Hamburg. Seit zehn Jahren ermöglicht die Stiftung Kulturglück Benachteiligten, Kultur zu erleben. Ein Ortstermin mit Vorständin Nicola Verstl.

Nicola Verstl öffnet die Tür der Hauptwache und geleitet die Reporter durch die altehrwürdigen Räume der Hamburger Kunsthalle. Wie jeden Montag hat auch an diesem Tag die Kunsthalle für reguläre Besucher geschlossen. Doch für ein Abendblatt-Gespräch und Fotos gibt es eine Ausnahme.

Nicola Verstl, Vorständin der Stiftung Kulturglück und im Management der Stiftung Hamburger Kunstsammlungen tätig, bleibt vor einem Gemälde der Hamburger Künstlerin Anita Rée (1885–1933) stehen. Mit diesem Bild im Hintergrund würde sie gern fotografiert werden, sagt sie. Sie bewundere diese Malerin für ihren selbstständigen Weg in der Kunstwelt zwischen Tradition und Moderne und ihre existenzielle Suche nach der eigenen Identität.

Ingo Zamperoni ist Schirmherr der Stiftung Kulturglück.
Ingo Zamperoni ist Schirmherr der Stiftung Kulturglück. © dpa | Gerald Matzka

Stiftung Kulturglück: Schirmherr ist „Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni

„Kultur kann verzaubern, inspirieren und aufwühlen“, sagt Nicola Verstl. Aber sie könne noch viel mehr: „Für viele Menschen bedeutet Kultur erleben Teilhabe an der Gesellschaft, Anerkennung, Selbstwertgefühl, Weiterbildung.“ Dafür, sagt sie, setze sie sich mit ihrer Stiftung Kulturglück ein. „Wir wollen den Namen unserer Stiftung Kulturglück mit Leben füllen.“ Und zwar für alle Menschen in Hamburg.

Hamburger Kunsthalle: Bilder können trösten und neue Perspektiven ermöglichen

Anita Rée schaut mir ihren großen, dunklen Augen in den Raum, und es scheint, als würden ihre linke Hand und ihr linker Arm sie schützen wollen vor den Blicken der Betrachtenden und der insbesondere vor der Unwägbarkeit des Daseins. Tatsächlich können Bilder wie diese Menschen trösten und neue Perspektiven für das Leben öffnen. Genau deshalb gibt es die Stiftung Kulturglück, die in diesem Jahr ihr zehnjähriges Bestehen feiert und zur weithin anerkannten Marke in der Hamburger Kulturlandschaft wurde. „Wir“, sagt Nicola Verstl, „verstehen uns als Ermöglicher. „Wir wollen Kunst zu den Menschen bringen, die nicht zur Kunst kommen können. Sei es, weil es gesundheitlich nicht möglich ist, aus finanziellen Gründen oder weil es sprachliche Barrieren gibt – das ist unser Stiftungsauftrag.“

Stiftung Kulturglück hat in zehn Jahren mehr als 10.000 Menschen erreicht

Bislang konnte die Institution, deren Schirmherr der ARD-„Tagesthemen“-Moderator Ingo Zamperoni ist, mehr als 30.000 Menschen mit ihren Angeboten erreichen. Dazu gehören Besuche von Demenzkranken und Geflüchteten in der Kunsthalle und Ausstellungen genauso wie Harfenmusik für Frühgeborene im Kinderkrankenhaus. Eine Kunstpädagogin kommt dafür in die Asklepios Klinik Nord Heidberg und demnächst auch in das Rahlstedter Wilhelmstift und Marienkrankenhaus, um auf der neonatologischen Abteilung die Harfe für Frühchen zum Klingen zu bringen – finanziert von der Stiftung Kulturglück. Studien belegen, dass Live-Harfenmusik bei Frühchen und ihren Müttern zu Stress- und Angstabbau führen und die Babys zum Trinken angeregt werden, sagt Nicola Verstl.

Wie die Idee zur Gründung der Stiftung Kulturglück entstand

Die Managerin, die im sommergrünen, langen Kleid vor ihrem Lieblingsgemälde in der menschenleeren Kunsthalle steht, erzählt, wie vor gut zehn Jahren die Idee zu dieser Stiftung entstand. Sie kam praktisch „über Nacht nach einem Gespräch mit dem Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort“, erinnert sich die Stiftungs-Vorständin. Der Ansatz bestand zunächst darin, Kunst und Heilung miteinander zu verbinden.

„Ich habe die Idee unters Kopfkissen gelegt.“ Am Ende wurde im Jahr 2014 eine Stiftung ins Leben gerufen, die jüngeren und älteren erkrankten Menschen, Geflüchteten sowie sozial benachteiligen Hamburgerinnen und Hamburgern und Menschen mit Handicap Teilhabe an kulturellen Erlebnissen ermöglicht. Es geht also nicht allein um Kunst und Heilung, sondern auch darum, Kunst zu Menschen zu bringen, die nicht zur Kunst kommen zu können. Kulturglück hat sich seitdem längst in der Hamburger Stiftungslandschaft etabliert und gehört zu den inzwischen mehr als 1500 Stiftungen in der Hansestadt Hamburg, die im Übrigen weiterhin die Stiftungshauptstadt in Deutschland bleibt. Denn nach wie vor belegt Hamburg mit 80 Stiftungen pro 100.000 Einwohnern den ersten Platz im Vergleich zu den anderen Bundesländern.

