Hamburg . Im Haus tritt Kohlenmonoxid aus. Feuerwehr spricht von „Riesenglück“ für die vier Opfer und empfiehlt CO-Warngeräte.
Die Feuerwehr öffnet die Tür einer Wohnung. In einem Zimmer entdeckt sie vor einem noch warmen Grill oder an einer Feuerstelle einen bewusstlosen, im schlimmsten Fall sogar toten Menschen. Feuerwehrleute können da nur den Kopf schütteln. Grillen in der eigenen Wohnung? Keine gute Idee. Denn bei der unvollständigen Verbrennung von kohlenstoffhaltigen Stoffen entsteht Kohlenmonoxid, ein tückisches Atemgift. Das Gas – unsichtbar, geruch- und geschmacklos – wird auch als „geräuschloser Killer“ bezeichnet.
Genau dieses Szenario – ein glühender Grill im Haus – hat eine deutsch-afghanische Familie am Freitag auf die Intensivstation gebracht. Vor einigen Tagen war in ihrer Doppelhaushälfte an der Sülldorfer Landstraße die Heizung ausgefallen. Der vierköpfigen Familie wurde es am Donnerstagabend offenbar zu kalt. Nachdem der Vater (37) draußen gegrillt hatte, stellte er den Holzkohlegrill in das Wohnzimmer, vermutlich, um die Restwärme zu nutzen. Dann schliefen die Mutter (32), der Vater, ihr Sohn (7) und ihre Tochter (3) ein – während die Kohlen vor sich hin glühten und giftiges Kohlenmonoxid (CO) ausströmte.
Bewusstlosigkeit tritt schnell ein
Die Familie habe „Riesenglück“ gehabt, dass sie am Freitagmorgen überhaupt aufgewacht sei, sagt Feuerwehrsprecher Martin Schneider. Denn bei einer starken Kohlenmonoxid-Exposition erlangen Betroffene das Bewusstsein häufig gar nicht erst wieder. Gegen acht Uhr am Freitag alarmierte der Vater die Feuerwehr über den Notruf 112. Alle Familienmitglieder klagten über die typischen Symptome einer CO-Vergiftung: Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel. Um Platz für die Feuerwehr-und Rettungsfahrzeuge zu schaffen, sperrte die Polizei die rechte Fahrspur der Sülldorfer Landstraße zunächst ab. Wenig später wurde sie bis 9.49 Uhr stadtauswärts komplett abgeriegelt. In der Spitze waren 25 Feuerwehrleute im Einsatz.
Zunächst erhielten die Vergifteten reinen Sauerstoff, dann brachten mehrere Rettungswagen sie ins UKE, wo sie intensivmedizinisch behandelt wurden. „Lebensgefahr bestand nicht, aber viel hätte auch nicht gefehlt“, sagt Schneider. Weitere Wohnungen, darunter auch die im Dachgeschoss mit der höchsten CO-Konzentration im gesamten Haus, seien sicherheitshalber auch geöffnet worden. Sie standen glücklicherweise leer.
Hilfe in Gelsenkirchener Spezialklinik?
Kohlenmonoxid heftet sich an die roten Blutkörperchen und blockiert so die Aufnahme von Sauerstoff. Ab einem Wert von 50 Prozent CO-gebundener Blutkörperchen tritt Bewusstlosigkeit ein. 60 Prozent gelten als lebensbedrohlich. Bei schweren Intoxikationen kommen Betroffene in eine Druckkammer, wo sie bei Überdruck mit reinem Sauerstoff versorgt werden, um den Anteil des Sauerstoffs im Blut zu erhöhen und das CO zu verdrängen. Diese Therapie sei am Freitag auch für die Betroffenen aus Sülldorf erwogen worden, sagte Polizeisprecher Florian Abbenseth. Möglicherweise müssten sie dazu in eine Gelsenkirchener Spezialklinik verlegt werden.
Kohlenmonoxid tritt nicht nur bei der Verbrennung von Kohle aus, es bildet sich auch bei Bränden und durch Defekte an Gasthermen. Nach Schätzung von Eric Dietz, Rechtsmediziner am UKE, gehen pro Jahr rund 35 Todesfälle in Hamburg auf CO-Vergiftungen zurück. Als wahre CO-Schleudern gelten Shisha-Bars. Kohle wird dort in den Wasserpfeifen bei unzureichender Sauerstoffzufuhr offen verbrannt. Allein 2017, so der Senat, wurden 25 Patienten nach Besuch dieser Bars in Hamburger Krankenhäusern behandelt. Künftig sind die Betreiber allerdings gesetzlich verpflichtet, einen Maximalwert von 35 Milligramm Kohlenmonoxid pro Kubikmeter Raumluft einzuhalten. Der Gesetzentwurf, vom Senat im Februar beschlossen, sieht außerdem die Installation von Kohlenmonoxid-Warnmeldern in den Sisha-Bars vor. Ähnliche Geräte für den Hausgebrauch empfiehlt die Feuerwehr ausdrücklich jedem Bewohner mit einer Gasheizung in den eigenen Räumen. Die preisgünstigen CO-Warner schlagen auch bei geringen Konzentrationen rechtzeitig Alarm. „Betroffene sollten dann gründlich lüften und schnell die Wohnung verlassen“, so Schneider.
Am Harburger Beckerberg starben drei Männer
Nach einer Tragödie am Beckerberg (Harburg) gehören hochempfindliche CO-Warngeräte zur Standardausrüstung der Hamburger Feuerwehr. Anfang Dezember 2014 waren dort drei Menschen durch eine Kohlenmonoxidvergiftung gestorben. Weil Kondenswasser die Gastherme verstopfte, breitete sich das Atemgift im Keller aus und strömte von dort in zwei darüberliegende Wohnungen. Die Bewohner, drei Männer im Alter von 32 bis 72 Jahren, starben im Schlaf. Durch Ritzen im Mauerwerk entwich das Gas auch ins Nachbarhaus. Insgesamt waren 13 Bewohner teils schwer verletzt worden, darunter ein Kleinkind. Einen so drastischen Fall hatte es zuvor in Hamburg nicht gegeben.
Im Dezember 2017 entdeckten Feuerwehrleute ein Pärchen tot in seinem Wohnwagen auf einem Campingplatz am Ochsenwerder Elbdeich. Der Mann und die Frau lagen dort seit mehreren Tagen. Abermals hatte der „geräuschlose Killer“ zugeschlagen – wieder war eine defekte Gastherme die Ursache.