Der Täter war schon 1997 im Fall Mirco Sch. aufgefallen. Der 17-Jährige wurde durch ständige brutale Übergriffe in den Tod getrieben.

Hamburg. Nach dem brutalen Überfall auf fünf Polizisten in Hamburg-Neugraben kämpfen Ärzte um das Augenlicht eines der Beamten. Der 46 Jahre alte Kommissar war bei dem Angriff von rund 30 Männern und Jugendlichen durch einen Tritt ins Gesicht lebensbedrohlich verletzt worden. Gestern wurde er operiert. Noch ist nicht klar, ob er bleibende Schäden am Auge erlitten hat. Dem Beamten waren zudem der Kiefer, das Jochbein und die Nase gebrochen worden.

Die Politik reagierte entsetzt auf die Attacke gegen die Polizei. Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) kündigte eine Aufstockung des Personals an der betroffenen Wache an. "Wir werden das Polizeikommissariat in Neugraben temporär verstärken. Ich möchte wissen, was in dem Stadtteil vor sich geht", sagte er dem Abendblatt. Wie die Aufstockung konkret aussieht, ist noch offen. Im Gespräch soll sein, 14 Polizisten von anderen Wachen nach Neugraben zu entsenden. Grundsätzlich, so der Innensenator, sei die Polizei aber materiell und personell gut ausgestattet.

SPD-Innenexperte Andreas Dressel prangert hingegen personelle Engpässe an, die ein rechtzeitiges Eingreifen in Neugraben verhindert hätten. Im Bezirk Harburg sei die Zahl der Polizisten nach der Zusammenlegung zweier Wachen von 337 auf 298 Beamte (minus zwölf Prozent) gesunken. Dressel: "Der Sparkurs bei der Polizei gefährdet auch unsere Polizeibeamten." Ahlhaus spricht hingegen von einem gesellschaftlichen Problem: "Es muss erlaubt sein, einmal darauf hinzuweisen, dass wir ein Integrationsproblem haben. Junge Männer mit Migrationshintergrund sind deutlich überproportional in Gewaltstraftaten verwickelt."

Zu dem Video, auf dem zu sehen ist, wie der später verletzte Polizeibeamte mit dem Schlagstock auf einen Mann einschlägt, der sich zuvor schamverletzend entblößt hatte, wollten sich weder der Innensenator noch die GAL konkret äußern. Hintergründe und Umstände des Vorfalls müssten zunächst genau analysiert werden, sagte GAL-Innenexpertin Antje Möller. "Warum hat der Polizist den am Boden liegenden Mann mehrfach geschlagen?", fragt Christiane Schneider (Linkspartei) und fordert Aufklärung vom schwarz-grünen Senat. Ihre Fraktion hat das Thema für die morgige Bürgerschaftssitzung angemeldet.

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Gesuchter Schläger seit Jahren kriminell

Der 17 Jahre alte Lehrling hielt die Drohungen nicht mehr aus. Seit Jahren drangsalierte eine Bande von Jugendlichen Gleichaltrige, zwang sie, Geld und Klamotten abzugeben. "Abziehen" wird das unter den Tätern genannt. Am 31. Januar 1997 hätte Mirco Sch. "diesen Typen 750 Mark geben" sollen, schrieb er in seinem Abschiedsbrief. Ein ganzes Monatsgehalt. An diesem Tag nahm er sich das Leben. Auf der Strecke Neugraben-Harburg sprang der verzweifelte Jugendliche vor einen Zug. Hauptverantwortlicher war Bandenchef Amor S., damals 18 Jahre alt und polizeibekannt. Ihm konnte Mircos Suizid rechtlich nicht angelastet werden. Doch wegen räuberischer Erpressung, Raubes und Körperverletzung wurde er zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Auch ein Teil seiner Komplizen musste in Haft.

13 Jahre später steht Amor S., mittlerweile im gestandenen Alter von 31 Jahren, erneut im Interesse der Öffentlichkeit. Nach Erkenntnissen der Ermittler ist er der Täter, der bei dem Angriff auf fünf Polizisten einen Beamten mit einem Tritt ins Gesicht derart schwer verletzt hat, dass nicht nur nahezu jeder Kochen gebrochen ist, sondern dieser Mann nun auch um die Sehkraft eines Auges bangen muss. Amor S., der keinen festen Wohnsitz hat, ist auf der Flucht. Gegen ihn wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt.


DAS HANDY-VIDEO VOM POLIZEIEINSATZ IN NEUGRABEN

Dass die Polizisten in eine Falle gelockt wurden, um sie gezielt anzugreifen, glaubt Polizeisprecher Ralf Meyer nicht. "Das war ein spontaner Akt während eines Routineeinsatzes." Neugraben sei immer wieder mal Einsatzschwerpunkt gewesen. Im Bezirk Harburg zeigten sich Vertreter von Politik und Verwaltung schockiert über die Vorfälle. "Diese Straftäter müssen weggeschlossen werden. Hier ist Knast angesagt", sagt Bezirksamtsleiter Torsten Meinberg (CDU). Mit mangelnder Integrationsarbeit habe die Entwicklung nichts zu tun. "Integration ist keine Einbahnstraße. Auch nicht in Harburg." Auch Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) spricht von einem Integrationsproblem. "Solange sich Familien aus anderen Kulturkreisen abschotten, Konflikte in den eigenen vier Wänden mit Gewalt lösen und nur eigene Traditionen gepflegt werden, werden wir diese Menschen nicht integrieren können."

Uwe Koßel, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, warnt davor, dass es künftig ähnliche Probleme geben könnte wie in einigen französischen Vorstädten. Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft, fordert langjährige Haftstrafen für die Täter. Der CDU-Kreisvorsitzende Ralf-Dieter Fischer fürchtet, dass die Eskalation der Gewalt "das subjektive Sicherheitsempfinden vieler rechtschaffener Bürger in erheblichem Maß beeinträchtigt". Es müsse alles unternommen werden, um kleinen Gruppen von Gewalttätern Einhalt zu gebieten.