Hamburg. Fehlt Personal, oder sind die Kapitäne mit der meistbefahrenen Wasserstraße der Welt überfordert? Experten sagen ihre Meinung.

Es ist gerade einmal eine Woche her, da krachte ein Frachter gegen ein Schleusentor im Nord-Ostsee-Kanal (NOK). Das 88 Meter lange Schiff aus den Niederlanden kollidierte aus unbekanntem Grund in Kiel-Holtenau in der Südkammer mit der östlichen Schleuse. Das Tor ließ sich daraufhin erst einmal nicht bewegen. Der Schaden betrug 500.000 Euro.

Vor zwei Tagen war ein Kapitän mit dem Schleusenvorgang überfordert und zerstörte einen Fender. Im März havarierte ein anderes Schiff im Kanal und fuhr gegen die Uferböschung. Im Januar führte ein Leck in einer Pipeline und ein großer Ölteppich im Kanal zu dessen Vollsperrung. Kaum ein Monat vergeht ohne neue Schreckensmeldung aus dem 98 Kilometer langen Kiel-Kanal. Die Sperrungen dauern mal kürzer, mal länger, sind aber jedes Mal ein großes Problem für die Schifffahrt, weil sie zu riesigen Staus führen.

Nord-Ostsee-Kanal: Warum es hier so häufig kracht

Der Nord-Ostsee-Kanal ist die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt. Rund 28.000 Schiffe durchqueren den Kanal jährlich. Er ist die kürzeste Verbindung zwischen Nord- und Ostsee und ersetzt die umständliche Fahrt der Schiffe außen herum um Skagen, deren Wegstrecke ungefähr 450 Kilometer länger ist. Zugleich ist der Kanal ein wichtiges Bindeglied für den Hamburger Hafen. Dort wird die Ladung der großen Überseeschiffe, sofern sie nicht in der Region verbleibt, auf kleinere Frachter umgeladen, die sie dann durch den Kanal ins Baltikum oder nach Skandinavien weitertransportieren.

Kommt es zu einem Unfall im Kanal, stockt die Transportkette auch im Hafen. Das macht sich besonders bemerkbar, wenn die Störung länger anhält. Nach der Kollision in der vergangenen Woche konnte die Kieler Schleuse am Folgetag freigegeben werden. Bei der Kollision eines finnischen Spezialschiffs mit den Holtenauer Hochbrücken über den Nord-Ostsee-Kanal im November vergangenen Jahres fielen mehrere 25 Tonnen schwere Kontergewichte ins Wasser. Die Sperrung dauerte Tage. Geht man von durchschnittlich 75 Schiffspassagen am Tag aus, kann man sich ausmalen, wie groß der Schiffsstau gewesen sein muss.

Nord-Ostsee-Kanal: Auch kurze Sperrungen sorgen für lange Staus

Eigentlich müsste der NOK besonders sicher sein. Er ist die einzige Wasserstraße Deutschlands, bei deren Befahren Schiffe nicht nur Lotsen, sondern ab einer Länge von 100 Metern auch sogenannte Kanalsteuerer als Berater an Bord haben müssen. Grund hierfür waren eben schwere Havarien in der Vergangenheit.

Ist der Nord-Ostsee-Kanal eine Schiffsfalle? Gemessen am Verkehrsaufkommen liege die Zahl der Unfälle bei weniger als 0,01 Prozent, sagt Jens B. Knudsen, geschäftsführender Gesellschafter von Sartori & Berger. Das Unternehmen verdient als großer Schiffsmakler in allen deutschen und polnischen Häfen sein Geld, ist aber zugleich Hafenbetreiber in Brunsbüttel und Kiel-Holtenau, den Endpunkten des Kanals. „Kommt es aber zu einer Havarie, sind die Auswirkungen gewaltig, weil für die nachfolgenden Schiffe irre Wartezeiten entstehen.“

Nord-Ostsee-Kanal: gefährliche Manöver

Besonders problematisch sei es in der Sommersaison, wenn auch viele Kreuzfahrtschiffe den Kanal passieren wollen. Nicht selten hat dann Knudsen Kapitäne am Telefon, die ihn durch den Hörer anschreien. „Die haben Tausende Gäste an Bord, die am Ende der Kreuzfahrt auf ihre Anschlüsse angewiesen sind.

Busse, Bahnen, Flugzeug, alles verfällt, wenn das Schiff vor dem Kanal lange warten muss“, sagt Knudsen. Und bei Sperrungen könnten die Verzögerungen schnell bei zwölf Stunden oder mehr liegen.

