Hamburg. Abrechnungsfehler und hohe Nachzahlungen – „vierstellige Summen keine Seltenheit“. Was Mieterverein und Sozialverband empfehlen.

Als Jürgen Brockmöller die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2022 bekam, ging er zunächst von einem „schlechten Scherz“ aus, so erzählt es der 77-Jährige. Er lebt in einer Mietwohnung im Norden von Blankenese. Eine Kostensteigerung bei Heizung und Warmwasser um 250 Prozent gegenüber 2021 – dass musste ein Fehler sein. „Ich war schockiert“, sagt Brockmöller.

Er suchte sich Hilfe beim Mieterverein zu Hamburg. Wie sich herausstellte, hatte seine Vermieterin im März 2022 Heizöl für 2,36 Euro pro Liter gekauft. Laut Statistischem Bundesamt habe der Preis in Hamburg zu dem Zeitpunkt allerdings bei 1,25 Euro pro Liter gelegen, sagt der Mieterverein. Brockmüller erklärt, zu Beginn des Jahres seien 6000 Liter im Tank gewesen. „Das hätte bis zum Ende des Jahres gereicht.“

Wohnung Hamburg: Nachzahlung für Heizkosten in vierstelliger Höhe keine Seltenheit

Vermietende müssten wirtschaftlich handeln, also Preise von mehreren Anbietern vergleichen, um zu klären, ob sich Kosten für den Mieter senken lassen, erklärte der Vorsitzende des Mietervereins, Rolf Bosse, am Mittwoch, als er eine Bilanz vorstellte, wonach hohe Nachzahlungen für Heizkosten viele Mieterhaushalte in Hamburg belasten.

„Wir sagen: Verletzt die Vermieterseite den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz, ist ein Teil der Kosten von ihr nicht umlagefähig in den Betriebskosten.“ Dies sei in Brockmöllers Fall anzunehmen.

Jürgen Brockmüller sagt, statt der geforderten 1.356,95 Euro habe er zuletzt 980 überweisen müssen, deutlich weniger also, aber eigentlich immer noch zu viel seiner Ansicht nach. Er ärgere sich vor allem über die Haltung seiner Vermieterin: „Das schlimmste ist, dass es kein Unrechtsbewusstsein gibt.“

„Viele Abrechnungen landen unter dem Weihnachtsbaum“

Infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine waren 2022 die Energiepreise erheblich gestiegen. Damit seien auch die Nebenkosten von Hamburger Mietenden in die Höhe geschossen, sagte Rolf Bosse. Der Mieterverein vertritt 75.000 Haushalte. Nachzahlungsforderungen für Heizkosten in vierstelliger Höhe seien keine Seltenheit.

Für viele Mietende könnte ein dickes Ende noch kommen. Bis zum 31. Dezember dieses Jahres müssen Vermieter die Nebenkostenabrechnung für das vergangene Jahr schicken. „Ganz viele Abrechnungen landen unter dem Weihnachtsbaum – und verhageln das Fest“, sagte Bosse.

Der Mieterverein stelle bei der Prüfung der Abrechnungen immer wieder fest, dass die Dezemberhilfen nicht berücksichtigt oder andere gesetzliche Vorgaben nicht eingehalten wurden. Hinzu kommen dem Verein zufolge „die üblichen“ Abrechnungsfehler, die Hamburger Mieterhaushalte schätzungsweise jährlich mindestens zwölf Millionen Euro kosteten.

„Unserer Erfahrung nach ist jede zweite Nebenkostenabrechnung fehlerhaft“, sagte Bosse. Bei der Prüfung für 2022 sollten Mieterinnen und Mieter besonders kritisch sein. „Das ist unser dringender Appell.“

Mieterverein kritisiert Saga: „Wir erwarten Lösungen“

Viele der vom Mieterverein derzeit geprüften Heizkostenabrechnungen betreffen das städtische Wohnungsunternehmen Saga, sagte Bosse. Saga-Mietende mit Gasheizungen – laut Mieterverein etwa 55.000 Haushalte – erhielten für das Jahr 2022 Nachzahlungsforderungen bis zu 2.000 Euro. Grund dafür sei ein „sehr spekulativer“ Vertrag, den die Saga mit ihrem Energielieferanten – den Stadtwerken Flensburg – geschlossen habe.

Da der Vertrag keinen Festpreis für die Laufzeit vorsehe, entstehen laut Mieterverein für die betroffenen Mieterinnen und Mieter durch die „heftigen Preissteigerungen“ in den Jahren 2021 und 2022 hohe Belastungen. Es stelle sich die Frage, ob die Saga die Treuepflichten für ihre Mieter nicht verletzt habe, sagte Bosse. „Wir erwarten nun von der Saga, dass sie Lösungen findet, sodass keine Mieterin und kein Mieter mit ihrer oder seiner Nachzahlung überfordert ist.“

Verbrauchswerte geschätzt, obwohl verwertbare Messungen vorlagen

Sehr viel Arbeit mache dem Mieterverein auch die Vermietungsgesellschaft Vonovia, die in Hamburg 10.000 Wohnungen verwalte. „Die Betriebskosten, die Heizkosten, die sind tatsächlich immer sehr problematisch und sollten sehr genau angeguckt werden“, sagte Bosse.

Er schilderte einen Fall in Steilshoop: Dort seien Verbrauchswerte der Mieter geschätzt worden, obwohl die Heizkostenverteiler an den Heizkörpern in der Wohnung im Jahr 2022 verwertbare Messergebnisse geliefert hätten. Die Abrechnung sei dann nach dem tatsächlichen Verbrauch korrigiert, die zunächst geforderte Nachzahlung von 322 Euro in eine Gutschrift von elf Euro umgewandelt worden.

Klaus Wicher, Hamburger Vorsitzender des Sozialverbands SoVD, schilderte den Fall einer Saga-Mieterin in Billstedt, die eine Nachzahlungsforderung von 1600 Euro bekommen habe – diese Summe entspreche dem Monats-Nettoeinkommen der Frau, die als Verkäuferin arbeite. Wer eine Nachzahlung nicht stemmen könne, dürfe auf staatliche Hilfe hoffen, so der Mieterverein. Betroffene Arbeitnehmer und Bürgergeldempfänger könnten sich an das örtliche Jobcenter wenden und einen Antrag auf Übernahme der Nachzahlung stellen. Für betroffene Rentner sei das Grundsicherungsamt der richtige Ansprechpartner.

Sozialverband: Anträge von Hilfesuchenden sollten schneller bearbeitet werden

Die Bearbeitung laufe allerdings oft nicht zügig, im Gegenteil, sagte Klaus Wicher. „Wir hören von Mitgliedern, dass die Mühlen der Bürokratie hier sehr langsam mahlen.“ Das müsse besser werden, denn Vermieter erwarteten die Zahlung der Rechnung, sobald sie fällig ist. „Wer das nicht kann, riskiert möglicherweise sogar die Kündigung des Mietvertrags.“

Wicher forderte mehr Unterstützung und Beratung für die Betroffenen. „Die zuständigen Ämter brauchen mehr Personal, damit Anträge zügig bearbeitet werden können. Auch die Härtefallfonds für Mieterinnen und Mieter, denen eine Gas- oder Stromsperre droht, müssen aufgestockt werden.“