Ian Karan und Andrea Wasmuth gehören zum Kuratorium der Stiftung Kulturglück

Komplettiert wird das Team der Stiftung Kulturglück durch ein gut vernetztes Kuratorium, zudem außer Professor Schulte-Markwort auch Gabriele Wöhlke (Stiftung Budnianer), Andrea Wasmuth (Holtzbrinck Medien), Henrik Falk (Hochbahn), Ian Karan (Senator a. D.), Volker Putz (Stiftung Veronika und Volker Putz) und Dorit Otto (Otto Stiftung) zählen. Zweimal pro Jahr tritt das Kuratorium zu einer Tagung zusammen.

Der Hamburger Unternehmer Ian Kiru Karan gehört dem Kuratorium der Stiftung Kulturglück.
Der Hamburger Unternehmer Ian Kiru Karan gehört dem Kuratorium der Stiftung Kulturglück. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

„Ich wäre allerdings nichts ohne mein Team aus fünf großartigen Frauen!“, ergänzt Nicola Verstl mit Nachdruck. „Erst gemeinsam sind all diese Ergebnisse realisierbar gewesen.“

Dass die Mutter von zwei Kindern zur Kultur-Bewegerin in Hamburg wurde, hängt eng mit ihrer Biografie zusammen. In Bremen als Tochter eines Architekten und einer Pädagogin geboren, lernte sie frühzeitig bei Besuchen in der Bremer Kunsthalle und in Worpswede die bildende Kunst kennen und lieben. In ihrem Kinderzimmer hingt als Kopie ein Bild des Malers Pablo Picasso. Es wurde in den Nachkriegsjahren zum Symbol der Friedensbewegung und zeigt ein Kind mit Taube in der Hand, die einem Zweig im Schnabel hält.

„Ich kann mich noch gut an die Sonntagmorgen in meinem Elternhaus erinnern, da wurde wir von unserem Vater mit Mozarts Klaviermusik geweckt. Musik machte mir so viel Freude, dass ich im Schulchor mitsang und bis heute selbst Klavier spiele.“

Wie John Neumeier mit seiner Othello-Inszenierung begeisterte

Doch nicht nur das. Nicola Verstl begann sich als junges Mädchen auch für Literatur zu interessieren. Sie liebte die Pixi-Bücher aus dem Hamburger Carlsen-Verlag und fand mit der Lektüre von Astrid Lindgrens Büchern die altersgerechte Fortsetzung. Ende der 1980er-Jahre entdeckte sie schließlich ihre Liebe zum Ballett mit einer Inszenierung des Othello von John Neumeier an der Hamburgischen Staatsoper.

Diese persönlichen Erfahrungen motivieren sie, Kulturglück auch bei anderen Menschen zu erwecken. Mit Begeisterung berichtet Nicola Verstl darüber, wenn demenziell erkrankte Menschen die Hamburger Kulturhalle besuchen und die Bilder aus der Romantik, die Impressionisten oder Paula Modersohn-Beckers Werke bestaunen. „Licht im Dunkeln – oder: Entdeckungsreise gegen das Vergessen“ heißt die Veranstaltungsreihe.

Stiftung kooperiert mit dem Altonaer Kinderkrankenhaus

In regelmäßigen Abständen besuchen betreute Gruppen aus unterschiedlichen Pflegeeinrichtungen die Hamburger Kunsthalle und das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Eine 86 Jahre alte Teilnehmerin sagte danach ganz kulturbeglückt: „Ich habe es in meinem ganzen Leben nicht ein Mal in die Kunsthalle geschafft. Dass ich jetzt noch die Möglichkeit dazu habe, macht mich sehr glücklich.“

Glücksmomente entstehen ebenso bei jüngeren erkrankten Kindern, wenn ihnen das Erleben von Kunst möglich gemacht wird. Dabei lädt die Stiftung Kinder und Jugendliche, die unter psychischen Erkrankungen leiden, zu Führungen und Workshops in das Museum für Kunst und Gewerbe, die Hamburger Kunsthalle und andere kulturelle Einrichtungen ein. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen dem UKE, dem Altonaer Kinderkrankenhaus sowie von Museumspädagogen der Kunsthalle und dem Thalia Theater. Damit leistet die Stiftung einen Beitrag zu ihrer Grundidee: Zugang zur Kultur für alle Menschen in Hamburg zu ermöglichen.

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Nicola Verstl hat den Anspruch, täglich dafür zu kämpfen und neue Mitstreiter und vor allem Spender zu gewinnen. Hier gilt für sie: „Machen ist mutiger als Wollen – und das mit einer liebevollen, aber nachhaltigen Hartnäckigkeit.“

Nur wenn sie mit ihrem Mann, einem Steuerberater, am Wochenende in ihr altes Bauernhaus bei Bremen fährt, lässt sie gerne mal Fünfe gerade sein. „Hier in der Natur finde ich den perfekten Ausgleich.“