Viele Eltern fürchten, dass künftig ihr Wille nichts mehr zählt. Volksinitiative hat bereits 21 000 Stimmen gegen die Primarschule gesammelt.
Primarschule, Stadtteilschule, Turbo-Abitur - die geplante Schulreform des schwarz-grünen Senats sorgt bei Tausenden von Eltern zunehmend für Unmut. "Ich bin besorgt und verärgert", sagt Insa Axmann (36), dreifache Mutter aus Bergedorf. "Völlig übereilt stürzt man sich in eine teure Reform , während unsere Kinder in überfüllten Klassen in teils maroden Schulgebäuden hocken." Grundschüler bis Klasse 6 gemeinsam zu unterrichten hält die Musikwissenschaftlerin für wenig sinnvoll: "Damit wird die Entscheidung über die Schullaufbahn der Kinder nur um zwei Jahre verschleppt. Weder die schwachen noch die leistungsstarken Schüler werden in dieser Zeit richtig gefördert."
Das Projekt Primarschule sei nicht ausreichend durchdacht, sagt Tanzpädagogin Maike Gessler (39) aus Niendorf, Mutter von zwei Kindern: "In vielen Grundschulen fehlt es an Platz. Zwangsläufig müssten Klassen in andere Schulen ausgelagert werden, ein Hin und Her."
Den vierfachen Vater Markus Marsen (45) stört, dass die Empfehlungen nach der sechsten Klasse künftig verbindlich sein sollen: "Es ist nicht in Ordnung, dass der Elternwille bei der Entscheidung über die weiterführende Schule nicht mehr zählt." Silke Mensching (38) aus Bergedorf meint, dass es in der Schulpolitik zugehe "wie auf einem orientalischen Basar". "Nach Geheimverhandlungen stellt man uns vor vollendete Tatsachen." Sie denkt darüber nach, ihre drei Kinder an einer Schule in Schleswig-Holstein anzumelden: "Ich möchte nicht, dass unsere Kinder Versuchskaninchen sind."
Fest steht: Gegen die Primarschule formiert sich heftiger Widerstand. Die Initiative "Wir wollen lernen!" lehnt sie als "pädagogisch, bildungspolitisch und gesellschaftspolitisch falsch" ab. "Das Modell kommt aus der Mottenkiste", sagt Rechtsanwalt Walter Scheuerl (47), Sprecher der Initiative, die 2009 gegebenenfalls ein Volksbegehren anstrengt.
Am vergangenen Mittwoch hatte die Volksinitiative 21 000 Unterschriften im Rathaus abgegeben. Damit, dass sie den Fortbestand der weiterführenden Schulen ab Klasse 5 und auch weiterhin das Elternwahlrecht über die Schulform fordert, muss sich nun die Bürgerschaft beschäftigen. Der Slogan "Länger gemeinsam lernen" von Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) sei Etikettenschwindel: "Tatsächlich wird das gemeinsame Lernen von acht Jahren auf sechs Jahre, nämlich auf die Klassen 7 bis 12 verkürzt." Scheuerl weist Vorwürfe zurück, die die Initiative in eine "erzkonservative Gymnasiums-Ecke" stellen: "Unsere Forderung, dass die Eltern über die schulische Laufbahn ihrer Kinder mitentscheiden sollen, unterstützt Eltern aus sozial schwächeren Vierteln, die nicht durch einen Anmeldeverbund und die Empfehlung der Lehrer bevormundet werden sollen." Scheuerl glaubt, dass die Kritik an der Primarschule wächst - in allen Fraktionen: "In einer geheimen Abstimmung würden bis zu 80 Prozent hinter uns stehen."
Auch viele Lehrer wissen nicht, was auf sie zukommt. Eine Grundschullehrerin (Name bekannt) sagt: "Oft kann ich den Eltern keine Antworten geben." Eine Erfahrung, die auch Kirsten Nagel (42) gemacht hat: "Die Schulen wissen nicht immer Bescheid."
Doch es gibt auch Eltern, die die Reform begrüßen. Teresa Ehlers (35), Mutter von zwei Kindern: "Die Theorie muss nur vernünftig umgesetzt werden."
So sieht das auch die Elternkammer. Peter Albrecht, stellvertretender Vorsitzender: "Die Primarschule führt nur zu mehr Bildungsgerechtigkeit und besseren schulischen Leistungen, wenn der Unterricht so umgestaltet wird, dass leistungsstarke und -schwache Schüler individuell gefördert werden." Hoffnungen setzt die Elternkammer in die regionalen Schulentwicklungskonferenzen, bei denen jeweils Schulleiter, Lehrer, Schüler und Eltern aus einem der insgesamt 22 Planungsgebiete gemeinsam ein "optimales Bildungsangebot" erarbeiten sollen. Nächste Woche startet die zweite Runde. Goetsch versprach, die Ergebnisse der Konferenzen (laufen bis Mai 2009) zu berücksichtigen. "Jeder Veränderungsprozess schafft Verunsicherung, dafür habe ich großes Verständnis. Wir kommen auch gern in die Schulen, um mit den Eltern zu sprechen."
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