Hamburg. Auftragseingang um 31,5 Prozent eingebrochen – für Neubauten müssen schon bis zu 20 Euro pro Quadratmeter aufgerufen werden.
Eine komplette Branche rutscht derzeit in eine schwere Krise: „Fast jeder zweite Betrieb im Wohnungsbau leidet mittlerweile unter Auftragsmangel und es werden jeden Monat mehr“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter des Bereichs Umfragen beim Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo. „Für einige wird die Situation bedrohlich, jedes zehnte Unternehmen meldete bereits Finanzierungsschwierigkeiten“, so Wohlrabe. „Der Ausblick für den Wohnungsbau bleibt finster, die Unternehmen stimmen sich auf harte Zeiten ein.“
In Hamburg haben sich die Auftragseingänge im Wohnungsbau im ersten Halbjahr 2023 um 31,5 Prozent verringert, wie das Statistikamt Nord mitteilte. Ursache dafür ist der drastische Wandel der Rahmenbedingungen: Seit Anfang 2022 sind die Zinsen der Hypothekenkredite von einem Prozent auf nun mehr als vier Prozent hochgeschnellt, außerdem haben sich die Baukosten im Zuge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs stark erhöht. Damit lassen sich viele Neubauvorhaben nicht mehr kostendeckend realisieren – sie werden storniert oder für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt.
Wohnen in Hamburg: Kurzarbeitergeld hilft über den Winter – aber dann droht Stellenabbau
Laut einer Umfrage unter den Mitgliedsunternehmen stünden derzeit allein in Hamburg rund 900 Wohnungen „auf der Kippe“, sagt Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), in dem viele Genossenschaften zusammengeschlossen sind. „Ich fürchte, das wird sich in den kommenden Monaten nicht ändern. Nur mal zum Vergleich: Im vergangenen Jahr stellten unsere Mitgliedsunternehmen in Hamburg 2095 Wohnungen fertig. Die Zahl wird sich mittelfristig halbieren“ – mit entsprechenden Folgen auch für die ohnehin schon kräftig gestiegenen Mieten in der Stadt, denn die Nachfrage gerade nach bezahlbaren Wohnungen ist extrem hoch.
Bei ausbleibenden Aufträgen steigt der Druck auf die Bauunternehmen, das Personal zu reduzieren. „Entlassungen hat es bisher nur ganz vereinzelt gegeben“, sagt dazu Michael Seitz, Hauptgeschäftsführer der Bau-Innung Hamburg. „Jeder wird versuchen, seine Beschäftigten zu halten, solange es irgendwie geht. Denn er weiß, dass er sie sonst nie wiedersehen wird“, so Seitz. Schließlich leiden etliche Wirtschaftszweige unter einem Arbeitskräftemangel.
„In den nächsten Monaten rettet uns noch das sogenannte Winter-KUG, eine spezielles Kurzarbeitergeld für das Baugewerbe“, erklärt Seitz. Aber das gibt es nur bis März. Außerdem seien aktuell noch Aufträge aus dem vorigen Jahr abzuarbeiten. „Aber ab April gehen wir schwierigen Zeiten entgegen, wenn sich bis dahin die Rahmenbedingungen nicht ändern. Dann könnte es einen massiven Beschäftigungsabbau geben“, fürchtet der Innungs-Hauptgeschäftsführer.
Baukosten liegen bis zu 50 Prozent über dem Niveau vor der Corona-Pandemie
Für ihn ist eine schnelle Verbesserung des Umfelds nicht absehbar: „Meines Erachtens werden die Zinsen in nächster Zeit nicht deutlich wieder sinken und die Baukosten liegen derzeit 40 bis 50 Prozent über dem Niveau vor Beginn der Corona-Pandemie.“
Auch Breitner sieht „keine Anzeichen für eine Entspannung“. Eine Umfrage unter den VNW-Mitgliedsunternehmen von Ende Oktober habe ergeben, dass 87 Prozent der Betriebe auch auf längere Sicht keinen Rückgang der hohen Baupreise erwarten. Diese in Verbindung mit den deutlich gestiegenen Zinsen setzten vor allem dem mittleren Mietensegment zu, sagt Breitner: „Wer derzeit ohne öffentliche Förderung neu baut, der muss am Ende eine monatliche Netto-Kaltmiete von 17 bis 20 Euro pro Quadratmeter verlangen, damit er keine roten Zahlen schreibt.“ Das könnten aber selbst Haushalte mit mittlerem und höherem Einkommen kaum mehr bezahlen.