Nord-Ostsee-Kanal: Kleine Störungen haben riesige Auswirkungen

Knudsen sieht die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes in der Verantwortung. Der fehle das Personal. „Der Betrieb ist komplett auf Kante genäht. Kommt es am Freitagnachmittag zu einem Unfall, dann wissen wir, dass die Sperrung mindestens bis Montagmorgen dauert, weil am Wochenende keine Inspektion der Schadensstelle stattfindet.“

Jens B. Knudsen ist geschäftsführender Gesellschafter von Satori & Berger. Er kennt alle Probleme mit dem Kanal.
Jens B. Knudsen ist geschäftsführender Gesellschafter von Satori & Berger. Er kennt alle Probleme mit dem Kanal. ©  Satori & Berger |  Satori & Berger

Seit Jahren würden auf Anweisung des Bundesfinanzministeriums beim Schifffahrtsamt Nord-Ostsee-Kanal jährlich 1,5 Prozent der Stellen gestrichen, wie bei allen anderen Ämtern auch. Die Personaldecke sei komplett ausgedünnt. Zwar habe man die Probleme erkannt und den Aderlass für 2024 erst einmal gestoppt. „Es werden aber auch keine zusätzlichen Stellen geschaffen, aber die Schleusenanlagen werden immer älter, und der Wartungsaufwand erhöht sich“, so Knudsen.

Nord-Ostsee-Kanal: Für manche Kapitäne ist er schwer zu befahren

Beim Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt NOK mit seinen 750 Mitarbeitern sieht man das anders: „Da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Die Ursachen für Betriebsstörungen sind sehr unterschiedlich. Ich wehre mich dagegen, dass man die Schuld immer bei der Wasserstraße sucht“, sagte ein Sprecher des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes. Häufig habe man es mit Schiffsführern zu tun, die ihren Aufgaben nicht gewachsen sind. Zudem würden die Schiffe immer größer – die Schäden damit auch.

Frachtschiffe an der Schleuse vom Nord-Ostsee-Kanal in die Kieler Förde. Der Kanal ist stark befahren. Manchmal ist wenig Platz zum Ausweichen.
Frachtschiffe an der Schleuse vom Nord-Ostsee-Kanal in die Kieler Förde. Der Kanal ist stark befahren. Manchmal ist wenig Platz zum Ausweichen. © picture alliance | Martin Schroeder

Im Übrigen kann man der Bundesregierung nicht vorwerfen, dass sie nichts tut. Im Gegenteil: Nachdem der NOK über Jahrzehnte vernachlässigt worden war und einige Schleusenanlagen noch aus der Zeit der Eröffnung durch Kaiser Wilhelm stammen, gibt er jetzt Milliardensummen für Erhalt und Ausbau aus. Allein für 1,2 Milliarden Euro wird in Brunsbüttel eine neue Schleusenkammer gebaut. Eine halbe Milliarde Euro steckt der Bund gerade in den Ausbau der Oststrecke des Kanals, damit größere Schiffe hier leichter manövrieren können. Allerdings kommt es auch hier immer wieder zu Verzögerungen, weil das Personal knapp ist.

Ist der Nord-Ostsee-Kanal eine Schiffsfalle?

Das viele Geld, das im NOK verbuddelt wird, ist aber auch Anlass für Kritik. Mehrfach hat der Bundesrechnungshof die Ausgaben in der Vergangenheit gerügt, zumal die Einnahmen aus den sogenannten Befahrensgebühren mit 20 Millionen Euro im Jahr dazu in keinem Verhältnis stehen. Erst recht nicht, nachdem der Bund die Gebühren in diesem Jahr noch einmal halbiert hat, weil die Lotsenkosten und die Ausgaben für die Kanalsteuerer gestiegen sind.

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Wirtschaftsexperten raten aber dazu, weiter in den Kanal zu investieren. Nicht zuletzt das Institut für Weltwirtschaft in Kiel hat vor eineinhalb Jahren in einer Studie festgestellt, dass der Kanal durch die kürzeren Wege zu den Anrainerstaaten der Ostsee die Handelskosten für Exporteure und Importeure deutlich reduziert. Deutschland profitiert durch den NOK mit rund 570 Millionen Euro pro Jahr, davon sind gut 140 Millionen Euro Einnahmen von Beschäftigten und Firmen mit direktem Kanalbezug.