Hamburg. Zwölf Taten wurden dieses Jahr bekannt. Meistens fallen die Schüsse in der Öffentlichkeit. Warum sich Ermittlungen oft schwierig gestalten.

Es ist eine Entwicklung, die Kripo-Experte Jan Reinecke mit „großer Sorge“ beobachtet. Immer mehr Kriminelle in Hamburg scheinen sich mit scharfen Schusswaffen zu bewaffnen. Diesen Trend untermauern Zahlen. In diesem Jahr kam es bei den bekannt gewordenen Tötungsdelikten, die durch die Mordkommission bearbeitet werden, zu zwölf Taten, bei denen geschossen wurde. Damit wurde bei jedem vierten vollendeten oder versuchten Tötungsdelikt eine Schusswaffe eingesetzt. Was die Taten so gefährlich macht: Fast alle fanden im öffentlichen Raum oder Örtlichkeiten wie Gaststätten statt, womit auch Unbeteiligte gefährdet waren.

„Es gibt Gruppen, in denen man damit rechnet, dass man in Konflikte gerät und das Gegenüber eine Schusswaffe einsetzt“, sagt Reinecke, der Landesvorsitzender der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in Hamburg ist. „Entsprechend bewaffnen sich solche Leute selbst. Das bedeutet, dass der Kriminelle die Schusswaffe nicht irgendwo bei sich zu Hause getrennt von der Munition gebunkert hat, sondern sie griff- und schussbereit bei sich trägt.“

Kriminelle in Hamburg: Es wird immer mehr geschossen

Aufgeklärt werden die Taten scheinbar selten. Von den zwölf Schießereien in Hamburg wurde nur bei fünf bekannt, dass ein Täter ermittelt wurde. Auch auffällig: Nur bei einer Schießerei gibt es bislang keine Beteiligten, die nicht Ausländer sind oder Migrationshintergrund haben. Sie ereignete sich am 30. Oktober am Herrengraben in der Neustadt. Damals wurde der 31 Jahre alte Florian B. offenbar gezielt getötet. Der Schütze ist, obwohl mittlerweile eine Belohnung in Höhe von 5000 Euro ausgelobt worden ist, bislang nicht identifiziert.

Das Problem bei den anderen Taten beschreibt ein Beamter so: „Das Aussageverhalten gegenüber der Polizei ist mehr als mäßig. Selbst die Opfer sagen oft nichts oder erzählen dummes Zeug.“

Oft haben die Auseinandersetzungen mit Schusswaffe einen Drogenhintergrund

Reinecke geht davon aus, dass viele der Taten einen Drogenhintergrund haben. Das wird auch bei der Tat vom Herrengraben angenommen. In einem anderen Fall, der sich am 9. Oktober im Stadtteil Wilstorf ereignete, geht man von Spielschulden als Auslöser der Tat aus. Eine weitere Tat, die am 28. August in der berüchtigten Wilstorfer Straße in Harburg passierte, waren es Streitigkeiten im Rotlichtmilieu, die zu der Schießerei führten.

Geradezu grotesk wirkt die Tat vom 26. Oktober an der Hauskoppel in Billstedt. Dort erschoss ein 37-Jähriger seinen Cousin (34) und stach dessen Bruder nieder. Es hatte offenbar Streit bei Renovierungsarbeiten gegeben. Warum der 37-Jährige bewaffnet bei seinen Verwandten auftauchte, wurde nicht bekannt.

Bei Schusswaffeneinsatz wird ein versuchtes Tötungsdelikt angenommen

Auch zeigt die Statistik: Die meisten Opfer überleben eine Schießerei. In vier der zwölf Fälle kam der Angeschossene dagegen zu Tode. Es gibt auch einen Fall, bei dem niemand verletzt wurde. Am 8. Dezember wurden Vater und Sohn vor der Wohnunterkunft beschossen, in der sie untergebracht sind. Mehrere Geschosse verfehlten das Duo. Die Staatsanwaltschaft leitete trotzdem ein Verfahren wegen eines versuchten Tötungsdeliktes ein.

„Gefühlt haben wir in diesem Jahr besonders viele Taten, bei denen Schusswaffen eingesetzt wurden. Diese Entwicklung beobachten wir schon einige Zeit“, so Reinecke. „Wir haben einfach eine hohe Verfügbarkeit von Schusswaffen.“ Auch das untermauern die Zahlen. Im vergangenen Jahr waren es noch zehn bekannt gewordene Taten, bei denen scharfe Schusswaffen eingesetzt wurden. Dazu gehörte auch der Amoklauf an der Deelböge im März 2023, bei dem Täter Philipp F. gezielt Angehörige der Zeugen Jehovas in deren Versammlungsstätte erschoss und sieben Menschen, darunter ein ungeborenes Kind, tötete, bevor er sich selbst erschoss. Es war eine der wenigen Taten der vergangenen Jahrzehnte, bei denen eine legal erworbene Schusswaffe zum Einsatz kam.

Es sind illegale Schusswaffen, die bei Auseinandersetzungen eingesetzt werden

In diesem Jahr spielte bei keinem der Fälle eine legale Schusswaffe eine Rolle. Dass es mit illegalen Waffen einen regen Handel gibt, ist bekannt, seitdem französische Ermittler 2020 das eigentlich verschlüsselte System Encrochat knackten, das Kriminelle gezielt genutzt hatten, weil es als abhörsicher galt. Die Chats, die auch den Hamburger Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt wurden, offenbarten, dass neben Rauschgift auch umfangreich mit Waffen und Munition gehandelt wurde.

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„Ich begrüße in dem Zusammenhang die Waffenverbotszonen“, sagt Reinecke. Sie böten die Möglichkeit für Kontrolle und machten es den Tätern etwas schwerer. Dass sich die kriminelle Klientel dadurch vom Waffentragen abschrecken lässt, glaubt er nicht. Er sieht hier auch die Justiz gefordert. Reinecke: „Es wäre interessant zu erfahren, ob bei Verurteilungen wegen illegalen Waffenbesitzes auch der Umstand einfließt, dass eine Waffe griffbereit in der Öffentlichkeit getragen wurde.“