Der Verein „Die Rotznasen“ fördert nicht nur das Zusammenspiel von vielen Kindern, sondern auch von Generationen.
Farbige Chiffontücher wirbeln durch die Luft, Jonglierbälle und Zirkushandstäbe mit Blumenoptik, die Flowersticks, werden von Kindern an ältere Menschen gereicht und gemeinsam kunstvoll bewegt. Kunterbuntes Treiben im Foyer des Altenpflege-Zentrums Stadtdomizil in der Sternschanze. An diesem Nachmittag feiert die Senioreneinrichtung ihr Sommerfest und einer der Höhepunkte ist der Auftritt einer besonderen Gruppe der Zirkusschule „Die Rotznasen“: Kita-Kinder und Senioren machen gemeinsam Zirkus.
Einmal in der Woche kommen zwölf Kinder des ebenfalls in der Sternschanze liegenden Musikkindergartens Hamburg der Stiftung Finkenau mit zwölf zum Teil dementen Bewohnern des Stadtdomizils zu einer Zirkusstunde zusammen. Angeleitet von den Zirkuspädagoginnen Mareike Bongers und Ulrike Tuch von den „Rotznasen“ musizieren die Drei- bis Fünfjährigen mit den über 70- und 80-Jährigen, spielen mit ihnen Theater, üben einfache Kunststücke ein und entwickeln einen kleinen Bühnenauftritt.
Der steht an diesem Nachmittag unter dem Motto von „1001 Nacht“ und wird mit flotten Rhythmen am Klavier begleitet von Kai Schnabel, dem musikalischen Leiter des Musikkindergartens Hamburg. Mareike Bongers und Ulrike Tuch führen durchs Programm. Die Kinder treten vor die im Halbkreis sitzenden Zuschauer, in der ersten Stuhlreihe sitzen die Seniorinnen und Senioren des Zirkuskurses. In einer gespielten und gedachten kleinen Reise durch die orientalische Märchenwelt imitieren die Kleinen mit typischen Bewegungen Elefanten oder Frösche oder sie reichen ihren älteren Zirkuspartnern auf Stäben kreisende Teller. Wenn dabei mal ein Plastikteller ins Schlingern kommt, ist das kein Problem, schnell hilft eine Kinderhand der Seniorenhand beim Weiterdrehen.
„Rotznasen“-Leiter: Zirkus ist eine Kunstform, die jeden begeistert
„Seit 2018 bieten wir an unterschiedlichen Standorten in Hamburg niedrigschwellige Zirkuskurse für Kita-Kinder und ältere Menschen an“, sagt Arne Schulz, einer der Leiter des Vereins „Die Rotznasen“. Mit den Kursen des Projekts „0 bis 99“ möchte die Zirkusschule beide Generationen über das aktive Üben von verschiedenen Zirkus- und Theaterdisziplinen in Kontakt kommen lassen. „Zirkus ist eine Kunstform, die jeden begeistert, die Darbietungen kommen ohne Sprache und Wettbewerbsgedanken aus“, sagt Arne Schulz, der die Zirkusschule 1991 mit zwei Freunden gründete.
Von Beginn an waren Kinder das Zielpublikum. „Mit zwei Gruppen haben wir begonnen“, sagt Schulz. Heute erreicht der Verein rund 160 Kinder zwischen vier und 18 Jahren, die Angebote laufen oft in Kooperation mit verschiedenen Schulen. Hinzugekommen sind jüngere Projekte, die sich etwa an Kinder mit Sehbehinderungen oder an bildungsbenachteiligte Kinder wenden. „In unserem Projekt ‚Zirkus der Kulturen‘ arbeiten wir mit einer Grundschule im Stadtteil Hamm zusammen, hier finden geflüchtete Kinder und Kinder aus Hamburg über das Zirkus- und Theaterspiel zusammen“, sagt Schulz.
Neben dem Spaß, den die Kurse bringen, fördern die Zirkusaktivitäten viele Kompetenzen, die die Kinder spielerisch fast nebenbei entwickeln. „Die Motivation, etwas gemeinsam aufzuführen, ist immer extrem hoch. Das stärkt nicht nur das soziale Miteinander und die Teamfähigkeit, sondern auch das eigene Selbstbewusstsein und die Kreativität der Kinder“, sagt Arne Schulz, der auch für das Fundraising der Zirkusschule zuständig ist. Die Arbeit des Vereins finanziert sich zu einem Drittel aus den Beiträgen der Kinder und zu zwei Dritteln aus Zuwendungen von Stiftungen und Spenden wie unter anderem vom Hamburger-Abendblatt-Verein.
Wie wertvoll diese Arbeit ist, zeigt sich auch in der Sternschanze. „Der Zirkuskurs ist ein tolles Projekt, weil er Alt und Jung unkompliziert zusammenbringt“, sagt Steffen Vooth. Der Leiter des Altenpflegezentrums Stadtdomizil mit insgesamt 199 Bewohnern mit verschiedenen Pflegegraden ist sehr offen für kulturelle Angebote in seinem Haus. „Beim Zirkuskurs können auch Bewohner mit höherem Pflegegrad mitmachen und Spaß haben“, sagt der passend zum Sommerfest-Motto als Scheich verkleidete Vooth.
Die Älteren profitieren von der Lebendigkeit der Kinder
„Bei unseren Treffen stimmen wir uns erst mal mit den Seniorinnen und Senioren ein, etwa mit gemeinsamem Singen. Wenn dann die Kinder dazukommen, merkt man sofort, dass die Älteren viel wacher sind. Sie profitieren von der Lebendigkeit der Kinder“, sagt Zirkuspädagogin Ulrike Tuch. Neben Bewegungsübungen arbeiten Klein und Groß auch mit verschiedenen Requisiten wie Jonglierbällen oder Zaubertüchern.
„Der Umgang mit den Requisiten ist eine gute motorische Schulung für die Kinder, während die alten Menschen manche Handgriffe wie das Fangen noch gut hinbekommen“, sagt Kollegin Mareike Bongers. So werden mit den unterschiedlichen Übungen und Methoden bestehende Ressourcen bei den Senioren erhalten und zugleich neue Impulse, die das Gehirn aktivieren, gegeben.
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„Bei jeder Probe feiern wir, was von den Teilnehmern schon oder noch gekonnt wird, und teilen die Freude daran“, sagt Kai Schnabel vom Musikkindergarten. „Mir macht am meisten Spaß, mit den Bällen zu spielen, zusammen mit den alten Menschen“, erzählt die fünfjährige Nora aus der Kita. Und die Senioren geben den Kindern auch etwas zurück. So gehört zu der Gruppe ein 85-jähriger ehemaliger Konzertmusiker, der sein Cello noch sehr gut beherrscht und den Kindern immer wieder gerne etwas vorspielt.
„Ältere Menschen leben häufig relativ isoliert von der sozialen Außenwelt. Das wollten wir mit unserem Projekt ändern“, sagt Arne Schulz. Wenn Kindergarten-Kinder und Bewohner von Senioreneinrichtungen kreative Zeit miteinander verbringen, wachse das gegenseitige Verständnis und die Verantwortung füreinander. „Wie in all unseren Projekten wird Zirkus zu einer Brücke, hier ist es eine Brücke für zwei Generationen“, sagt Schulz.