Hamburg. Luftverkehr steuert auch in Hamburg auf Rekorde zu. Wasserstoffantriebe und CO2-Kompensation helfen nicht wirklich. Eine Analyse.
Wer die Veröffentlichungen von Unternehmen zum Thema Nachhaltigkeit verfolgt, könnte leicht den Eindruck gewinnen, das Klima-Problem sei doch eigentlich schon gelöst. Denn ständig ist da von deutlichen Emissionsminderungen und von CO2-neutralen Produkten die Rede. Das gilt sogar für die Luftfahrtbranche mit ihren Ankündigungen zu Wasserstoff-Fliegern und zur Nutzung von Treibstoff aus erneuerbaren Quellen.
Muss also niemand besorgt darüber sein, dass weltweit das Flugaufkommen jüngst die Höchststände aus dem Vor-Corona-Jahr 2019 übertroffen hat? Nach Angaben des Onlinedienstes Flightradar24 wurden an einem Tag Mitte Juli insgesamt 137.225 kommerzielle Flüge gezählt, mehr als je zuvor. Und der Prognose des internationalen Airline-Dachverbands Iata zufolge wird die Passagierzahl im kommenden Jahr das Niveau von 2019 schon wieder um sechs Prozent übertreffen.
Zwar ist man in Hamburg noch nicht ganz so weit. Hier rechnet Flughafenchef Michael Eggenschwiler für 2023 mit 13,8 Millionen Passagieren, was 80 Prozent der Gästezahl des Vor-Pandemie-Jahrs entsprechen würde. In der Ferienzeit habe der „Urlauberansturm“ aber zeitweise schon wieder für volle Terminals gesorgt, hieß es am Flughafen. Von den Klimaauswirkungen war dabei nicht die Rede.
Luftfahrt: Der Luftverkehr wächst wieder – und das Klima leidet
Klar ist inzwischen: Der Klimawandel ist kein Phänomen, das vielleicht in ferner Zukunft wirksam wird. Eine drastische Zunahme der Hitzetoten in Europa, man spricht von mehr als 60.000 Opfern allein im vorigen Jahr, ist ebenso Realität wie die Häufung von langen Dürreperioden, verheerenden Waldbränden und Überschwemmungen.
Mit seinen CO2-Emissionen und weiteren Klimaeffekten unter anderem aufgrund von Kondensstreifen trägt die Luftfahrt mit bis zu fünf Prozent zum Klimawandel bei, wie auch der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) einräumt. Eine solche Größenordnung mag überschaubar klingen. Nur: Heizen muss man, Flugreisen dagegen sind wohl in den seltensten Fällen unverzichtbar. Und während sich in manchen anderen Branchen konkrete Ansätze zeigen, die Emissionen senken zu können, ist davon im Luftverkehr bisher kaum etwas zu sehen.
Dabei haben sich die Iata-Mitglieder im Jahr 2021 verpflichtet, bis 2050 die CO2-Emissionen auf null zu bringen. Damit entspreche man dem Pariser Klima-Abkommen, wonach der globale Temperaturanstieg auf deutlich weniger als zwei Grad begrenzt werden soll. Doch Gregor Kessler, Verkehrsexperte bei Greenpeace Deutschland in Hamburg, hat seine Zweifel: „Hinter den bisherigen Ankündigungen der Luftfahrtbranche steckt kein belastbarer Pfad, auf dem sich das selbst gesetzte Ziel der Branche, bis 2050 klimaneutral zu werden, erreichen lässt.“
Was der geplante Wasserstoff-Flieger von Airbus bewirken kann
Airbus, Boeing und die Triebwerkhersteller investieren zwar hohe Milliardenbeträge, um Flugzeuge sparsamer zu machen. Im langjährigen Mittel verbessert sich die Effizienz aber um lediglich 1,5 Prozent pro Jahr. Dieser Effekt wird vom Wachstum des Luftverkehrs zunichte gemacht. So sind die weltweiten CO2-Emissionen der Luftfahrt von 2000 bis 2019 um fast 54 Prozent gestiegen – und die Nachfrage dürfte künftig weiter kräftig zulegen: Nachdem im Jahr 2019 rund um den Globus etwa vier Milliarden Menschen mit Flugzeugen gereist sind, sollen es einer Iata-Prognose zufolge 2040 schon etwa acht Milliarden sein.
Um die Klimabilanz auf technischem Weg erheblich verbessern zu können, müssten also völlig neuartige Antriebskonzepte oder Treibstoffe her. So verfolgt man bei Airbus das Ziel, bis zum Jahr 2035 ein Flugzeug mit Wasserstoffantrieb zu entwickeln. „Solche Flieger werden aber bis 2050 nur einen sehr überschaubaren Beitrag zu den CO2-Minderungszielen leisten“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Das liegt nicht nur an den langen Produktzyklen: Verkehrsflugzeuge werden 20 bis 25 Jahre lang genutzt und somit werden die meisten Maschinen, die 2050 im Einsatz stehen, noch dem jetzt bekannten Technologiestand entsprechen.
Mehrere Start-ups basteln an Flugzeugen mit batterieelektrischem Antrieb
Weil Wasserstofftanks sehr viel Raum einnehmen, wird der Airbus-Zukunftsflieger außerdem nach Einschätzung von Großbongardt zunächst für höchstens 100 Passagiere ausgelegt sein. Den allergrößten Teil der Verkehrsleistung in der Luft erbringen aber Jets, die mindestens 150 Plätze bieten.
