Hamburg. Kurz vor Beginn des Weihnachtsgeschäfts ist das bekannte Traditionsgebäck vielerorts nicht zu bekommen. Aber es gibt Hoffnung.

Sie sind braun, kross und erinnern mit ihrem Duft nach Zimt und Nelken an Weihnachten. Für viele Hamburger gehören Kemm‘sche Kuchen zur Herbst- und Winterzeit wie Dominosteine oder Glühwein. Doch im Moment ist das Traditionsgebäck in den Geschäften häufig nicht zu bekommen. Nicht wenige Fans stehen vor leeren Regalen. Und das wird wohl auch noch einige Wochen lang so bleiben.

Schon seit September werden keine Kemm‘schen Kuchen mehr gebacken. Inzwischen machen sich die Lieferengpässe überall im Norden bemerkbar. „Es ist sehr misslich, aber uns bleibt keine andere Wahl“, sagt Jens Wohlrab, Geschäftsführer von Kemm 1782 Hamburg. Das Unternehmen hatte 2015 die Markenrechte an dem Keksklassiker zurück in die Hansestadt geholt. Eigentlich läuft das Geschäft stabil. Es sind die hohen Preissteigerungen im Zuge von Corona-Pandemie und Energiekrise, die die kleine Gebäckfirma in die Knie zwingen.

Kekse aus Hamburg: Herstellungskosten für Kemm‘sche Kuchen sind stark gestiegen

„Die Herstellungskosten sind im hohen zweistelligen Prozentbereich gestiegen, aber die daraus resultierenden höheren Verkaufspreise lassen sich im Handel nicht durchsetzen“, sagt Vertriebsprofi Wohlrab auf Anfrage des Abendblatts. Deshalb hätten er und sein Geschäftspartner Georg Parlasca, in dessen Keksfabrik in Burgdorf bei Hannover die Kemm‘schen Kuchen produziert werden, die Maschinen gestoppt. Ansonsten, so der 53-Jährige, hätte die Gefahr bestanden, auf Hunderttausenden von Kekstüten sitzen zu bleiben und sie im schlimmsten Fall wegwerfen zu müssen. „Das wäre das Todesurteil für uns gewesen.“

Die Vorweihnachtszeit ist für die würzige Leckerei Hauptsaison. Mehr als die Hälfte des Jahresabsatzes von im Schnitt 800.000 Tüten werden zwischen September und Dezember verkauft. „Das Geschäft verlieren wir für dieses Jahr“, sagt Jens Wohlrab. Trotzdem sei es richtig gewesen, nicht weiterzuproduzieren. So seien Kosten gespart worden. Zugleich habe man Zeit gewonnen, eine Lösung zu finden.

Jens Wohlrab (l.) und Georg Parlasca präsentieren Kemm‘sche Kuchen in einem kleinen Kolonialwarenladen an der Deichstraße (Archivfoto).
Jens Wohlrab (l.) und Georg Parlasca präsentieren Kemm‘sche Kuchen in einem kleinen Kolonialwarenladen an der Deichstraße (Archivfoto). © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez

Das in Hamburg erfundene Gebäck hat eine turbulente Geschichte mit Eigentümerwechseln, Umzügen und Pleiten hinter sich. 1782 hatte Bäckermeister und Konditor Johann Georg Kemm die Idee, seine Kekse ähnlich wie Zwieback doppelt zu backen und damit haltbarer zu machen. Zuckerrübensirup sorgte im Originalrezept für die charakteristische braune Farbe. Die Rezeptur kam an. Kemm‘sche Kuchen wurden sogar als sogenanntes Magenbrot an Krankenhaus-Patienten verteilt.

Hamburg-Lokstedt: Kemm‘sche Kuchenfabrik machte 1994 dicht

Nachdem die Gründerfamilie das Unternehmen 1889 verkauft hatte, wuchs die Firma J.G. Kemm unter dem neuen Eigentümer. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde auf der grünen Wiese in Lokstedt die Kemm‘sche Kuchenfabrik errichtet. Mitte der 1990er-Jahre hatte das Unternehmen 60 Beschäftigte und stellte auch andere Produkte her, wie Friesentaler und Heidesand. Weil die Gewinne angesichts des hohen Personaleinsatzes ausblieben, machte die Keksfabrik im Jahr 1994 dicht.

Kemm‘sche Kuchen gibt es schon seit 1782. Damals hatte der Altonaer Bäckermeister Johann Georg Kemm die Idee, Kekse mit Zuckerrübensirup zu backen.
Kemm‘sche Kuchen gibt es schon seit 1782. Damals hatte der Altonaer Bäckermeister Johann Georg Kemm die Idee, Kekse mit Zuckerrübensirup zu backen. © Kemm'sche Kuchen

Die Markenrechte und das Rezept für die Kemm‘schen Kuchen gingen an den Keksproduzenten Wilhelm Gruyters im nordrhein-westfälischen Krefeld, der das Hamburger Traditionsgebäck zunächst in Sachsen backen ließ – in einer Fabrik, die zu DDR-Zeiten Teil des Kombinats Dresdner Dauerbackwaren war. In Spitzenzeiten gingen in Norddeutschland mehr als zwei Millionen Keksbeutel pro Jahr über die Ladentheke.

2013 gab es einen massiven Einbruch, nachdem Gruyters wegen Problemen bei einem Auftragsproduzenten nicht mehr liefern konnte. Schon damals war der niedersächsische Keksbäcker Parlasca eingesprungen. Nach der Insolvenz von Gruyters übernahm das Gespann Wohlrab/Parlasca das Hamburger Original und führt es inzwischen seit acht Jahren.

Hamburger Keksklassiker Kemm‘ sche Kuchen
Hamburger Keksklassiker Kemm‘ sche Kuchen © Klaus Bodig

Die aktuelle Kekskrise trifft den gesamten norddeutschen Raum. „Die Nachfrage ist da, aber die Lager sind leer. Wir haben nichts mehr zum Ausliefern“, sagt ein Sprecher des Flensburger Logistikunternehmens Rexim, das die Distribution der Kemm‘schen Kuchen macht. Auch für Rexim ist das inzwischen ein echtes Problem. „Wir haben eine Riesenlücke im Jahresendgeschäft.“

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Es ist Glücksache, noch eine der charkeristischen blauen Tüten zu ergattern. Auch die Schmuckdosen sind oftmals ausverkauft. Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es jetzt für die Keksliebhaber. Man habe die vergangenen Wochen genutzt, um eine interne Lösung zu finden, sagt Jens Wohlrab von Kemm 1782 Hamburg. Mit einem Sparkurs, vor allem aber mit reduzierten Energiekosten, soll die Produktion wieder profitabel werden.

Weihnachtsgeschäft: Kemm‘sche Kuchen könnte es ab Mitte Dezember wieder mehr geben

Preiserhöhungen sollen dabei so gering wie möglich gehalten werden, sagt er. Zuletzt waren die unverbindliche Preisempfehlung für einen Beutel Kemm‘sche Kuchen von 1,59 Euro auf 1,99 Euro angehoben worden. Bei einer Stichprobe des Abendblatts wurden aber Packungspreise von bis zu 2,49 Euro aufgerufen.

Die gute Nachricht: Mitte Dezember könnte die Produktion des urhanseatischen Gebäcks wieder anlaufen. „Wenn alles klappt“, sagt Jens Wohlrab, „sind die ersten Beutel sogar noch kurz vor Weihnachten im Regal, spätestens aber zum Jahresende.“ Parallel arbeiten er und sein Geschäftspartner an neuen Ideen. „Es gibt Anfragen für Kooperationen.“