Hamburg. Mein Laden in Corona-Zeiten, Teil 16: Wie die Hamburger Unternehmerin Janine Werth ihren Lebenstraum durch schwierige Zeiten steuert.
„Gerade läuft viel parallel“, sagt Janine Werth. Nicht, dass es bei der Einzelhändlerin in den vergangenen Jahren so viel anders gewesen wäre. Jetzt der nächste Kraftakt. Seit Wochen packen sie in ihrem Ladengeschäft Werte Freunde in der Hamburger Innenstadt die neue Herbst- und Winterware aus. Im hinteren Bereich stapeln sich die Kartons vor einer Wand. Pullover, Jacken, Kleider – alles muss so schnell wie möglich in die Regale und an die Kleiderstangen. Mit dem kühleren Wetter wächst die Kauflust der Kundinnen und Kunden für die nachhaltige Mode des Fachgeschäfts.
Gleichzeitig bereiten die Einzelhändlerin und ihr Team einen großen Lager-Sale vor, der am Mittwoch zusammen mit anderen Fair-Fashion-Firmen im Neuen Amt Altona startet. Auch das ist viel Arbeit. „Aber wir müssen uns immer wieder etwas überlegen, um zusätzliche Umsätze zu machen. Sonst kommen wir nur schwer über die Runden“, sagt Janine Werth. Im Moment werden immer, wenn etwas Luft ist, Kartons mit Restanten aus dem Keller geholt. „Es bleibt von jeder Kollektion etwas übrig, das nicht verkauft wird“, sagt die 44-Jährige. Da steckt viel Geld drin, aber es ist eben auch totes Kapital.
Werte Freunde in Hamburg: Lagerverkauf mit bis zu 70 Prozent Rabatt
Dazu kommt: Die Corona-Pandemie mit Geschäftsschließungen, Maskenpflicht und Hygiene- und Abstandsauflagen hat der Gründerin wie dem gesamten Modehandel massiv zugesetzt. Direkt danach die Konsumflaute durch den Krieg in der Ukraine und inflationsbedingte Preissteigerungen. So sind auch richtig gute und zeitlose Kleidungsteile nicht verkauft worden, sondern ordentlich inventarisiert und verpackt im Keller gelandet – vom einfarbigen T-Shirt über hochwertige Leinenhemd bis zur veganen Daunenjacke. Jetzt wird alles noch mal durchgeguckt und mit neuen Preisschildern versehen. „Es gibt Rabatte von bis zu 70 Prozent.“
Für die Unternehmerin ist der Lagerverkauf ein wichtiger Meilenstein. Schon im April hatten die Initiatoren – darunter Hersteller von nachhaltiger Mode wie Jan ‘n June, Recolution oder Salzwasser und Einzelhändler wie Avocadostore und Werte Freunde, sich schon einmal zusammengetan und einen gemeinsamen Fair Fashion Sale gestartet. Mit Erfolg. „Wir waren mit etwa 2000 Artikeln dabei und haben fast die Hälfte verkauft“, sagt Janine Werth. Der Umsatz lag deutlich über ihren Erwartungen: 40.000 Euro sind in vier Tagen zusammengekommen. „Wir waren glückselig hinterher“, sagt die Firmeninhaberin. Mit den Einnahmen konnte sie einen Großteil der Rechnungen für die Frühjahr- und Sommerkollektionen bezahlen.
Corona-Krise hat bei Hamburger Einzelhandel Spuren hinterlassen
Jetzt hofft sie auf ähnliche Verkaufszahlen, um wieder Löcher zu stopfen. „Eigentlich läuft das Geschäft gut. Die Kundinnen und Kunden kommen und kaufen, auch neue und jüngere. Aber wir kommen aus dem Krisenmodus nicht raus“, sagt die Gründerin im Jahr fünf nach der Eröffnung ihres Geschäfts. Im vergangenen Jahr hat sie die Umsatzmarke von einer Million Euro geknackt und auch einen kleinen Gewinn eingefahren. Wie die Unternehmerin ihren Betrieb mit zwölf Beschäftigten durch die Corona-Zeit steuert, begleitet das Hamburger Abendblatt in einer losen Artikelserie. Immer wieder ein Problem: die Liquidität und die Finanzierung der Waren für die jeweils nächste Saison.
Rückblick: Im Oktober 2018 hatte Janine Werth ihr Fachgeschäft Werte Freunde am Großen Burstah eröffnet. Der Laden mit nachhaltiger Mode und Naturkosmetik ist eine ungewöhnliche Mischung – und ihr Lebenstraum. Das drückt sich auch im Namen ihres Betriebs aus, einem Wortspiel aus ihrem Familiennamen und einer Botschaft an ihre Kunden.