Noch stärkere Einschränkungen bringt eine andere neue Technologie mit sich: Mehrere Start-ups in den USA und in Schweden entwickeln derzeit Flugzeuge mit batterieelektrischem oder zumindest hybridem Antrieb. „Wegen der noch geringen Energiedichte von Batterien sind sie eher für Regionalstrecken geeignet, und sie werden bis zum Jahr 2040 wohl auch nicht mehr als jeweils etwa 50 Passagiere befördern“, sagt Großbongardt.
Eine aktuelle Studie der Unternehmensberatung Bain stützt die Ansichten des Hamburger Experten. Wasserstoff- und Elektroflieger zusammen werden die CO2-Emissionen des Luftverkehrs im Jahr 2050 wahrscheinlich um weniger als fünf Prozent senken können, heißt es in dem Papier.
Airline-Chef: CO2-Kompensationen sind „Betrug“
Um das eigene Image aufzupolieren und den Passagieren eine Handlungsmöglichkeit zu gewähren, bieten viele Fluggesellschaften seit längerer Zeit gegen Preisaufschlag eine CO2-Kompensation an. Das Geld fließt in Klimaschutzprojekte, etwa Aufforstungen in Entwicklungsländern, und soll damit den Anteil des jeweiligen Ticketkäufers an den Emissionen des Fluges ausgleichen. Doch offensichtlich ist kaum jemand bereit, den Aufschlag zu bezahlen – bei der Lufthansa nutzten in den vergangenen Jahren nur 0,1 Prozent der Passagiere diese Möglichkeit, obwohl es sich auf Kurzstrecken nur um wenige Euro handelt.
Greenpeace-Experte Kessler hält ohnehin nicht viel von solchen Modellen: „Hinter Kompensationsprojekten steckt in den meisten Fällen keine nachweisbare CO2-Reduktion. Da werden Wälder geschützt, die gar nicht bedroht sind, oder Bäume gepflanzt, die nie älter als ein paar Jahre werden.“ Für die Konzerne sei das „eine Art Ablasshandel, der für das Klima wenig oder nichts bringt.“
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Selbst Scott Kirby, der Chef von United Airlines, immerhin die drittgrößte Fluggesellschaft der Welt, bezeichnete Klima-Kompensationen kürzlich schlicht als „Betrug“. Wie die meisten seiner Kollegen setzt er für die Zukunft vor allem auf nachhaltige Flugtreibstoffe (Sustainable Aviation Fuel, SAF). Sie können entweder aus Biomasse wie Altfetten oder Landwirtschaftsabfällen hergestellt werden, was die CO2-Emissionen um bis zu 80 Prozent senkt, oder aus der Kombination von Wasserstoff und Kohlenstoff. Das letztere Verfahren führt zu einem CO2-neutralen Treibstoff, erfordert aber sehr viel „grünen“ Strom.
EU macht Beimischung von nachhaltigem Treibstoff zur Pflicht
Noch auf absehbare Zeit werden die Kapazitäten für die Produktion von SAF äußerst knapp sein – und wie Bain prognostiziert, liegen die Preise dafür selbst 2050 voraussichtlich noch beim zwei- bis vierfachen der heutigen Kosten von herkömmlichem Kerosin. Um den Markt für solche Treibstoffe in Gang zu bringen, hat die EU gerade eine verpflichtende Beimischungsquote beschlossen, die 2025 bei zwei Prozent liegt und dann stufenweise bis auf 70 Prozent im Jahr 2050 steigt.
„Bestenfalls für Langstreckenflüge kann die Beimischung von nachhaltigeren Treibstoffen sinnvoll sein“, findet Kessler. „Bei innereuropäischen Flügen muss es vor allem darum gehen, sie durch ein besseres Bahnangebot zu ersetzen.“ Bislang sei das Zugticket auf vielen Strecken jedoch deutlich teurer als der Flug. Hier müsse die Politik nachbessern. Immerhin gebe innerhalb der EU bereits eine Debatte darüber, „ob die steuerlichen Vorteile des Luftverkehrs noch angemessen sind.“ Denn traditionell ist er von Energiesteuern befreit, und auf den Preis grenzüberschreitender Flüge fällt keine Mehrwertsteuer an.
Luftfahrt: „Es gibt kein Grundrecht auf regelmäßige Wochenendtrips mit dem Jet“
Für die Branchenexperten bei der Unternehmensberatung Bain ist absehbar, dass sich die Flugpreise vor dem Hintergrund der Klima-Problematik schon ab 2026 spürbar erhöhen werden. Das trifft zwar vor allem Normalverdiener. „Es gibt aber kein Grundrecht auf regelmäßige Wochenendtrips mit dem Jet nach Mailand oder New York“, sagt Kessler.
Genau wie er bezweifeln auch die Bain-Analysten, dass die Fluggesellschaften ihr Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreichen können. Doch tun sich offensichtlich auch andere Wirtschaftssektoren schwer mit dem Klimaschutz: Ungeachtet des Marketing-Getöses um CO2-neutrale Produkte sind die weltweiten Emissionen des klimaschädlichen Gases im vorigen Jahr weitergestiegen.