Hamburg. Wie sich die Trauerkultur verändert, illustriert die Geschichte eines Saseler Unternehmens, das jetzt 100 Jahre alt wird.
Vor 100 Jahren wagte der junge Tischler August Weber in Sasel den Schritt in die Selbstständigkeit. Mit zwei Brettern auf dem Rücken baute der Handwerker damals eine Tischlerei samt Bestattungsunternehmen auf. Wer Möbel zimmert, kann schließlich auch Särge herstellen. Daraus wurde eine Erfolgsgeschichte.
100 Jahre später sitzt seine Enkelin Heidi Anicic im gläsernen Erker jenes Hauses, in dem das familiengeführte Bestattungsunternehmen noch immer seine Zentrale hat. Am 15. November wird sie das runde Jubiläum in der Eventkapelle 1 auf dem Ohlsdorfer Friedhof mit zahlreichen geladenen Gästen feiern. Heidi Anicic, Inhaberin des Unternehmens und ausgebildete Trauerbegleiterin, zeigt das Auftragsbuch ihres Großvaters aus den 1940er Jahren.
Bestattungskultur: Trauergespräche dauern heute viel länger als früher
Akkurat, aber mit nur wenigen Worten und Zahlen werden die Bestattungen chronologisch dokumentiert. „Seitdem hat sich die Bestattungskultur in Hamburg erheblich geändert“, sagt die Bestatterin, die die Geschäftsführung 1990 übernahm.
Während ihr Großvater für das Trauergespräch wohl nur 30 Minuten benötigte, dauert es heute schon eine Stunde und länger. Jetzt erhält die Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen viel mehr Raum. „Da übernehmen die Bestatter teilweise die seelsorgerischen Aufgaben, die früher ein Pastor erfüllte.“ Waren in der Zeit ihres Großvaters die allermeister Todesfälle Erdbestattungen, so überwiegen inzwischen zu 80 Prozent die Urnenbeisetzungen. Dafür müssen, inklusive Trauerfeier und der Friedhofsgebühren, durchschnittlich 4000 bis 6000 Euro bezahlt werden. Für eine anonyme Beisetzung werden rund 2500 Euro fällig. Zum Vergleich: Bei August Weber kostete eine Erdbestattung in den 1940er Jahren zwischen 300 und 600 Mark.
Trauerkarten: Heute gibt es unzählige Schriftarten und viele Motive
Dafür bieten Bestattungsunternehmen inzwischen ein breites Portfolio an. Konnten die Hinterbliebenen bei der Suche nach passenden Trauerkarten einst zwischen einem grauen oder schwarzen Rand wählen, so gibt es nunmehr verschiedenste Motive und unzählige Schriftarten, wie Heidi Anicic sagt. Die Trauerbriefe werden im Hause gedruckt.
Außerdem übernehmen die Bestatter die Sterbefallmeldungen an Krankenkassen, Versicherungen und Rententräger. Aus der Saseler Tischlerei mit angeschlossenem Bestattungsinstitut ist ein rund um die Uhr erreichbares Dienstleistungsunternehmen geworden. Dort werden die Verstorbenen nicht nur hygienisch versorgt. Das traditionsreiche Unternehmen bildet auch junge Bestatterinnen und Bestatter aus und unterhält Beratungsstellen in Wellingsbüttel und Rotherbaum. „Selbstverständlich organisieren wir auch die Trauerfeiern, vermitteln Trauerredner und kümmern uns um Blumenschmuck, Kränze und Musik“, sagt Heidi Anicic. Die meisten der Feiern seien „weltlich“ (also in der Regel mit Trauerredner), nur noch 40 Prozent seien kirchlich (also mit Pastor, Pastorin oder Priester).
Bestattungshäuser bieten neuerdings Trauergruppen an
Heidi Anicic hat sich seit kurzem auch darauf spezialisiert, Frauen und Männer in ihrer Trauer zu begleiten. Sie betreut eine Trauergruppe, in der sich sechs Witwen und Witwer regelmäßig treffen. Die Gründung einer weiteren Trauergruppe ist geplant. Mit ihrem Buch „Leben ohne Dich – nur wie?“ (zweite Auflage 2024), erhältlich im Abendblatt-Shop, macht sie Trauernden Mut zum Weiterleben. „Ich darf die Vergangenheit ruhen lassen. Es gibt noch so vieles im Leben, was mir geblieben ist“, lautet eine ihrer Erfahrungen.
Wenig später steht ihr nächster Termin ins Haus. Ein Beratungsgespräch zur Bestattungsvorsorge. Ein älterer Herr möchte die Modalitäten seiner eigenen Bestattung besprechen und diese planen. „Auch das ist ein neuer Trend. Die Menschen wollen damit ihre Angehörigen später entlasten.“