Hamburg. Die Häuser sind seit dem Vorfall zum Teil unbewohnbar. Noch immer ist unklar, wer die Kosten übernimmt. Betroffene sind verzweifelt.
- Am 28. August dieses Jahres kippte der 20 Meter hohe Kran auf zwei Wohnhäuser.
- Mutter mit zwei Kindern ist seitdem ohne Zuhause.
- Noch immer ist unklar, wer die Kosten übernimmt.
Britta Witt erinnert sich an den 28. August dieses Jahres, als wäre es gestern gewesen. An diesem schönen Sommertag sitzt sie gerade in ihrer Doppelhaushälfte am Berner Heerweg in Farmsen-Berne am Schreibtisch, als es draußen plötzlich sehr laut wird. Sofort denkt sie an die Baustelle nebenan. Eine Sekunde später kracht es direkt über ihr, das Haus wackelt. Von ihrem Arbeitsplatz im Erdgeschoss aus kann sie nicht sofort sehen, was los ist. Ihr großer Sohn Ferdinand hingegen schon. Er ruft aus dem Obergeschoss: „Mama, das musst du sehen.“
Es sind Bilder, die Britta Witt nicht vergessen wird: Der Schwenkarm des 20 Meter hohen Krans, der bis eben noch auf der Baustelle nebenan stand, liegt zum Teil in ihrem Badezimmer. Überall sind Staub und Scherben, durch das Loch im Dach kann man in den blauen Himmel sehen. Sofort verlassen Mutter und Sohn das Haus. Draußen zeigte sich ein Bild der Verwüstung. Und schnell ist klar: Der Kran ist auch in das Haus ihrer Nachbarin eingeschlagen – das war vermutlich der erste Krach, den Witt gehört hatte.
Kran kippt auf Wohnhäuser – Mutter mit zwei Kindern seitdem ohne Zuhause
Und dann ist überall Gewusel: Irgendwer alarmiert den Notruf, Nachbarn notieren Kennzeichen von Autos, deren Fahrer es offenbar plötzlich sehr eilig haben, die Baustelle zu verlassen. Feuerwehr und Polizei rücken an. Gegen 21 Uhr sind die Sicherungsmaßnahmen beendet. Ihre Häuser werden abgesperrt, dürfen nicht mehr betreten werden.
„Man kümmerte sich rührend um uns. Alle Helfer und Einsatzkräfte unterstützten, wo sie konnten“, sagt Witt. Und schnell boten auch Freunde und Familie Hilfe an, sowohl Übernachtungsmöglichkeiten als auch Geld. Witt erinnert sich noch, wie sie damals sagte: „Ich brauche kein Geld, das zahlt doch die Versicherung.“
Drei Monate sind seit dem Unglück vergangen. Witts Haus ist nach wie vor unbewohnbar. Und gezahlt hat bisher auch niemand – außer Britta Witt und ihre Nachbarin Sandra Nichelmann. Dies liegt offenbar vor allen Dingen daran, dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Und daran wird sich wohl auch zeitnah nichts ändern.
Unglück in Farmsen-Berne: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Baustellenmitarbeiter
Die Staatsanwaltschaft Hamburg teilte auf Nachfrage mit, dass gegen einen Baustellenmitarbeiter wegen des Verdachts der Baugefährdung ermittelt werde. „Die Ermittlungen zur Unfallursache dauern an und werden voraussichtlich noch etwas Zeit in Anspruch nehmen“, so Sprecherin Melina Traumann.
Insbesondere für Witt, die seit dem Unglück ihr Haus nicht bewohnen kann, ist dieser Zustand kaum auszuhalten. Denn solange nicht klar ist, was die genaue Ursache des Unglücks war, kann offenbar auch niemand haftbar gemacht werden. Klar ist bislang nur: Die Signal Iduna, Versicherer der Projektentwicklungsgesellschaft und des Generalunternehmers für den Bau, sieht die Verantwortlichkeit nicht bei sich.
Auch die Gebäudeversicherungen von Witt und Nichelmann übernehmen die Kosten nicht, da sie ihre Häuser nicht gegen „unbenannte Gefahren“ versichert haben. Und auch die Versicherungen des Kranverleihers (Provinzial) als auch der Rohbauer (Generali) haben bislang auf die laufenden Ermittlungen verwiesen – und darauf, dass Unfallursache und Haftungsfrage erst geklärt sein müssen.
Witt bleibt also vorher nichts anderes übrig, als auf eigene Rechnung Handwerker zu beauftragen. Derzeit sind die Dachdecker im Haus. Allein dafür rechnet sie mit Kosten von rund 50.000 Euro. Damit sie jemals wieder einziehen kann, müssen aber auch noch Maurer, Maler, Elektriker, Trockenbauer sowie Heizungs- und Sanitärtechniker beauftragt werden. Witt mag sich nicht ausmalen, was passiert, wenn sie das alles selbst bezahlen muss.
