Hamburg. 2014 wurden in Hamburg 12.112-mal die Behörden alarmiert. Sozialbehörde spricht von „gutem Zeichen für Kinderschutz“.

Nie zuvor sind in Hamburg so viele Fälle von Verdacht auf Kindesmisshandlungen gemeldet worden wie im vergangenen Jahr. Insgesamt 12.112-mal wurden Polizei, Ämter oder Behörden eingeschaltet, weil Nachbarn, Angehörige, Ärzte oder Schulen das Wohl eines Kindes gefährdet sahen. Das ist eine drastische Steigerung der Zahlen von mehr als 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr 2013, in dem insgesamt 8592 Verdachtsfälle registriert wurden. So steht es in einer aktuellen Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Philipp Heißner.

Die meisten Fälle in absoluten Zahlen wurden demnach 2014 im einwohnerstärksten Hamburger Bezirk Wandsbek gemeldet (2863), es folgen Mitte (2547) und Nord (1665). Gemessen an der Einwohnerzahl ist die Zahl der Verdachtsfälle danach in Hamburg-Mitte am höchsten.

CDU und Sozialbehörde interpretieren die aktuellen Daten sehr unterschiedlich. Sozialbehördensprecher Marcel Schweitzer sieht den Anstieg der Meldungen als positives Zeichen. „Immer mehr Menschen gehen aktiv auf die Jugendämter zu und melden Auffälligkeiten. Die öffentliche Berichterstattung über tragische Einzelschicksale erhöht die Sensibilität und sorgt für die Zunahme an Meldungen“, so Schweitzer. Im vergangenen Jahr sei festgelegt worden, dass die Mitarbeiter der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) „das Kinderkompetenzzentrum bereits beim leisesten Verdacht auf Misshandlung oder Verwahrlosung einschalten müssen“, so Schweitzer. „Die Zahlen zeigen, dass diese Regel greift und insbesondere Jugendämter zur Steigerung der Untersuchungszahlen beitragen. Das ist ein gutes Zeichen für den Kinderschutz in Hamburg.“

CDU-Familienpolitiker Heißner deutet die aktuellen Zahlen ganz anders. Der „krasse Anstieg“ der gemeldeten Fälle sei „alarmierend“, sagt er – und verweist darauf, dass laut Senatsantwort allein im Kinderkompetenzzentrum im vergangenen Jahr mit 510 Kindern mehr als doppelt so viele wegen des Verdachts auf Misshandlungen untersucht wurden als noch 2013.

Im Kinderkompetenzzentrum der Rechtsmedizin im UKE werden Kinder und Jugendliche untersucht, bei denen der Verdacht auf Misshandlung, sexuellen Missbrauch oder Vernachlässigung besteht. Am häufigsten wurden die Untersuchungen im vergangenen Jahr laut Senat von den Jugendämtern veranlasst (382 Fälle), gefolgt von Kinderkliniken (34), der Polizei (28) und den Müttern der betroffenen Kinder (25). Danach hat sich in den vergangenen Jahren bei jeweils rund einem Drittel der untersuchten Kinder der Verdacht auf Misshandlungen bestätigt.

Auch die Staatsanwaltschaft ermittelte in den vergangenen Jahren häufiger wegen des Verdachts von Körperverletzungen oder Tötungen, bei denen die Opfer Kinder waren. Gab es im Jahr 2011 noch 416 solcher Ermittlungsverfahren, waren es 2013 bereits 543 und 2014 mit 532 auch nur etwas weniger. Zwar wurden die meisten Verfahren eingestellt. Im vergangenen Jahr kam es aber immerhin in noch 108 Fällen zu einer Anklage oder einem Strafbefehl.

Nach den tragischen Todesfällen der vergangenen Jahre, in denen drei Mädchen trotz der Betreuung der Familien durch Hamburger Ämter starben (Yagmur, Chantal, Lara Mia), war in der öffentlichen Diskussion viel von der Überlastung der Mitarbeiter in den Jugendämtern die Rede. Allerdings kann der Senat derzeit laut seiner Antwort auf die CDU-Anfrage nicht sagen, wie sich diese Belastung in den vergangenen Jahren in den Jugendämtern entwickelt hat.

Die sogenannte "Fallbelastung pro Vollzeitstelle" wird demnach erst seit 2014 über das eingeführte neue Software-System JUS-IT erfasst. Demnach ist die Belastung der Jugendamtsmitarbeiter in Harburg am höchsten. Dort ist ein Vollzeitmitarbeiter für 72 Betreuungsfälle zuständig. In Wandsbek sind es 64, in Bergedorf 62 und in Mitte 60 Fälle. In den anderen Bezirken liegt die Belastung bei 53-57 Fällen.

Die vom Senat in der Antwort genannte Software JUS-IT war zuletzt allerdings immer wieder auch von Jugendamtsmitarbeitern kritisiert worden, weil ihre Bedienung sehr zeitaufwendig sei. Zudem waren die Kosten für ihre Einführung immer weiter gestiegen, sodass die Behörde das Projekt kürzlich stoppte.

Der Senat weist zudem in seiner Antwort darauf hin, "dass eine reine Akten- bzw. Fallmenge allein noch keine hinreichenden Anhaltspunkte über die Belastung der ASD-Mitarbeiter/innen liefert". Um die "angemessenen Personalkapazitäten im ASD" festzulegen, laufe derzeit "das Projekt Personalbemessung im ASD."

Für die CDU reicht das nicht aus. "Vor dem Hintergrund der dramatischen Entwicklung müsste der Senat eigentlich alles daran setzen, dass die Jugendämter ausreichend Personal haben, um gefährdete Kinder schützen zu können", sagt ihr Familien-Politiker Philipp Heißner. "Stattdessen muss die Sozialbehörde von Sozialsenator Detlef Scheele einräumen, dass niemand weiß, wie viele Mitarbeiter für eine adäquate Betreuung überhaupt benötigt würden."

Dabei habe Scheele schon vor drei Jahren versprochen, bis Ende 2013 ein Personalbemessungssystem zur Klärung dieser Frage einzurichten, sagt der CDU-Politiker. Und fragt: "Muss es erst zu weiteren Fällen schwerer Kindesmisshandlung kommen, damit Senator Scheele endlich sein gebrochenes Versprechen zumindest nachträglich einlöst?"