Unter den aktuellen Bedingungen leiden, so Breitner, zuallererst sozial orientierte Vermieter wie die vom VNW vertretenen Genossenschaften. Denn sie hätten kaum Möglichkeiten, steigende Preise über höhere Mieten zu kompensieren. „Das wird aber notwendig sein, wenn die Unternehmen nicht selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen wollen.“
„Als Kanzler scheint Scholz das Interesse am Wohnunsgbau verloren zu haben“
Angesichts der einbrechenden Auftragseingänge fallen die Baufertigstellungen in den nächsten Jahren voraussichtlich immer weiter hinter die erklärten Ziele des Hamburger Senats (10.000 Wohneinheiten jährlich) und der Bundesregierung (400.000 neue Wohnungen pro Jahr) zurück.
Vor diesem Hintergrund hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ende September zu einem „Wohngipfel“ eingeladen. Das Treffen habe nicht gerade einen „Doppelwumms“ gebracht, findet Seitz. Zwar sei die zuvor geplante Verpflichtung, nach dem neuen Standard „Effizienzhaus 40“ (EH40) zu bauen, fallen gelassen worden. „Aber damit ist man nur einen halben Schritt gegangen“, sagt Seitz. Denn man habe die staatliche Förderung für den bisherigen EH55-Standard, die im vorigen Jahr beendet wurde, nicht wieder eingeführt. „Unsere Forderung lautet daher, diese Entscheidung nachzuholen.“
Auch Breitner ist enttäuscht von den Resultaten des Gipfels. „Wir hatten große Hoffnungen in eine Bundesregierung unter der Führung eines Bundeskanzlers, der als Hamburger Bürgermeister bewiesen hat, dass er Wohnungsbau kann“, sagt der VNW-Direktor. „Als Bundeskanzler scheint er das Interesse daran verloren zu haben.“ Solche Spitzentreffen seien aber ohnehin häufig „Showgipfel“, bei denen es der Bundesregierung in erster Linie um schöne Fotos und positive Schlagzeilen gehe.
Wohnen in Hamburg: Immer neue Vorschriften treiben die Baukosten noch weiter hoch
„Was den Wohnungsbau angeht, so habe ich derzeit den Eindruck, dass es allen voran das von den Grünen geführte Bundeswirtschaftsministerium ist, das – allen anderslautenden öffentlichen Bekundungen zum Trotz – den Bau bezahlbarer Wohnungen torpediert“, so Breitner. Dort würden „ununterbrochen Entscheidungen getroffen, die eine Schaffung von bezahlbarem Wohnraum unmöglich machen.“
Zudem herrsche hinsichtlich des Gebäudeenergiegesetzes und Hamburgs „Übersetzung“ in Landesgesetze große Verunsicherung, klagt Breitner: „Wir haben es gefühlt mit zwei Lagern im Rathaus zu tun: Die einen wollen, dass wir in den Neubau investieren, die anderen denken mehr an die Heizungskeller, Gründächer und überdachten Fahrradstellplätze.“ Beides gleichzeitig werde sich jedoch aufgrund der Baukosten und der Zinsentwicklung nicht mehr realisieren lassen.
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„Weniger Bauvorschriften, kürzere Baugenehmigungsverfahren und ein Abspecken bei den Quartiersauflagen können helfen, Baupreise zu drücken“, sagt Breitner. „Jetzt noch Anforderungen draufzupacken, das wäre der Sargnagel für den Wohnungsbau.“ Deshalb habe er die Landesregierungen von Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern aufgefordert, „Nägel mit Köpfen zu machen und eine gemeinsame norddeutsche Bauordnung zu schaffen“. Die drei Länder könnten Vorreiter beim Abbau bürokratischer Regelungen werden.
Ganz ähnlich argumentiert Seitz: „Vor allem müssen wir von den aberwitzig hohen technischen Anforderungen an Neubauten herunter, denn diese Vorschriften treiben die Kosten hoch.“ Die Einführung eines „Gebäudetyps E“ für einfaches Bauen, wie ihn die Bayerische Architektenkammer vorgeschlagen habe, könne da sehr hilfreich sein.