Finkenwerder. Baby in Lebensgefahr: Vater ein bekannter Schläger. Eltern sollen sich ständig gestritten haben. „Die Polizei war schon drei Mal hier.“

Es ist schon wieder passiert. Schon wieder im Bezirk Mitte. Lara-Mia, Chantal, Yagmur – es sind Namen toter Kinder, die für das Versagen des Jugendamtes Mitte stehen. Und nun ist ein weiteres, von diesem Amt betreutes Kind, gerade mal zwei Monate alt, vom eigenen Vater schwer misshandelt und lebensgefährlich verletzt worden. Die Kopfwunden des kleinen Babys sind so gravierend, dass die Ärzte im UKE am Mittwochabend noch um sein Leben kämpften.

Die Ostfrieslandstraße auf Finkenwerder am Mittwoch gegen 7 Uhr. Vater Jan C. weckt seine Lebensgefährtin Julia D., 30 (Namen geändert). Es geht um ihren erst Anfang Februar geborenen Sohn. Der Säugling sei bewusstlos geworden, sie müsse schnell kommen. Später gibt er noch gegenüber der Polizei an, dass er gleich den Notarzt alarmiert habe.

Die Mutter sieht, dass der Junge in einem bedrohlichen Zustand ist, leitet sofort die Wiederbelebung ein, kurz darauf setzt der inzwischen in dem dreigeschossigen Mehrfamilienhaus eingetroffene Notarzt die Reanimationsmaßnahmen fort. Der noch nicht einmal drei Monate alte Säugling wird – begleitet von seiner Mutter – mit lebensgefährlichen Kopfverletzungen in die Spezialklinik eingeliefert. Dort untersucht ihn auch eine renommierte Hamburger Rechtsmedizinerin. Es steht nicht gut um das Baby: „Der Zustand des Säuglings ist kritisch“, sagt Polizeisprecher Andreas Schöpflin. Auch am Donnerstagmorgen befindet sich das Baby weiter in Lebensgefahr.

Vater rutschte offenbar häufiger die Hand aus

Die Geschichte, die der 26-Jährige den Polizisten erzählt, klingt für die Beamten zunächst wenig glaubwürdig. Jan C. erzählt, wie er vom Kindergeschrei wach geworden sei und das Kind in den Arm genommen habe. Der Junge sei dann bewusstlos geworden. Und „durch eine leichte Ohrfeige“ wieder zu sich gekommen. „Dies deckt sich nicht mit den ersten kriminalpolizeilichen Ermittlungen“, sagt Schöpflin. „Vielmehr besteht der Verdacht, dass der Vater gewaltsam auf seinen Jungen eingewirkt hat.“ Am Kopf des Jungen seien Blutergüsse entdeckt worden. Der Vater, der zu dieser frühen Stunde schon alkoholisiert ist, wird festgenommen und am Abend vernommen.

Die Ostfrieslandstraße ist eine eher schmucklose, verkehrsreiche Straße, die mitten durch den Stadtteil Finkenwerder ins Ortszentrum führt. Ein Imbiss, eine Kneipe und der Kiosk „Ali Baba“ direkt neben der Wohnung, in dem sich Jan C. regelmäßig mit Tabak und Bier versorgt haben soll – viel mehr gibt es hier nicht.

Der Junge ist das erste gemeinsame Kind des jungen Paares. Jan C. ist vier Jahre jünger als seine Freundin, ein glühender St.-Pauli-Fan – und offenbar jemand, dem schon mal die Hand ausrutscht. Mehrmals ist er schon wegen Schlägereien und wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz vor Gericht gelandet. Allerdings ist der junge Mann bisher stets mit Geldstrafen davongekommen. „Die beiden haben sich immer wieder gestritten, auch heute früh gegen 6 Uhr“, sagte Nachbarin Bärbel F. Sie hat vor einem Jahr die Katze Stupsi des Paares in Pflege genommen. „Weil die sich nicht darum gekümmert haben“, sagt sie. Im Kiosk „Ali Baba“ dreht sich alles um das Thema. „Er war gestern noch hier und hat Tabak und Bier gekauft“, sagt der Kioskbesitzer. „Einmal kam Jan mit einer blutigen Hand herein und hat gesagt, seine Frau habe ihn geschlagen. Die Polizei war in den letzten vier Wochen dreimal hier, um den Streit zu schlichten.“

Vater wollte „Arbeit gegen Tabak“ tauschen

„Ja, es gab immer wieder Streit in der Wohnung“, sagt auch Manfred Rahlf, der öfter im Kiosk aushilft. Dabei ging es anscheinend auch um Drogen. „Es ist schlimm, dass es nun so weit gekommen ist.“ Necmeddin Y. steht mit seiner Frau Suzan vor der Wohnung, in der sich das Drama abgespielt hat. Der Bäcker wohnt gleich nebenan. Er wurde von Jan schon mehrmals beschimpft, berichtet Necmeddin. Auch, weil Jan glaubte, er habe die Polizei gerufen. „Dann hat Jan wie wild gegen die Wand geschlagen. Wenn die Polizei da war, habe ich denen jedes Mal gesagt, unternehmt doch endlich etwas! Aber die haben gesagt, es muss erst was passieren. Und nun ist es passiert. Unfassbar!“

Jan C. trägt die Haare raspelkurz, Gangsta-Style, einer, der sich gern mit bemüht finsterem Blick inszeniert als harter Kerl. Gegen Kinderschläger, gegen die hat er was, wie er durch die Unterstützung einer Kampagne gegen Kindesmisshandlung auf Facebook erkennen lässt.

Im Herbst 2014 hat der gelernte Autosattler seinen Job verloren. Da ist seine Freundin im fünften Monat schwanger. Der junge Vater in spe und die werdende Mutter stehen mit dem Rücken zur Wand. Geld? Ist nicht mehr da. Im Internet sucht er deshalb händeringend nach einem Job. „Zu allem Übel haben wir auch nichts mehr zu essen! Wir und vor allem meine Frau brauchen Verpflegung“, schreibt er.

Die Lage ist so verzwickt, dass er sogar auf Lohn verzichten würde und seine Arbeitskraft für Lebensmittel feilbietet. So verzweifelt ist er aber offenbar auch nicht, denn für ihn sei auch ein Tausch „Arbeit gegen Tabak“ in Ordnung. Das Paar kommt irgendwie über die Runden. Am 3. Februar wird der Junge geboren. Ein süßer Fratz, mit dem sein Vater auf Facebook gern posiert. Unter ein Foto schreibt ein Bekannter: „Pass darauf auf“ Antwort von Jan C.: „Der kleine Scheißer ist bei Mama und Papa sicher.“