Hamburg. 33 Jahre später ist Gericht sicher, dass Angeklagter die Tat begangen hat – doch aus rechtlichen Gründen kann es ihn nicht verurteilen.

Über lange Zeit galt der Fall als Cold Case. Jetzt, fast 33 Jahre nach dem Gewaltverbrechen an einem Blumenhändler, gilt der Fall als aufgeklärt. In einem Prozess vor dem Landgericht lautet die Überzeugung des Gerichts: Der 53 Jahre alte Angeklagte hat den 60-Jährigen aus Hamburg getötet. Gleichwohl wird der Täter freigesprochen. Denn ein Totschlag, der dem Rumänen sicher nachzuweisen ist, ist verjährt. „Sie haben große Schuld auf sich geladen“, betont die Vorsitzende Richterin an den Angeklagten Marian B. (Name geändert) gewandt. „Sie werden damit leben müssen, dass Sie jemanden getötet haben.“ Und die Tötung sei „sehr brutal“ gewesen.

Was für das Urteil entscheidend ist: Allein für einen Mord wäre der Angeklagte nach deutschem Recht so lange nach dem Verbrechen vom 13. März 1992 noch zu verurteilen gewesen. „Mord verjährt nie“, betont Richterin Birgit Woitas. Allerdings sei ein Mord dem Angeklagten nicht sicher nachzuweisen. Es sei nicht mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit festzustellen, welches Mordmerkmal oder ob überhaupt ein Mordmerkmal erfüllt würde. „Es reicht nicht, was wahrscheinlich ist“, macht die Richterin deutlich.

Prozess Hamburg: Mann tötet Blumenhändler – Hamburger Gericht spricht ihn frei

Als der Angeklagte hört, dass er freigesprochen wird, reibt er sich mehrfach über die Augen. Es sind wohl Tränen der Erleichterung, die er da wegwischt. Zu dem Vorwurf, er habe vor 33 Jahren den Hamburger Karl-Heinz R. ermordet, der seit Jahren einen Blumenstand am Hauptbahnhof betrieben hatte, hatte der Angeklagte nichts gesagt.

Entdeckt worden war die Tat seinerzeit, nachdem sich ein Mitarbeiter von Blumenhändler Karl-Heinz R. gewundert hatte, dass sein als sehr zuverlässig bekannter Chef morgens nicht zur Arbeit kam. Als sich der 60-Jährige bis abends nicht gemeldet hatte, war der Mitarbeiter zur Wohnung seines Bosses gefahren und hatte, als ihm niemand öffnete, schließlich die Feuerwehr alarmiert. Die fand den Toten im Schlafzimmer. An Kopf und Hals des Opfers wurden Verletzungen festgestellt. Weitere Untersuchungen ergaben: Karl-Heinz R. wurde mehrfach mit einer Flasche auf den Kopf geschlagen und so schwer verletzt, dann mit einem Bettlaken gefesselt, geknebelt und stranguliert.

Opfer wurde niedergeschlagen, gefesselt, geknebelt und stranguliert

Doch wer die Tat begangen hatte, konnte über Jahrzehnte nicht geklärt werden. Erst neuere Methoden bei der Analyse von DNA-Spuren, die unter anderem am Unterleib und unter einem Fingernagel des Opfers gefunden worden waren, hatten eine Spur ergeben. Der genetische Fingerabdruck war identisch mit der DNA eines Rumänen, der zuletzt in England gelebt hatte. Marian B. wurde festgenommen und nach Deutschland überstellt.

Laut Anklage hat sich die Tat, die dem heute 53-Jährigen jetzt im Prozess vorgeworfen wurde, so abgespielt: Am 13. März 1992 sitzen Marian B. und Blumenhändler Karl-Heinz R. gemeinsam in der Wohnung des 60-Jährigen in Hamburg-Horn und trinken Alkohol. Plötzlich kommt es zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der damals 21-Jährige dem Wohnungsmieter mehrfach mit einer Flasche Rum auf den Kopf schlägt. Das Opfer erleidet schwerste Schädelverletzungen. Dann fesselt der Täter den Blumenhändler mit einem zerrissenen Bettlaken, knebelt ihn mit einem weiteren Stoffstück. Und schließlich, so die Anklage weiter, habe Marian B. den 60-Jährigen mit einem Bettlaken erdrosselt. Dann soll der gebürtige Rumäne die Tageseinnahmen des Opfers in Höhe von rund 1500 bis 2000 D-Mark an sich genommen und aus der Wohnung geflüchtet sein.

Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes gefordert

Seine Verteidigerinnen hatten für Marian B. ausgeführt, dass er wohl in der Wohnung des Opfers gewesen sei. Dass dort DNA-Spuren von dem damals 21-Jährigen festgestellt wurden, lasse aber keine Rückschlüsse darauf zu, dass Marian B. den Blumenhändler getötet habe, hatten die Anwältinnen betont. Fingerabdrücke, Sperma sowie weitere Spuren seien nachweisbar, weil Marian B. und der Blumenhändler damals Sex hatten. Es gebe aber keine sicheren Feststellungen, dass der Verdächtige das Opfer auch umgebracht habe. Und falls er doch der Täter sei, handele es sich um einen Totschlag. Die Staatsanwaltschaft hatte indes am Ende der Beweisaufnahme ausgeführt, ein Mord sei nachgewiesen. Sie hatte auf lebenslange Haft plädiert. Der Angeklagte habe den damals 60-Jährigen aus Habgier getötet und um eine andere Straftat zu verdecken.

Es handele sich bei dem Geschehen vom März 1992 um eine „furchtbare Tat“, macht die Richterin nun in der Urteilsbegründung klar. Ein rechtsmedizinischer Sachverständiger hatte erläutert, dass das Drosseln des Opfers mit dem Bettlaken mindestens drei Minuten angedauert haben muss. Aber, so die Vorsitzende Richterin weiter, das Verbrechen erfülle nicht das Mordmerkmal „grausam“. Als juristischer Laie könne man sich wundern: Wenn diese Tat nicht grausam sei, „was denn sonst“?, so Richterin Woitas. Doch laut Rechtsprechung müssten dem Opfer „schwerste Qualen“ zugefügt werden, es also beispielsweise verhungern lassen. Auch andere Mordmerkmale seien nicht nachweisbar, erläutert die Richterin. Das Verdecken oder Ermöglichen einer Straftat, also etwa eines Raubes, sei ebenfalls nicht nachzuweisen.

Richterin: „Es gibt viele Fragezeichen. Wir hatten keine Chance, das aufzuklären.“

Zwar wurde in der Wohnung des Opfers damals kein Geld gefunden. Und ein Angestellter von Karl-Heinz R. hatte als Zeuge ausgesagt, dass sein Chef „üblicherweise“ abends die Tageseinnahmen mit nach Hause genommen habe. Doch ob dies auch am Tattag so war, konnte der Mitarbeiter nicht sicher sagen. Ebenso wenig sei nachweisbar, dass der Täter die Wohnung nach Geld durchsucht habe. „Es gibt viele Fragezeichen“, fasst die Vorsitzende Richterin zusammen. „Wir hatten keine Chance, das aufzuklären.“

Keinen Zweifel hat die Kammer indes daran, dass Marian B. den 60-Jährigen umgebracht hat. Dies sei deshalb sicher, weil DNA-Spuren des Angeklagten an einem Knoten des Bettlaken nachgewiesen wurden, mit dem eine Hand des Opfers gefesselt war. Eine DNA-Expertin hatte ausgeführt, dass die DNA an diesem Knoten in besonderer Häufigkeit auftrete. Durch diesen Umstand könne ausgeschlossen werden, dass die Genspuren allein dadurch entstanden sind, dass der damals 21-Jährige auf dem Laken gelegen habe.

Prozess Hamburg: Totschlag ist nachweisbar, Mord nicht

Totschlag ist nachweisbar, Mord nicht: Es wäre „vielleicht wünschenswert, wenn der Gesetzgeber die Mordmerkmale anders gestaltet“, erläutert die Vorsitzende weiter. Wenn dies geschehe, wäre es eher möglich, ein Geschehen wie das vom 13. März 1992 „als Mord einzuordnen“. Fest stehe jedenfalls, dass der Angeklagte den Blumenhändler getötet hat. Dass er dafür nicht verurteilt werden könne, sei wohl „bitter für die Angehörigen“.

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Die heute 92 Jahre alte Schwester von Karl-Heinz R. ist in dem Prozess als Nebenklägerin aufgetreten. Zur Urteilsverkündung ist die betagte Dame indes nicht gekommen. „Meine Mandantin ist froh, dass sie jetzt weiß, wer es war“, sagt die Anwältin der Nebenklägerin, Claudia Krüger, nach dem Urteil. „Die Spekulation“, wer den 60-Jährigen getötet hat, „hat ein Ende.“