millionen Euro subventionieren“, sagt dazu Bernd Thielk, geschäftsführender Gesellschafter der Hamburger Firma willy.tel. Sie versorgt aktuell 170.000 Hamburger Haushalte mit Kabelfernsehen.
Zwar macht dies nur noch rund 30 Prozent des Umsatzes aus, den Großteil des Geschäfts erwirtschaftet das Familienunternehmen inzwischen mit schnellem Internet. Aber: „Es tut weh. Wir werden einen Teil der Umsätze verlieren“, sagt Thielk.
Wer Bürgergeld erhält, kann jetzt benachteiligt sein
Für Mieter in Wohnblocks, die schon jetzt von dem Unternehmen mit Kabelfernsehen versorgt werden, gibt es das Angebot „willy.tv basic“ für 4,90 Euro pro Monat. Das Neugeschäft, also die Gewinnung weiterer Hausverwaltungen als Kunden, dürfte aber künftig wesentlich schwieriger werden. Thielk geht auch davon aus, dass die ehrgeizigen Glasfaser-Ausbauziele des Hamburger Senats und der Bundesregierung durch die Gesetzesänderung wohl verfehlt werden, weil der „Solidareffekt“ von Sammelanschlüssen mit langen Laufzeiten weitgehend wegfalle.
Verlierer der neuen Regelung sind auch viele der Menschen, die Bürgergeld empfangen. Denn sie bekommen den Kabelanschluss nach bisheriger Rechtslage nur dann vom Jobcenter bezahlt, wenn er über die Nebenkostenabrechnung abgerechnet wird.