Werte-Freunde-Laden in Hamburg wird für Besitzerin zur Herausforderung
Seitdem ich 14 Jahre alt bin, mache ich Einzelhandel“, sagt sie. Damals hatte ihre Mutter in Bremen ein Geschäft für Naturkosmetik eröffnet, in dem die Tochter viel Zeit verbrachte. Später machte sie eine Ausbildung als Kosmetikerin. Expertise in Sachen Naturkosmetik erwarb sie bei unterschiedlichen Stationen in der Branche, unter anderem baute sie das erfolgreiche Sortiment bei der Drogeriekette Müller auf.
Mit einer halben Million Euro hat Janine Werth sich verschuldet, um ihre Selbstständigkeit zu finanzieren und war mit einem ehrgeizigen Businessplan gestartet. Was niemand vorhersehen konnte: Im März 2020 kam die Corona-Pandemie und der erste Lockdown. Er riss ein gewaltiges Loch in die Finanzplanung. Und obwohl die Geschäftsfrau mit Unterstützung ihres Lebenspartners immer wieder neue Finanzierungsmöglichkeiten entwickelte und staatliche Hilfen in Höhe von mehr als 200.000 Euro einwarb, sagt sie: „Es bleibt ein Leben am Limit.“ In diesem Sommer hat sie mit ihrem Lebenspartner zum ersten Mal seit der Eröffnung von Werte Freunde drei Wochen Urlaub genommen – und auch drei Wochen Urlaub gemacht. Nicht im Zelt, sondern in einem Ferienhaus an der dänischen Nordsee-Küste.
Werte-Freunde-Laden beschert Besitzerin mehrere tausend Euro Schulden
Im laufenden Geschäftsjahr plant sie einen Umsatz von 1,3 Millionen Euro. Inzwischen hat sie etwa ein Drittel ihres Gründer-Darlehens zurückgezahlt. Anfang nächsten Jahres rechnet sie mit Rückerstattungsforderungen der gezahlten Überbrückungshilfen in Höhe von 30.000 Euro. „Das haben wir schon fest eingeplant“, so die Geschäftsfrau. Die Mittel aus dem sogenannten Corona-Recovery-Fond, die sie mit einem weiteren Kredit in Höhe von 130.000 Euro Ende 2020 vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit gerettet hatten, müssen bis 2027 zurückgezahlt werden.
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Irgendwie ist es in den vergangenen fünf Jahren immer weitergegangen. „Jammern ist nicht mein Ding“, sagt Janine Werth. „Ich bin ja Unternehmerin, weil ich etwas unternehmen will.“ Trotzdem seien es rückblickend schon viele Krisensituationen gewesen. Schon länger versucht sie auch an den Kosten zu drehen. „Wir achten zum Beispiel sehr auf unseren Energieverbrauch.“ Deshalb sei die Steigerung der (Öko-)Strom-Rechnung um monatlich 130 Euro auch verhältnismäßig moderat ausgefallen. Mit der Vermieterin konnte sie bei der Vertragsverlängerung einen Wegfall der bisherigen Staffelmiete und vier mietfreie Monate vereinbaren. „Das hat uns sehr geholfen.“ Die monatlichen Mietkosten liegen bei etwa 12.000 Euro (inklusive Betriebskosten).
Schon seit Längerem kann sie sich vorstellen, einen Investor in die Firma zu holen. „Wir wollen den Onlineshop weiterausbauen und perspektivisch weitere Filialen eröffnen“, sagt Janine Werth. Auch Marketingmittel fehlten Werte Freunde, um bekannter zu werden. „Das ist sehr schade, weil ich so viele Ideen habe.“ Inzwischen lädt sie wieder Gäste zu Veranstaltungen in ihren Laden. Dort soll zudem umgebaut werden und ein neuer Raum für Make-up-Coaching entstehen.
Werte Freunde aus Hamburg bei Instagram mit Bergdoktor-Schauspielerin
Einen kleinen Coup hat sie gerade noch gelandet. In einem neuen Live-Format auf Instagram ist Werte Freunde mit der Hamburger Schauspielerin Andrea Gerhard, bekannt als Arzthelferin Linn Kemper aus der ZDF-Serie „Der Bergdoktor“, zu Fragen rund um das Thema Naturkosmetik zu sehen und zu hören. Bis zu zehntausend Nutzerinnen schalten sich einmal im Monat zu.