Hamburg. Elisa Antczak war Pflegekind, kam von einer Familie in die nächste. Bei der Pflegemutter ist bald das neunte Kind da.

  • Elisa Antczak ist eine Pflegemutter auf Zeit
  • Hamburgerinnen und Hamburger betreuen zurzeit insgesamt knapp 1000 Pflege- oder Patenkinder
  • Elisa Antczak wohnte bis zum 13. Lebensjahr in sieben verschiedenen Pflegefamilien

Es ist ein Zimmer, wie es schöner und bunter für Kinder nicht sein könnte. Maria, ein Jahr und acht Monate alt, tobt auf einer Spielerampe, flitzt in ein grünes Zelt und greift zu einem Kinderbuch. „Die Tiere im Wald“, heißt der Titel. Beststeller seit Jahrzehnten.

Kinder: Wenn die Jugendämter Pflegeeltern suchen

Die weiteren Schätze dieses Wandsbeker Zimmers liegen ihr noch im Verborgenen. Denn in den Schränken schlummern Kuscheltiere und Musikinstrumente wie ein Xylofon, jederzeit einsatzbereit für Maria und die anderen Kinder. Und natürlich auch für Mütter wie Elisa Antczak. Die 29-Jährige blättert gerade mit Maria im bunten Bilderbuch. Beide genießen das Zusammensein. Denn es ist nun nicht mehr lange, dann werden sich ihre Wege trennen. „Eigentlich hätte Maria schon weg sein sollen.“

Mutter mit Maria: Der Verein Pfiff kümmert sich um Hilfe für pflegebedürftige Kinder.
Mutter mit Maria: Der Verein Pfiff kümmert sich um Hilfe für pflegebedürftige Kinder. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Pflegemutter auf Zeit in der Bereitschaftspflege

Elisa Antczak ist nicht die leibliche Mutter, sie hat das Kind auch nicht adoptiert, sondern ist eine Pflegemutter auf Zeit. Und bald geht bei ihr die sogenannte Bereitschaftspflege für Maria zu Ende. Das Zimmer befindet sich nicht in einem privaten Wohnhaus, sondern steht in einem Gebäude, in dem die PFIFF gGmbH – Fachdienst für Familien ihren Sitz hat.

Die gemeinnützige Organisation ist unter anderem darauf spezialisiert, in Not geratene Mädchen und Jungen, die aus verschiedenen Gründen nicht bei ihren Eltern leben können oder kurzfristig Schutz und Geborgenheit brauchen, professionell an Pflegeeltern zu vermitteln. Und Maria heißt auch nicht Maria, der Name wurde von der Redaktion geändert.

Hamburger betreuen 1000 Pflege- und Patenkinder

Elisa Antczak gehört mit ihrem Mann zu den Hamburgerinnen und Hamburgern, die zurzeit insgesamt knapp 1000 Pflege- oder Patenkinder betreuen. Dafür gibt es drei Modelle. Ein Kind wird dauerhaft von einer Pflegefamilie (Vollzeitpflege) oder übergangsweise aufgenommen (Bereitschaftspflege). Die dritte Möglichkeit ist, eine Patenschaft für ein Kind psychisch erkrankter oder belasteter Eltern zu übernehmen.

Pflegemutter Elisa Antczak mit Betreuer und Berater Lasse Koop (Pflegefamilienberatung)
Pflegemutter Elisa Antczak mit Betreuer und Berater Lasse Koop (Pflegefamilienberatung) © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Bei diesem Modell bleibt das Kind bei seinen Eltern, und die Patinnen oder Paten entlasten Eltern und Kind, indem sie regelmäßig mit ihm Zeit verbringen und Teil ihres Alltags werden. „Ich bin gern Pflegemutter, denn ich war selbst ein Pflegekind und weiß, wie sich das anfühlt“, sagt Elisa Antczak.

Die Geschichte von Elisa: Das erste Kind mit 16

Im Alter von sechs Jahren landete Elisa „im System“, wie sie erzählt. Bis zum 13. Lebensjahr wohnte sie in sieben verschiedenen Pflegefamilien. Es sind deshalb so viele, weil sie zwischendurch immer wieder zu ihrer Mutter zurückkehrte – in der Hoffnung, dass sich deren psychische Situation dauerhaft stabilisiert.

Doch das geschah nicht. „Mit 13 Jahren landete ich wieder im Heim.“ Die Zeit in den meisten Pflegefamilien empfand sie als wohltuend. Sie habe sich dort willkommen gefühlt. „Vor allem haben sich die Familien zu festen Zeiten gemeinsam an einem Tisch zu den Mahlzeiten versammelt und über alles Mögliche geredet, das kannte ich vorher nicht“, sagt sie.

Heute noch guten Kontakt zu den Pflegeeltern

Bei den häufigen Wechseln in eine neue Pflegefamilie hatte Pflegekind Elisa immer ein buntes Kuschelkissen dabei, das tröstete sie, obwohl „es eigentlich hässlich war“. Sie freute sich stets auf das neue Zuhause, ihr Zimmer und das Essen. Die Geborgenheit und die Zuneigung, die sie in diesen Familien empfand, war so stark, dass sie noch heute mit einigen Pflegeeltern und „Geschwistern“ im Kontakt ist. „Wir quatschen mindestens einmal im Monat.“

Minderjährige Mutter hat Angst vor dem Jugendamt

Nachdem Elisa wieder im Jugendheim untergebracht war, wurde sie von einem Jungen schwanger. Mit 16 bekam sie einen Sohn, der jetzt 13 Jahre alt ist. Zunächst war sie unsicher im Umgang mit dem Jugendamt, da Eltern unter 18 Jahren automatisch einen Vormund für ihr Kind bekommen. „Aber es hat sich alles so gut angefühlt“, erinnert sich Elisa, das Pflegekind von einst, das nun selbst zur Mutter wurde. Sie schaffte alles, auch den Realschulabschluss und eine Ausbildung als Automobilkauffrau. „Mir geht es inzwischen viel besser als den meisten in meiner Herkunftsfamilie“, sagt sie.

