Hamburg. Mehrere Hundert Beschäftigte im Hamburger Handel demonstrieren am Neuen Wall. Sie wollen deutlich mehr Geld und fürchten Altersarmut.

Bunt, laut, kämpferisch: So zeigten sich am Montagmittag mehrere Hundert Beschäftigte des Hamburger Einzel-, Groß- und Außenhandels auf ihrer Protestkundgebung am Neuen Wall. Viele von ihnen trugen gelbe Warnwesten mit dem roten Emblem ihrer Gewerkschaft auf dem Rücken: Ver.di. Mit Trillerpfeifen und lauten Trommeln sorgten sie dafür, dass sich viele Passanten auf Hamburgs teuerster Einkaufsmeile umdrehten und fragten: Worum geht es hier? Heike Lattekamp gab stellvertretend für alle Demonstrationsteilnehmer die Antwort. „Wir wollen gerechte Löhne, von denen die Beschäftigten leben können“, rief die Gewerkschafterin in ein Mikrofon und erntete lauten Beifall und ein Trillerpfeifenkonzert.

Seit Monaten streiten Gewerkschaft und Arbeitgeber um einen Tarifabschluss im Handel. Doch die Positionen liegen noch weit auseinander. Die Fronten sind mittlerweile so festgefahren, dass Ver.di am vergangenen Donnerstag zum wohl längsten Warnstreik in der Geschichte des Hamburger Handels aufgerufen hat. Eine Woche lang sollen die Beschäftigten ihre Arbeit niederlegen – bis Mittwoch um 24 Uhr.

Hamburg-Mitte: Ver.di ruft zur Demo und kritisiert Arbeitgeber

Konkret rief die Gewerkschaft die Angestellten im Einzelhandel bei H&M, Zara, Primark, TK Maxx, Rewe, Penny, Kaufland, H&M Logistik, Alsterhaus, Ikea sowie Thalia und Douglas zu Arbeitsniederlegungen auf. Im Großhandel sollten sich Beschäftigte der Unternehmen Carl Spaeter, Heinrich Schütt, Sanacorp, Gehe, Phoenix, Autoteile Matthies, Metro und Handelshof an dem Ausstand beteiligen.

Das Problem der Gewerkschaft: Da zumeist leitende Angestellte die Arbeit der Streikenden übernehmen, kommt es so gut wie nie zu Geschäftsschließungen, allerdings häufiger zu längeren Schlangen an den Kassen, weil zumindest ein Teil des Personals fehlt. Heike Lattekamp, die auch die Tarifverhandlungen für Ver.di in Hamburg führt, griff die Arbeitgeber während der Kundgebung scharf an. Sie sprach von „Streikbrecher-Prämien“, die gezahlt würden, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Ihre Botschaft an die Unternehmen: „Wir lassen uns nicht kaufen – und wir lassen uns nicht spalten.“

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Doch bei den laufenden Verhandlungen über höhere Einkommen geht es Lattekamp primär um etwas anderes. Sie will einen Reallohnverlust für die Beschäftigten verhindern. Im Klartext: Auch nach Abzug der Preissteigerungen soll bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Kaufkraft übrig bleiben. Bei 6,1 Prozent liege die allgemeine Inflationsrate und die Preise für Lebensmittel sowie Energie seien noch deutlich stärker gestiegen, rechnete Lattekamp am Neuen Wall vor. Hierfür müsse es einen angemessenen Ausgleich geben.

Doch in ihrer immer wieder von schrillen Trillerpfeifen unterbrochenen Rede verwies sie auf noch weitere Probleme, die aus ihrer Sicht, vor allem im Einzelhandel gelöst werden müssten. Zum einen kritisierte die Gewerkschafterin die Tarifflucht von Unternehmen. So würden immer mehr Beschäftigte nicht mehr nach den allgemein gültigen Tarifverträgen bezahlt. Zudem gebe es gerade im Handel eine weit verbreitete Altersarmut. Dies liege an den nicht auskömmlichen Gehältern und an der hohen Teilzeitquote von 63 Prozent im Einzelhandel.

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Um finanziell über die Runden zu kommen, müsse aktuell bereits jeder achte Beschäftigte im Einzelhandel sein Gehalt mit staatlichen Leistungen aufstocken. Diese Zustände seien „beschämend“, so Lattekamp.

Die Forderungen von Gewerkschaft und Arbeitgeber liegen tatsächlich noch ein Stück auseinander. Ver.di will im Einzelhandel eine Erhöhung der Gehälter um 2,50 Euro pro Stunde erreichen. Zudem verlangt die Gewerkschaft einen sofortigen Mindestlohn von 13,50 Euro und eine Anhebung der Ausbildungsvergütungen um 250 Euro im Monat. Die Laufzeit des Tarifvertrages soll ein Jahr betragen.

Geht es nach den Vorstellungen der Arbeitgeber, würden die Löhne der Beschäftigten im Einzelhandel rückwirkend zum 1. August um 5,3 Prozent steigen, der tarifliche Mindestlohn läge bei 13 Euro, die Ausbildungsvergütungen wollen die Arbeitgeber zudem um 50 Euro im Monat anheben. Vom 1. Mai 2024 an sollen die Löhne dann um weitere 3,1 Prozent zulegen und der Mindestlohn auf 13,50 Euro steigen. Darüber hinaus soll es einen Inflationsausgleich von 450 Euro geben – bei einer Laufzeit von 24 Monaten.

Handel in Hamburg: Die Positionen der Tarifparteien liegen weit auseinander

Im Groß- und Außenhandel verlangt Ver.di eine Erhöhung der Gehälter um 13 Prozent, mindestens aber 400 Euro mehr im Monat. Die Auszubildenden sollen pro Monat 250 Euro zusätzlich bekommen. Auch hier wird von der Gewerkschaft eine Laufzeit von einem Jahr angestrebt. Dagegen bieten die Arbeitgeber 5,1 Prozent mehr, einen Inflationsausgleich von 700 Euro nach Abschluss des Tarifvertrages und weitere 700 Euro im Januar 2024. Zudem würde es ab dem 1. August 2024 dann 2,9 Prozent mehr Lohn geben. Die Laufzeit soll auch hier 24 Monate betragen.

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Die Arbeitgeber haben den Unternehmen wegen der festgefahrenen Tarifverhandlungen empfohlen, die Löhne freiwillig ab Oktober um 5,3 bzw. 5,1 Prozent zu erhöhen. Mehrere Unternehmen wie Rewe sind der Empfehlung bereits gefolgt. Auch der Hamburger Otto-Konzern hebt die Löhne und Gehälter entsprechend an. Die Gewerkschaft reagierte erbost auf diesen einseitigen Schritt der Arbeitgeber. Freiwillige Erhöhungen seien keine Lösung, es müsse rechtsverbindliche Tarifabschlüsse geben, heißt es von Ver.di.

Die Hoffnung der Arbeitgeber, den Kampfeswillen der Beschäftigten mit der freiwilligen Lohnerhöhung zu brechen, werde sich nicht erfüllen, hofft Ver.di. Dieser Auffassung waren auch die demonstrierenden Beschäftigten am Montag in der Hamburger Innenstadt, die nach der einstündigen Kundgebung über den Neuen Wall Richtung Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof liefen und dabei immer wieder riefen: „Heute ist kein Arbeitstag, heute ist ein Streiktag!“ Und mit Blick auf die schwierigen Gespräche mit den Arbeitgebern dürfte es nicht der letzte gewesen sein.