Das Gericht hatte die U-Haft gegen die beiden 17-jährigen Tatverdächtigen trotzdem aufgehoben, da sie bereits mehr als sechs Monate saßen.

Hamburg. Gegen 17 Uhr öffneten sich am Dienstag für Onur K. und Berhan I. die Tore der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand. Auch der Abholdienst war organisiert: Die Mutter von Onur K. wartete vor der Haftanstalt, um ihren Sohn nach Hause zu bringen, nach Wilhelmsburg.

Nach sechs Monaten endete die Untersuchungshaft für die beiden 17 Jahre alten Jugendlichen – die Hamburger Justiz hat es so beschlossen. Sie sind angeklagt, einen 44 Jahre alten Dachdecker in Harburg totgeprügelt zu haben. Am DIenstag hat das Oberlandesgericht (OLG) eine Haftprüfung zu ihren Gunsten entschieden und den Haftbefehl aufgehoben.

Dass die zwei jungen, mehrfach vorbestraften Gewalttäter nun wieder frei durch Hamburg spazieren können, ist juristisch zwar korrekt. Doch hätte das jähe Ende der U-Haft vermieden werden können? Anlass für die Haftprüfung durch das OLG war ein Überschreiten der nach der Strafprozessordnung maximal zulässigen U-Haftdauer von sechs Monaten. Die Frist drohte abzulaufen, nachdem die erste Hauptverhandlung am 22. April geplatzt war. Grund: Eine Beisitzende Richterin in diesem Verfahren saß wegen des Vulkanasche-Flugverbots in Spanien fest und traf deshalb nicht rechtzeitig zur Verhandlungsfortsetzung in Hamburg ein. Weil nach dem Gesetz eine Hauptverhandlung nicht länger als drei Wochen unterbrochen werden darf, musste der Prozess neu aufgerollt werden. Den Neubeginn terminierte das Gericht allerdings erst auf den 25. Mai.

Zu spät, befand nun das Oberlandesgericht, die Große Strafkammer 27 habe gegen den Beschleunigungsgrundsatz verstoßen und das Verfahren nicht hinreichend gefördert. Ein „wichtiger Grund“ für die Fortdauer der U-Haft nach Paragraf 121 der Strafprozessordnung hätte das Flugverbot theoretisch sein können. Allerdings habe sich diese Frage gar nicht gestellt, da der Prozess von der Kammer ohnehin viel zu spät neu terminiert worden sei, so das OLG.

Dabei hätte am 3. Mai bereits wieder verhandelt werden können, so ein Gerichtssprecher. Warum die Kammer den frühen Termin verstreichen ließ, bleibt offen: Vor dem OLG habe sie nicht dargelegt, warum sie die Hauptverhandlung erst am 25. Mai wieder eröffnen wollte. „Das Gericht hat gegen die Grundsätze eines rechtsstaatlich fairen Verfahrens und gegen den Beschleunigungsgrundsatz verstoßen“, sagt Rechtsanwalt Siegfried Schäfer, der Onur K. vor Gericht vertritt. „Wenn ein Kind schon mal in den Brunnen gefallen ist“, sagt Schäfer und meint die Aussetzung des Verfahrens, „dann bringt man es schnell ins Krankenhaus und lässt es nicht einen Monat liegen.“

Ist die Anordnung einer Untersuchungshaft nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, zu denen neben einem dringenden Tatverdacht ein Haftgrund wie Fluchtgefahr gehört, so hat das Bundesverfassungsgericht die Bedingungen für die Fortdauer der Haft über die maximal zulässigen sechs Monate hinaus besonders eng gefasst. „An diese Rechtsprechung hat sich das OLG gehalten“, sagt Schäfer.

Auflagen gibt es für die Angeklagten nicht – nur die Pflicht, zur Hauptverhandlung zu erscheinen. Der Staatsanwaltschaft sind nach dem Urteil die Hände gebunden. „Der dringende Tatverdacht ist weiterhin gegeben“, sagt Oberstaatsanwalt Wilhelm Möllers. „Es gibt keine neuen Tatsachen, auf die wir einen Haftbefehl stützen könnten.“

Die Hamburger SPD-Bürgerschaftsfraktion bezeichnet die Freilassung der Tatverdächtigen als "fatales Signal bei der Bekämpfung der Jugendgewalt". SPD-Innenexperte Andreas Dressel: "Ganz Hamburg diskutiert über ein konsequenteres Vorgehen auch der Justiz gegen junge Gewalttäter. Und parallel setzt diese Justiz zwei mutmaßliche Gewalttäter, die ein Menschenleben auf dem Gewissen haben, wegen eines geplatzten und nicht rechtzeitig neu terminierten Strafverfahrens ohne Auflagen auf freien Fuß. Da fühlen sich all jene bestätigt, die der Justiz ohnehin vorwerfen, sie agiere bei jungen Straftätern zu lasch und zu langsam".

Parallel hat die SPD-Fraktion ür die kommende Innenausschuss-Sitzung am 15. Juni eine Selbstbefassung zum Tötungsdelikt am Jungfernstieg beantragt. Gemeinsam mit dem Jugendausschuss soll der Stand der versprochenen behördenübergreifenden Aufarbeitung des Fallgeschehens thematisiert werden."Die beteiligten Senatoren müssen Rede und Antwort stehen. Die Aufarbeitung der Hintergründe und Ursachen dieser schrecklichen Gewalteskalation müssen auch gegenüber Parlament und Öffentlichkeit passieren. Hier darf der Senat sich nicht hinter dem Datenschutz verstecken, um behördliches Versagen zu verschleiern", so Dressel und die Jugendexpertin Carola Veit.