Hamburg. Hamburger Sportler mit Handicap waren bei den Special Olympics World Games in Berlin erfolgreich. Ein inklusives Trainingslager half dabei.
Es sind Momente, die Mut machen und Sinn bringen. Da sie zu Herzen gehen, bleiben sie dauerhaft in der Erinnerung verankert. So wie die Special Olympics Mitte Juni dieses Jahres in Berlin. Bei diesen Weltspielen für geistig und mehrfach behinderte Sportlerinnen und Sportler präsentierten sich Hamburg und der Norden stark in Form. Medaillen brachten Glanz, in jeder Beziehung, doch bewiesen sie viel mehr: Sport verbindet – über Grenzen und Barrieren hinweg.
„Unser Gemeinschaftsgefühl wurde stabilisiert“, sagt Leo Heckel, einer der Medaillengewinner im Schwimmen. Sein Heimathafen ist Hamburg. Der 23-Jährige gewann zweimal Silber und trug zum Erfolg des deutschen Teams bei. Vor den Wettkämpfen hatte ihn ein Mitte März auf Mallorca organisiertes Trainingslager zu außerordentlichen Leistungen über 1500 Meter beflügelt. Diese Gruppenreise wurde auch vom Abendblattverein unterstützt. Zusammenhalt und Gemeinschaftsgeist können nicht in Metern und Sekunden gemessen werden.
Das Trainingslager für die Vorbereitung zu den Special Olympic World Games wurde vom Abendblattverein unterstützt
Der Wert des Trainingslagers, das von den Sportvereinen aus Eimsbüttel und Glinde geleitet wurde, hat dauerhaften Charakter. Da sind sich die Teilnehmer, die 16 Sportler sowie acht Betreuer, einig. Der Beweis wird praktisch täglich angetreten, weit über Platz, Becken oder Rasen hinaus. „Im Sport ist so unglaublich viel Inklusion und Teilhabe für Menschen mit Handicap möglich“, weiß Frank Fechner, Vorsitzender des Eimsbütteler Turnverbands ETV. Knapp 100 der 19.000 Vereinsmitglieder sind mit Beeinträchtigungen in sechs Sportsparten aktiv dabei. „Es lohnt sich, weitere Sportarten zu öffnen, Neues auszuprobieren“, sagt Fechner. Die Anfang September in der Hansestadt organisierte „Woche des Inklusionssports“ werde dazu beitragen, Sportlern mit Handicap die ihnen und ihren Leistungen gebührende Aufmerksamkeit zu verbessern.
Kollege Joachim Lehmann, Vorsitzender des TSV Glinde von 1930, verfolgt eben diese Zielsetzung. In den Hamburger Märzferien begleitete Lehmann das norddeutsche Team zum Trainingslager auf die spanische Insel. Ein Dutzend der 16 mitgereisten Inklusionssportler zwischen 17 und 34 Jahren, davon rund ein Drittel Frauen, kamen vom ETV aus Hamburg. Für einige war es der erste Flug, die erste Auslandserfahrung, die erste große Reise ohne Eltern und Familie. Folglich ergaben sich in der Tat aufregende Erfahrungen. Das Hotel in Paguera im Südwesten der Baleareninsel stieß auf ebenso großen Anklang wie die Gastfreundschaft der Spanier.
22 Teilnehmer entwickelten sich im Trainingslager auf Mallorca sowohl sportlich als auch persönlich weiter
Hand in Hand zusammengestellt, erinnert ein elfseitiges Tagebuch mit Fotos an das nachhaltige Trainingslager. Zwei Drittel des Budgets in Höhe von 30.000 Euro brachten die Teilnehmer oder ihre Familien auf. Neben zwei Stiftungen unterstützte der Verein Hamburger Abendblatt hilft die Aktion mit 5600 Euro. Das Tagebuch dokumentiert die Begeisterung der gesamten Gruppe. „Wir haben uns wie eine große Familie gefühlt“, gab die Mitreisende Menja zu Protokoll. Es war schon gut losgegangen, als eine Stewardess von TuiFly nach dem Start in Hannover ins Handmikrofon sprach: „Als besondere Gäste begrüßen wir heute unser Special Olympics Team an Bord.“ Wertschätzung kann beglückend sein.
