Hamburg. Wohnungskäufer verloren Hunderttausende Euro. Statt im Eigenheim steht eine Hamburger Familie nun vor dem Nichts. Ihre Geschichte.
Es fing mit einem guten Gefühl an, mit der Freude auf eine sichere Zukunft in einer Eigentumswohnung. Im Jahr 2018 setzte Sarah Müller ihre Unterschrift unter den Kaufvertrag für eine Wohnung an der Rennbahnstraße in Hamburg-Marienthal. Auf der Internetseite eines bekannten Maklers hatte sie das Angebot gefunden. Knapp 380.000 Euro sollte die Wohnung kosten.
Die 35-Jährige nahm einen Kredit auf. Große Rücklagen hatten sie und ihr Mann nicht. „Aber wir glaubten fest daran, dass es sich lohnen würde“, sagt sie heute. Im Februar 2020 sollte das Mehrfamilienhaus bezugsfertig sein.
Bauskandal in Hamburg: Neubau – erst Verzögerungen, dann Stillstand
Vier Jahre ist das nun her. Und Sarah Müller, ihr Mann und ihre beiden Kinder sind so weit entfernt von der eigenen Wohnung wie noch nie. Der Neubau an der Rennbahnstraße ist bis heute nicht fertig geworden. Dem Architekten und Bauträger ging das Geld aus, und es ging schief, was schiefgehen konnte: Der Keller ist feucht, Maße und Zuschnitte der Wohnungen stimmen nicht. Wände stehen nicht da, wo sie sein sollen, der Fahrstuhl wurde falsch eingebaut und vieles mehr.
Müller spricht von einer „Bauruine“. Ein Sachverständiger bestätigt diverse Mängel gegenüber dem Abendblatt. Inzwischen hat sich bei der Hamburger Familie ein Schuldenberg von mehr als 400.000 Euro angehäuft. Tausende Euro sind allein für Anwaltskosten draufgegangen.
Wohnungskauf wird zum Desaster – Betroffene: Habe nichts mehr zu verlieren
Stand jetzt gibt es für die Hamburgerin, die als Lehrkraft in der Erwachsenenbildung arbeitet, zwei Optionen: „Entweder das Haus wird zwangsversteigert oder es findet sich vorher ein Käufer, der die Immobilie samt Mängeln übernimmt. Im ersten Fall gehe ich leer aus, im zweiten habe ich ‚nur‘ einen großen Verlust und bin immer noch ohne Wohnung.“
Es ist ein Desaster. Über das, was Sarah Müller passiert ist, möchte sie nun sprechen. Sie sagt, sie habe nichts mehr zu verlieren. Weil sie nicht nur wütend ist, sondern auch Angst vor rechtlichen Konsequenzen hat, möchte sie ihren richtigen Namen nicht öffentlich lesen. Ihr ist es auch deshalb wichtig, ihre Geschichte zu erzählen, weil sie weiß, dass sie damit nicht allein ist.
Bauskandal in Hamburg: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Architekten
Wie das Abendblatt berichtete, gibt es in Hamburg Dutzende Fälle, die nach demselben Muster abgelaufen sind: Das Bauprojekt gerät ins Stocken, Baumängel werden offensichtlich, schließlich geht das Geld aus. In einigen Fällen haben sich die Käufer zusammengetan, dem Bauträger eine Ablösesumme gezahlt und das Projekt allein und mit erheblichen Mehrkosten zu Ende gebaut. In anderen Fällen ist es über eine Baugrube nie hinausgekommen.
In allen dem Abendblatt bekannten Fällen sind dieselben Firmen beteiligt. Als Bauträger fungierte eine Firma namens Re:concept mit dem verantwortlichen Architekten S. Gegen S. führt die Staatsanwaltschaft Hamburg nach Abendblatt-Informationen ein Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzverschleppung. S. hat auf mehrere Abendblatt-Anfragen über verschiedene Wege nicht reagiert. In Hamburg ist er offenbar nicht mehr ansässig. Firmensitze wurden zum Teil verlegt.