Baukran zerstört Wohnhäuser: Mutter zieht vorerst in Hausmeisterwohnung
Schon vor dem Unglück war ihr Leben fordernd: Witt ist alleinerziehend, ihr jüngster Sohn ist seit der Geburt schwer behindert, braucht permanent Betreuung. Seit Monaten leben sie nun in der Hausmeisterwohnung der Grundschule Rahlstedt anstatt in ihrem Zuhause. „Ohne diese Möglichkeit wüsste ich nicht, wie wir das schaffen sollen. Dafür bin ich sehr dankbar.“
Innerhalb von drei Monaten hat sich bei den Nachbarinnen ein amtlicher Aktenberg zum Kranunglück angehäuft: Mal heißt es, sie sollen mit ihrem Gebäudeversicherer sprechen, dann wieder, dass der Eigentümer der Immobilie die Verantwortung trage. Und ein anderes Mal heißt es, dass man sich an die Versicherung des Kranführers wenden solle. „Es wird immer komplizierter, da noch durchzusteigen“, sagt Witt. „Und jede Information muss man sich allein beschaffen.“
Um Klarheit zu bekommen, haben die beiden Frauen inzwischen versucht – mit der Hilfe ihrer Anwälte – Akteneinsicht bei der Staatsanwaltschaft zu bekommen. Bislang ohne Erfolg.
Farmsen-Berne: Bislang trägt niemand die Verantwortung für das Unglück
Auch die Signal Iduna hat dies versucht, wie die Versicherung dem Abendblatt auf Nachfrage mitteilte: „Die Ermittlungsakte haben wir sofort angefordert, allerdings ist uns diese noch immer nicht zur Einsichtnahme überlassen worden“, so Sprecher Edzard Bennmann. Welche Aspekte die lange Ermittlungsdauer der Behörden verursacht haben, könne nur spekulativ beantwortet werden.
„So könnte beispielsweise eine Manipulation am Kran erfolgt sein. Oder der Kranführer hat einzuhaltende Sicherheitsvorgaben außer Acht gelassen. Leider sind uns hier die Hände gebunden, stärker auf den Abschluss der Ermittlungen einzuwirken“, so Bennmann weiter. Er berichtet, dass sie Signal Iduna auf eigene Kosten bereits einen Sachverständigen beauftragt habe, um die geschädigten Familien zu unterstützen. Für die kommende Woche sei ein Ortstermin beauftragt. Und dann sagt er: „Nach unserer heutigen Einschätzung ist der Schadenverursacher der Kranverleiher (Versicherer Provinzial) beziehungsweise der Rohbauer mit seinem Kranführer (Versicherer Generali).“ Hier seien die involvierten Versicherer gefordert.
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Bei der Provinzial bewertet man das allerdings anders. „Wir können die Einschätzung der Signal Iduna leider nicht nachvollziehen, da mit dem von Ihnen genannten Kranverleiher zum Schadenzeitpunkt keine für den Schadenhergang relevante Vertragsbeziehung bestand“, heißt es auf Nachfrage.
Betroffene Mutter: „Ich wünschte, ich könnte einfach abhauen“
Für Witt ist klar: „Jeder schiebt die Schuld auf den anderen. Und das Bauunternehmen, beziehungsweise die Signal Iduna hat uns nur so lange geholfen, bis die Baustelle wieder hergestellt war und weitergebaut werden konnte. Seitdem verweist sie auf andere Versicherungen und wird dabei immer kreativer, indem nun auch die Provinzial genannt wird, die uns vorher nie benannt wurde“, so Witt. Für sie und ihre Nachbarin steht fest: „Das Bauunternehmen hat die Baustelle eingerichtet und hat Unternehmen beauftragt. Wie kann es sein, dass man sich dann so wegduckt?“
Vorerst bleiben also eine große Unsicherheit und finanzielle Existenzängste – und auch Zeitdruck. „Der Winter ist da, und natürlich können wir nicht mit Löchern im Dach schlafen“, sagen sie. Und Witt möchte ihren Kindern perspektivisch ihr Zuhause wiedergeben. „Wir leben seit Monaten in einem Provisorium. So kann es doch nicht weitergehen.“
Wie lange es dauert, bis sie Klarheit bekommen, wissen sie nicht. Sie ahnen, dass es keine schnelle Lösung gibt. Witt sagt: „Manchmal wünschte ich mir, ich könnte einfach abhauen. Aber dieses Problem löst sich nun mal nicht durch Abhauen, sondern nur, indem man es irgendwie durchsteht.“ Woher sie die Kraft dafür nimmt, weiß sie manchmal selbst nicht.