Hamburg. Staatsanwaltschaft: Verdacht wurde vermutlich nicht weitergegeben. So schmuggelte der Angreifer die Tatwaffen in den Gerichtssaal.

Wie aus dem Nichts stach der Angeklagte Chris Z. im Gerichtssaal mit einer selbstgebastelten Waffe auf eine Zeugin ein, er verletzte sie und einen Staatsanwalt. Jetzt kam heraus, dass die Attacke hätte verhindert werden können: Bereits eine Woche vor dem Angriff am vergangenen Dienstag gab es Hinweise darauf, dass der Angeklagte während der Verhandlung einen "konkreten Angriff" auf die Zeugin – seine Ex-Freundin – plante. „Es besteht der Verdacht, dass entsprechende Hinweise aus der Untersuchungshaftanstalt nicht weitergeleitet wurden“, sagte Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, dem Abendblatt.

Präparierte Rasierklinge unter der Zunge

Der Untersuchungshaftanstalt soll schon am 24. Januar bekannt gewesen sei, dass Chris Z. am Verhandlungstag einen „konkreten Angriff“ auf die Zeugin plante. Diese Erkenntnisse seien aber nicht weitergeleitet worden. Ob Anstaltsleiterin Claudia Dreyer von den Plänen wusste, prüft die Staatsanwaltschaft aktuell. Die Vorführabteilung erhielt jedenfalls keine Kenntnis davon. Gegen einzelne Justizvollzugsbedienstete richte sich der Verdacht aber nicht. Die Behörde ermittele gegen Unbekannt wegen „Körperverletzung im Amt durch Unterlassen.“

Wie berichtet, war Chris Z. vor einer Woche im Gericht unvermittelt mit einer speziell präparierten Rasierklinge und einem angespitzten Zahnbürstenstiel auf seine Ex-Freundin Martina O. losgegangen, als diese als Zeugin vernommen wurde. Den angespitzten Zahnbürstenstiel soll er rektal, die präparierte Rasierklinge – eine Art winziges Cutter-Messer – unter seiner Zunge versteckt haben, so erfuhr das Abendblatt aus Sicherheitskreisen. Er verletzte die 25-Jährige und einen Staatsanwalt, der ihr zur Hilfe eilte, leicht am Hals. Z. wurde, vermutlich durch eigene Hand, erheblich schwerer verletzt. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen versuchten, heimtückischen Mordes.

Erste Mord-Hinweise bereits im Oktober

Erste Hinweise, dass der Mann seine Freundin töten wollte, waren bereits im Oktober 2016 aufgetaucht, so Frombach weiter. Damals soll Chris Z. in der Untersuchungshaftanstalt gegenüber einem Mithäftling geäußert haben, er werde seine Ex-Freundin nach seiner Entlassung umbringen.

Diese Absicht sei zusätzlich durch Briefe mit „aggressivem Inhalt“ an seine frühere Partnerin untermauert worden. Die Staatsanwaltschaft habe daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Bedrohung gegen den Mann eingeleitet, eine für November geplante Hauptverhandlung sei abgesetzt worden, so Frombach. Zudem sei der Mann psychiatrisch begutachtet worden. Vorläufiges Ergebnis: Chris Z. sei nicht in besonderem Maße gefährlich, da er keinen Zugriff auf aggressionsfördernde Mittel wie Drogen oder Alkohol habe.

Trotzdem und obgleich bekannt war, dass der Mann bereits 2002 wegen Mordes verurteilt und bei seiner erneuten Festnahme Ende 2015 von Polizisten mit einem Beinschuss gestoppt werden musste, unterlag er keiner erhöhten Sicherheitsstufe – nur eine Justizbeamtin begleitete Chris Z. am 31. Januar ins Gericht.

Opposition zählt Justizsenator an

Justizsenator Till Steffen
Justizsenator Till Steffen © HA | Marcelo Hernandez

Während sich die Justizbehörde zu dem Fall mit Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen nicht äußert, gerät Justizsenator Till Steffen (Grüne) erneut in Bedrängnis. Mit Spannung wird die Sitzung des Justizausschusses am 24. Februar erwartet. „Sollte es sich in der Befragung als richtig herausstellen, dass die Justizbehörde konkrete Hinweise auf die Tötungsabsicht und damit die konkrete Gefahr des Todes der Zeugin hatte, ohne darauf Maßnahmen einzuleiten, erwarte ich den Rücktritt des Justizsenators“, sagte der justizpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Richard Seelmaecker. „Er hat die Organisation der Justiz zu verantworten, begonnen bei den Gefängnissen über die Vorführung von Gefangenen bis hin zur Staatsanwaltschaft.“

Kommentar: Ein Desaster für Hamburgs Justiz

Ähnlich äußerte sich auch die Justizexpertin der FDP-Bürgerschaftsfraktion, Anna von Treuenfels-Frowein: „Sollten sich die Vorwürfe bewahrheiten, ist wieder eine neue Dimension auf der Skandal-Skala von Justizsenator Steffen erreicht. Wie es gerade bei einem derart gefährlichen Straftäter zu solchen Pannen kommen kann, macht sprachlos. Die Kommunikationsstrukturen im Justizbereich haben erneut komplett versagt.“