Bauskandal Hamburg: Wurde sorgsam mit Geld der Käufer umgegangen?
Als Geldgeber für die Bauprojekte wurde ein Finanzhaus aktiv, das sich selbst als „Family Office“ bezeichnet. Dieses Finanzhaus sammelt bei einer überschaubaren Zahl von vermögenden Kunden Geld für Projekte und Investments ein. Darunter sind TV-Moderatoren, Fußballstars und deutschlandweit bekannte Musiker.
Bis zu zehn Prozent Rendite werden für diese Investments laut Homepage versprochen. In den jeweiligen Bauprojekten stellt das Finanzhaus sicher, dass seine Interessen vorrangig bedient werden. Im Falle eines Verkaufs oder einer anderen Verwertung des Bauvorhabens sollen die Einlagen der Geldgeber als Erstes bedient werden.
Das ist auch bei der Albtraum-Wohnung von Sarah Müller an der Rennbahnstraße so. Sie sagt, sie habe große Zweifel, dass mit ihrem Geld sorgsam umgegangen wurde.
Eigentumswohnung in Hamburg: Rolle des Treuhänders sorgt für Irritationen
Auch, weil im Kaufvertrag von einem Treuhandkonto die Rede war, das für Irritationen sorgte. Denn wie das Finanzhaus später mitteilte, sei ein Fehler unterlaufen. Die als Treuhänder genannte Person sei in den Kaufverträgen „irreführend als Treuhänder“ angegeben worden. Sie verwalte nur das Treuhandkonto.
Sarah Müller stellt sich Fragen: Warum ist da ein mutmaßlicher Treuhänder, der kein Treuhänder ist? Warum engagiert sich das Finanzhaus in Projekten von S., bei denen auffällig viele grobe Baumängel auftauchen und die an die Wand fahren?
Das Finanzhaus distanzierte sich von Architekt S. Vermutlich fühlen sich die Geldgeber von S. ebenso getäuscht und finanziell hintergangen. Das Finanzhaus verweist auf viele erfolgreiche Projekte für seine Kunden. Die mit S. gehören offenbar nicht dazu. Wie hoch mögliche Forderungen an S. sind, ist nicht bekannt. Er war Geschäftsführer der Einzelgesellschaften, die für die später gescheiterten Bauprojekte gegründet wurden. Muss er für alle haften? Kommen gewaltige Regressforderungen auf ihn zu?
Bauskandal in Marienthal: Das Bauvorhaben ist offiziell gescheitert
Sarah Müller hat der Traum von der eigenen Wohnung viele Stunden Schlaf gekostet. Sie ist unruhig, aufgebracht, wütend, am Ende – auch ihrer finanziellen Mittel. Seit Mitte 2021 ist klar, dass das Bauvorhaben Rennbahnstraße gescheitert ist.
Für die Möglichkeit, selber zu übernehmen und neue Bauträger, Architekten und Handwerker zu suchen, hätten die Käufer in dem Mehrfamilienhaus je rund 150.000 Euro Ablöse zahlen sollen. Ein entsprechendes Angebot des Finanzhauses schlugen sie aus.
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Immobilien Hamburg: Bauskandal – Betroffene sind in kleinere Wohnung gezogen
„Wir haben bereits genug bezahlt für Leistungen, die nicht erbracht wurden“, sagt Sarah Müller. Die Re:concept und Architekt S. schlugen offenbar mehrere Käufer für das Projekt vor. „Aber die Deals platzten jedes Mal.“
Auch aktuell soll es wieder einen Interessenten geben. Eckdaten kennen Müller und die anderen Käuferinnen und Käufer noch nicht. Sollte auch dieser Deal scheitern, soll das Finanzhaus bereits eine Zwangsversteigerung angekündigt haben.
Sarah Müller sagt, manchmal könne sie nicht mehr. Urlaub habe sie seit Baubeginn vor Jahren nicht mehr gemacht. Gerade ist sie mit ihrer Familie aus Kostengründen in eine kleinere Wohnung gezogen.