„Ich habe eine Menge dazugelernt“, sagt Leo Heckel im Nachhinein bei einem Gespräch im ETV-Sportzentrum. Damit meint der Schwimmer die vielen Eindrücke vom Trainingslager und von den Weltspielen in Berlin. Stolz zeigt er seine Silbermedaillen. Leo ist seit seiner Kindheit im Verein dabei. Im Wochenschnitt spielt er eine Stunde Tennis sowie 90 Minuten Aquaball, absolviert zwei intensive Trainingseinheiten im Schwimmbad „Festland“ an der Holstenstraße.
- https://www.abendblatt.de/hamburg/von-mensch-zu-mensch/article238707519/Ein-bunter-Begegnungsort-fuer-Gross-und-Klein.html
- https://www.abendblatt.de/hamburg/von-mensch-zu-mensch/article238830559/Ein-Zirkusprojekt-als-Bruecke-zwischen-Jung-und-Alt.html
- https://www.abendblatt.de/hamburg/von-mensch-zu-mensch/article238886339/Das-Loewenhaus-gibt-Kindern-Selbstvertrauen.html
„Wir profitierten alle von der Inklusion im Sport“, sagt Kaissa Ottenberg. Die BWL-Studentin mit Fachrichtung Sportmanagement engagiert sich wie ihr Vater Krister Ottenberg ehrenamtlich im ETV und hat auch schon Trainingslager begleitet. Kaissas Bruder Morten macht in der inklusiven Schwimmgruppe des ETV mit. Trisomie 21 (Downsyndrom) hindert ihn keinesfalls an beeindruckenden Leistungen – und vor allem nicht am Sportspaß. „Eine solche Reise fördert das Teamgefühl ungemein“, weiß Krister Ottenberg, der das Trainingslager auf Mallorca begleitet hat. „Es geht nicht nur um Sport, sondern um die persönliche Entwicklung“, sagt der hauptberufliche Systemadministrator. Tochter Kaissa fügt hinzu: „Unsere inklusiven Sportlerinnen und Sportler waren stolz, dass sie dabei waren.“ Das bringe auch Stärke im Alltag.
Trainingslager und Special Olympics: Allein die Teilnahme machte die jungen Sportler schon zu Siegern
Keiner weiß das besser als Timo Hampel. Zwar war er als Tennisspieler in den Reihen des ETV nicht im Trainingslager der Schwimmer in Spanien, doch zählt er ebenfalls zu den Hamburger Gewinnern der Special Olympics in Berlin. Mit seinem Elan und seiner Willenskraft sorgt der 26-Jährige mit Downsyndrom für Lebensfreude und Selbstbewusstsein. Wenn Timo Hampel beim Reden in Fahrt kommt, begeistert er auch andere. Bei seinem Bericht von seinen Tennis-Erfolgen im Einzel wie im Doppel bringt er seinen Mumm so auf den Punkt: „Ich gebe alles.“ Bereits im Alter von neun Jahren schlug Timo erstmals auf der ETV-Anlage an der Hoheluft auf. Im Tennisdoppel („Unified-Doppel“) mit seiner nicht gehandicapten Schwester Gina holte er nun Silber. Spaß beschere sein Einsatz ihm aber immer, nicht nur, wenn Medaillen winken.
Und dann ist da noch die Vorfreude auf die Hamburg European Open 2023 im Tennis Ende dieses Monats am Rotherbaum. Timo, Leo und die anderen inklusiven Teams haben dafür Freikarten erhalten. Am 29. Juli darf Timo mit einem Münzwurf sogar die Seitenwahl unter den Spielern eines Profiduells bestimmen. Für ihn ist das eine Kleinigkeit, denn er und die anderen jungen Leute haben schon Großes geschafft: Sie sind bereits Sieger.