Hamburg. Gerichtspräsidentin Sibylle Umlauf fordert Aufklärung von Till Steffens Justizbehörde. Ermittler befragen Vollzugsbeamte.
Nach der Stich-Attacke eines Angeklagten auf eine Zeugin im Gerichtssaal des Strafjustizgebäudes ermittelt die Staatsanwaltschaft in „verschiedene Richtungen“. Unter anderem werde geprüft, ob der 39-Jährige eine gefährliche Körperverletzung, einen versuchten Totschlag oder gar einen versuchten Mord begangen haben könnte, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Frombach. „Natürlich sind auch die Vorfälle, die zur Tat geführt haben, ein wichtiger Aspekt der Ermittlungen.“
Dabei gehe es zentral um die Frage, wie es Chris Z. am Dienstagmorgen gelungen war, die Tatwaffen – eine präparierte Rasierklinge und eine angespitzte Zahnbürste – trotz schärfster Sicherheitsvorkehrungen aus der Untersuchungshaftanstalt am Holstenglacis ins Gericht zu schmuggeln. Dazu sollen auch Justizvollzugsbedienstete vernommen werden. „Wir prüfen, ob es Versäumnisse gab“, so Frombach.
Selbst gebastelte Stichwaffe
Wie berichtet war Chris Z. am Dienstag unvermittelt mit der selbst gebastelten Stichwaffe auf seine Ex-Freundin Martina O. losgegangen. In der Berufungsverhandlung sollte die 25-Jährige als Zeugin gegen Chris Z. aussagen. Dem 39-Jährigen wird vorgeworfen, seiner Ex-Partnerin im Dezember 2015 ins Gesicht geschlagen zu haben. Kurz nach Beginn ihrer Vernehmung zerrte er sie vom Stuhl und würgte sie.
Der Verteidiger und ein Oberstaatsanwalt rissen den Mann daraufhin von der Zeugin weg. Der Staatsanwalt und die 25-Jährige wurden leicht am Hals verletzt – sie erlitten Schnittwunden, konnten nach ambulanter Versorgung den Tatort aber verlassen. Wie ein Zeuge berichtete, wurde der Angreifer – möglicherweise durch die eigene Hand – deutlich schwerer verletzt und auf die Krankenstation der Haftanstalt gebracht.
Lückenlose Aufklärung gefordert
CDU und FDP fordern nun eine lückenlose Aufklärung des Angriffs und seiner Vorgeschichte. „Dass es einem Angeklagten, der bereits wegen Mordes verurteilt war und bei seiner Verhaftung nur mit Schusswaffengebrauch gestoppt werden konnte, möglich ist, diese gefährlichen Gegenstände in den Gerichtssaal zu schmuggeln, ist unbegreiflich und wirft kein gutes Licht auf die Sicherheit“, sagte Richard Seelmaecker, justizpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion.
Ob der Angeklagte in der JVA Billwerder, wo er zuletzt in U-Haft saß, als „schwieriger“, ja sogar gefährlicher Gefangener galt, wie Seelmaecker am Dienstag behauptete, wird aktuell von der Justizbehörde geprüft. Erneut warf Seelmaecker Justizsenator Till Steffen (Grüne) vor, seine Behörde nicht im Griff zu haben. In Steffens Verantwortungsbereich ereigneten sich „im Monatstakt Pannen, Pleiten und Skandale“.
Ähnlich äußerte sich auch der Eimsbütteler Bezirksabgeordnete Burkhard Müller-Sönksen (FDP). „Der Justizsenator ist ab sofort ,auf Bewährung‘ im Amt, er sollte ich bei der zügigen Aufklärung bewähren. Die politische Verantwortung trägt er so oder so.“ Zum jetzigen Zeitpunkt verböten sich „voreilige Schuldzuweisungen“, sagte hingegen die FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein. Es sei vielmehr zu hinterfragen, „ob der aktuelle Umbau der Untersuchungshaftanstalt möglicherweise zu personellen Engpässen bei der Begleitung von Inhaftierten führt“.
Nach Abendblatt-Informationen entscheidet die Untersuchungshaftanstalt darüber, wie viele Vollzugsbedienstete zur Bewachung der Inhaftierten im Gericht abgestellt werden. Dabei erhalten die Verantwortlichen auch Einsicht in die Fälle. Die Frage, warum bei der kriminellen Biografie des Gewalttäters Chris Z. lediglich eine Beamtin eingesetzt worden war und ob dieser Umstand der Personalnot im Hamburger Vollzugswesen geschuldet ist, ließ die Justizbehörde am Mittwoch unbeantwortet.
Vielzahl von offenen Fragen
Zu dieser und weiteren Fragen könne sich die Behörde „mit Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen“ nicht äußern, sagte Sprecherin Marion Klabunde. Angesichts der Vielzahl von offenen Fragen hat auch die Präsidentin des Landgerichts und Hausherrin im Strafjustizgebäude, Sibylle Umlauf, die Justizbehörde „ausdrücklich um Aufklärung“ gebeten.
Unterdessen gaben die rot-grünen Regierungsfraktionen bekannt, dass der Vorfall auf der nächsten Sitzung des Justizausschusses am 24. Februar thematisiert werden soll. „Es muss alles daran gesetzt werden, dass sich ein derartiger Vorfall nicht wiederholt. Transparenz und Aufklärung sind das Gebot der Stunde“, sagte der justizpolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Urs Tabbert.
Bereits am Montag könnte der Prozess gegen Chris Z. mit der Befragung der attackierten Zeugin fortgesetzt werden – falls der Angeklagte überhaupt verhandlungsfähig ist.