Vom Pflegekind zur Pflegemutter

Elisa Antczak ist verheiratet und glückliche Mutter von neun Kindern. Nun ja, das ist übertrieben. Sie hat ihren leiblichen Sohn. Und sie setzt etwas fort, das ihren Lebensweg seit 2001 prägt: Pflegekindern auf Zeit ein Zuhause zu geben. Bislang waren es acht Pflegekinder in ihrer Bereitschaftspflege. Bald kommt das neunte. Elisas Mann liebt seine Frau – und unterstützt sie bei dieser ganz besonderen Aufgabe.

Es ist quasi ein Beruf, den Elisa ausübt. Rund um die Uhr für ein zunächst fremdes Kind dazu sein. 24 Stunden, sieben Tage in der Woche. Dafür erhält sie vom Staat 1500 Euro netto für ihren Aufwand und außerdem 700 Euro für das Kind im Monat.

Pflegefamilienberater helfen vor Ort weiter

Elisa Antczak arbeitet eng mit dem Jugendamt und vor allem mit PFIFF – dem Fachdienst für Familien und dessen Pflegefamilienberatern wie Lasse Koop (26) zusammen. Sie informieren, beraten, unterstützen und überprüfen Pflegefamilien.

Zehntausende Kinder in Deutschland wachsen in Pflegefamilien auf. Einige davon werden später selbst Pflegeeltern.
Zehntausende Kinder in Deutschland wachsen in Pflegefamilien auf. Einige davon werden später selbst Pflegeeltern. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Der gelernte Sozialpädagoge telefoniert regelmäßig mit Pflegeltern und besucht sie auch zu Hause, bevor und auch während sie diese Aufgabe übernehmen. „Dabei achte ich mit Blick auf den Kinderschutz zum Beispiel darauf, ob für das Pflegekind genügend Platz zur Verfügung steht, ob es Gefahrenquellen wie ungesicherte Treppen oder Steckdosen gibt und ob das Kind altersentsprechend versorgt wird.“ Als Experte bleibt er im regelmäßigen Austausch mit den Pflegeeltern.

Potenzielle Interessenten werden professionell auf ihre Aufgabe vorbereitet. Wer ein Kind – ob dauerhaft oder in Bereitschaftspflege – betreuen möchte, nimmt nach Angaben der Sozialbehörde zunächst an zwei Informationsabenden teil. Die erforderliche Qualifizierung umfasst schließlich zwei Seminarblöcke. „Das Eignungsprüfung sowie die regelmäßigen Hausbesuche sind wichtig“, sagt Lasse Koop. Außerdem müssen die Pflegefamilien verschiedene Dokumente vorlegen, wie zum Beispiel ein erweitertes Führungszeugnis.

PFIFF in Hamburg: Wie alles begann

Koops Arbeitgeber, die PFIFF gGmbH, gibt es seit 1991. Als Förderverein gegründet, bestand das Ziel darin, die Hamburger Pflegekinderarbeit zu fördern. Acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernahmen am Anfang die Öffentlichkeitsarbeit für die Pflegekinderhilfe, die Anwerbung und Schulung von Pflegefamilien sowie die Organisation der Bereitschaftspflege.

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PFIFF hat heute rund 40 Mitarbeitende

Im Laufe der Zeit hat PFIFF sein Angebotsspektrum erweitert, heißt es. Seit 2009 ist PFIFF eine gemeinnützige GmbH, die unter ihrem Dach weitere Aufgabenbereiche und Kompetenzen gebündelt hat. Inzwischen arbeitet ein Team von rund 40 Fachkräften an der Aufgabe, alle Menschen im Blick zu haben und zu unterstützen, die für eine kind- und altersgerechte Entwicklung im Leben eines Kindes wichtig sind.

„Wir beraten und begleiten sowohl Herkunftsfamilien als auch Pflege- und Patenfamilien“, sagt PFIFF-Sprecherin Sabine Scholz-Hinton. Und weiter: „Pflegefamilien übernehmen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Sie bieten Kindern und Jugendlichen die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Der Bedarf an Pflegefamilien auf Zeit oder auf Dauer ist in Hamburg riesig. Uns erreichen wöchentlich Platzanfragen aus den Jugendämtern, die wir nicht decken können.“ Auch Patenfamilien würden händeringend gesucht.

Bezirksamt Nord: Hamburg sucht mehr Pflegefamilien

„Hamburg sucht mehr Pflegefamilien, um Kindern auf Zeit oder auf Dauer ein Zuhause zu geben“, sagt auch Alexander Fricke, Sprecher des Bezirksamtes Hamburg-Nord. Die Suche nach Pflegefamilien stelle seit Jahrzehnten bundesweit eine Herausforderung dar.

Für Interessenten:

PFIFF gGmbH – Fachdienst für Familien

Tel.: 040/41 09 84 60

E-Mail: pfiff@pfiff-hamburg.de

www.pfiff-hamburg.de

Zentrale Pflegestellenvermittlung für ganz Hamburg

Tel.: 040/428 11 36 47

E-Mail: Koordination-pkd@altona.hamburg.de

www.hamburg.de/pflegekinder