Zum ersten Mal diskutierten die Schulsenatorin und der Vertreter von “Wir wollen lernen“ öffentlich über die Schulreform - abendblatt.de war dabei.
Hamburg. Es war das erste öffentliche Gespräch zweier Gegner: Christa Goetsch (GAL), Schulsenatorin und Walter Scheuerl, Sprecher der Initiative "Wir wollen lernen". Die Verhandlungen zwischen beiden Seiten waren erst kürzlich abgebrochen worden - doch bei Radio Hamburg/Oldie 95 zeigten sie sich überraschend friedlich. "Menschlich haben wir gegeneinander überhaupt nichts", beteuert Scheuerl und lobt Goetschs "sehr ernst gemeintes Engagement für die Primarschule" - das er allerdings für falsch halte.
Um kurz vor sieben Uhr morgens treffen die beiden Kontrahenten im Sender ein, stellen sich hinter ihre Mikrofone. Christa Goetsch, im roten Blazer, nestelt anfangs nervös an ihrer Kleidung. Walter Scheuerl, mit roter Krawatte, stemmt ab und zu die Hände in die Hüften. Die Nachrichtenredakteure Gabriele Hoberg und Rainer Hirsch eröffnen das Gespräch.
7.05 Uhr: Christa Goetsch verteidigt den ausgehandelten Kompromiss mit SPD und Linkspartei zur Primarschule: "Nach der siebten Klasse soll die Zeugniskonferenz über den Verbleib eines Kindes auf dem Gymnasium entscheiden. Das heißt: dann entscheidet die Leistung." Walter Scheuerl zitiert zur Antwort das Abendblatt. "In der Not rücken die Politiker zusammen." In der siebten Klasse seien Schüler in der Pubertät und hätten andere Interessen als die Schule.
7.10 Uhr: Christa Goetsch bezeichnet Hamburg als die "Bildungsungerechtigkeitshauptstadt von Deutschland."
7.15 Uhr: Moderator John Ment spricht den Wetterbericht. Seine Zwischenbilanz: "Hier im Studio sind es gefühlte 30 Grad."
7.18 Uhr: Beide Kontrahenten müssen sich verteidigen. Christa Goetsch über die Primarschule: "Wir müssen zum Beispiel auch an die Jungs denken, die sich im Tempo oft anders entwickeln. Sie sind dann die Verlierer des Bildungssytems." Nach der sechsten Klasse könne man besser über die richtige Schulform beraten. Walter Scheuerl über den Vorwurf, seine Inititaive sei elitär: "Wir sind keine elitäre Initiative. Ich kann mich ja nicht dafür entschuldigen, dass ich zufällig Anwalt bin." Beide streiten sich darüber, ob Hamburgs Schulen dem internationalen Standard entsprechen. Scheuerl: "Bei der Pisa-Studie lagen wir im deutschen Mittelfeld und besser als Dänemark oder Italien." Goetsch: "Wir haben gute Gymnasien, die uns hochziehen. In den anderen Schulformen gab es grottenschlechte Ergebnisse."
7.24 Uhr: Scheuerl stellt fest: "Bei den Zielen sind wir uns völlig einig." Nur über den Weg dahin seien sie sich uneins. Scheuerl will mit den Lehrern und Schülern vor Ort sprechen. Goetsch watscht ihn ab: "Sprechen hilft nichts, das müssen wir schon ein bisschen systematischer machen." Scheuerl gibt sich entsetzt.
7.34 Uhr: Christa Goetsch schlägt vor, dass Scheuerl mit ihr zusammen in einer Schule hospitiert. Scheuerl: "Aber Sie kommen ja aus der Schule." Als der Vorschlag zum zweiten Mal kommt, bemängelt Scheuerl, dass die Senatorin immer nur Reformschulen und keine Gymnasien besuche. Goetsch bietet an, ihm ihre Hospitationsliste zu zeigen. "Nächste Woche gehe ich in eine Stadtteilschule. Sie können gern mitkommen." Doch auch nach dieser dritten Einladung kommt es zu keiner Verabredung.
7.47 Uhr: Beide diskutieren darüber, ob Schüler nach vier Jahren Grundschule oder nach sechs Jahren Primarschule bessere Leistungen zeigen. Sie können sich nicht einigen.
7.59 Uhr: Scheuerl versichert auf die Frage einer Hörerin, dass er nicht vorhabe, in die Politik zu gehen.
8 Uhr: Zum Ende des Gesprächs haben beide ihre Meinung nicht geändert.
Das Fazit kam von Medienpsychologe Michael Thiel, der sich das Streitgespräch angehört hatte. Er sagt: "Das war typisch Mann gegen Frau. Frau Goetsch gab sich emotional, wollte überzeugen. Zu Beginn war sie sehr nervös, aber das macht sie sympathisch. Herr Scheuerl hätte die Chance gehabt, leidenschaftlich zu argumentieren, die aber nicht genutzt." Siegerin aus Sicht des Psychologen: die Senatorin.
Wer die Hamburger am ehesten von seinen Argumenten überzeugen konnte, stellt sich wohl erst im Sommer heraus - dann findet voraussichtlich der große Volksentscheid statt.